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Von wegen brotlose Kunst

Die Finanzkrise beweist, dass die Möglichkeiten eines immer schnelleren und höheren Gewinns nicht ohne einen Kater danach zu haben sind. Doch Profit muss sein, sagen die Unternehmen. Bei der Lösung dieses Dilemmas sollen nun die Philosophen helfen - für viel Geld.

Von Susanne Lettenbauer | 09.07.2009
    Gerade hat Johannes Wallacher noch Statements abgeben müssen zur neuen Enzyklika, der Globalisierungskritik des Papstes. Bei dem Wirtschaftsphilosophen an der Hochschule für Philosophie in München steht das Telefon fast nie still. Gerade jetzt, zu dem G8-Gipfel in Italien, kommen wieder die Fragen, die den Firmenvorständen und Politikern zurzeit den Schlaf rauben:

    "Warum wirtschaften wir eigentlich? Brauchen wir so was wie ein Grundverständnis, zum Beispiel wie: Ist der Zweck des Wirtschaftens die permanente Gewinnmaximierung? Oder ist es nicht eine Form, wenn wir arbeiten wollen und kreativ sein wollen, wenn wir uns selbst verwirklichen wollen, dass dazu so was wie der Sinn der Arbeit dazugehört."

    Seit die Grundidee von der Sozialen Marktwirtschaft durch die Globalisierung verwässert, wenn nicht gar ausgehebelt wurde, stehen die Firmenvorstände bei Wallacher immer öfter auf der Matte und stellen elementare Fragen. Bei den meisten BWL-Absolventen fehle heute eben das Orientierungswissen, kritisiert Wallacher. Welche Richtung will man mit seinen Fähigkeiten und mit der Firma einschlagen und in welchem Zeitraum?

    "Wir haben heute ja die Grundidee, dass wir die komplexen Probleme mit Menschen lösen können, die von immer weniger vielleicht sehr viel wissen, aber wir brauchen Leute die von immer mehr etwas wissen und einen breiteren Kontext haben. Da kann die Philosophie mit ihrem umgreifenden Ansatz ein wichtiger Impuls sein. Und noch besser ist es, wenn die Studierenden neben ihrem Philosophiestudium noch ein Fachstudium zusätzlich haben."

    Wie viel von seinen Ratschlägen bei Vorträgen und Workshops letzten Endes in den Firmen umgesetzt wird, kann Wallacher nicht sagen. Bei dem Runden Tisch Bayern, einem regelmäßigen Treffen von Firmenvorständen, Nichtregierungsorganisationen und Philosophen geht es um die kleinen Schritte. "Versetzen Sie sich mal in die Lage des anderen", heißt zum Beispiel eine Aufgabe. Networking zwischen den unterschiedlichen Interessen sei das Zukunftsmodell, sagt der Rektor der Hochschule für Philosophie München Michael Bordt. Für seine Vorträge bekommt der in Oxford in antiker Philosophie promovierte Professor je 5000 Euro, gibt er unumwunden zu. Sein Büchlein: "Was in Krisen zählt" wird ihm nahezu aus den Händen gerissen. Was heute gefragt ist, so Bordt, sei ein philosophisch gebildeter Firmenvorstand, "weil der zum Beispiel nicht in der Gefahr sein wird, unnötig Konkurrenzentscheidungen zu treffen, die andere Unternehmen einfach platt machen, aus dem Gefühl heraus, na er will jetzt der Größte und Stärkste sein, die sich nicht aus einem Verantwortungsgefühl für seine Angestellten und das Unternehmen herleiten lassen."

    Bei den zahlreichen Anfragen aus den Vorstandsetagen prüft Michael Bordt sehr genau, worum es bei seinem Auftritt gehen soll. Als Feigenblatt möchte er nicht missbraucht werden. Das Nutzendenken, das heißt seinem Konzern eine positive Außenwirkung geben zu wollen, die bei den Mitarbeitern jedoch nicht ankommt, sei noch immer verbreitet. Die Philosophie könne aber nur - und wolle dies auch sehr gern - Denkanstöße geben:

    "Ich glaube, wir Philosophen können ein guter Gesprächspartner sein, aber wir können keine Lösung für die Firma entwickeln, weil ich ja viel zu wenig weiß, wie das Unternehmen, wo ich einen Vortrag halte oder einen Workshop gebe, wie das funktioniert. Das heißt, wie das jetzt konkret umgesetzt wird, das können wir begleiten oder da können wir Vorschläge machen, aber da ist dann die Kompetenz des Unternehmens gefragt, wir sind doch keine Unternehmensberater."

    Fritz Schlumprecht gehörte bis vor Kurzem zu den Studenten der Münchner Hochschule für Philosophie. Seit seinem Abschluss betreut er die Medienabteilung einer großen deutschen Kreditbank. Der gelernte Bankkaufmann und Doktorand schreibt gerade über die Auswirkungen des Kreditwesens auf die Finanzkrise aus philosophischem Blickwinkel:

    "Für mich war das Philosophiestudium eine Maßnahme dazu, um meinen Wunsch zu erfüllen, um mich mit diesen Dingen reflektierter beschäftigen zu können. Weil ich auch davon überzeugt bin, dass Wirtschaft und Philosophie nicht zwei binär getrennte Bereiche sind, sondern dass es zwei Seiten einer Medaille darstellen. Soll heißen, das Eine kann nicht wirklich ohne das Andere. Die Wirtschaft fragt sicher nicht nach Philosophen, aber die Philosophen sollten nach der Wirtschaft fragen."

    Dass einer seiner früheren Vorgesetzten Theologe war, hat Schlumprecht einen großen Eindruck gemacht. Philosophie als integrativen Bestandteil des Unternehmens zu verstehen und nicht nur als nettes Beiwerk, ist in seiner Firma noch nicht ganz oben angekommen, sagt Schlumprecht. Aber die Finanzkrise wird helfen, dass das anders wird.