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Von Zeitgenossen verkannt

Erst in den 1960er-Jahren entdeckte die klassische Musik-Szene die Qualitäten des Komponisten Gustav Mahler. Zu Lebzeiten attackierten Musikkritiker die Werke der anerkannten Dirigenten mit gehässigen Polemiken.

Von Dagmar Penzlin | 07.07.2010
    "Muss man denn immer erst tot sein, bevor einen die Leute leben lassen?"

    Diese paradoxe Frage formulierte Gustav Mahler 1904 in einem Brief – aufgebracht darüber, dass die Musikkritiker seine Werke mit gehässigen Polemiken attackierten und dabei auch nicht mit antisemitischen Spitzen sparten. Doch der Komponist wusste auch:

    "Meine Zeit wird kommen".

    Gustav Mahler wurde am 7. Juli 1860 in Kalischt geboren, auf der Böhmisch-Mährischen Höhe - im heutigen Tschechien. Sein Vater, ein jüdischer Café-Besitzer und Branntweinbrenner mit großem Interesse an Literatur, förderte früh das pianistische Talent seines Sohnes. Als der Musikprofessor Julius Epstein ein Klavierstudium empfahl, ließen die Eltern den erst 15-jährigen Gustav nach Wien ziehen.

    Vom Hauptfach Klavier wechselte der literarisch und philosophisch interessierte Student zur Komposition. Dirigieren lernte Gustav Mahler, indem er Pult-Größen seiner Zeit wie Hans von Bülow oder Arthur Nickisch beobachtete.

    Im Herbst 1881 verließ der ehrgeizige Musiker das Konservatorium und startete seine Karriere als Dirigent: auf erste Provinz-Stationen folgten schnell größere Aufgaben. In Städten wie Prag, Leipzig, Budapest und Hamburg machte er sich einen Namen als führender Interpret des deutschen Opernrepertoires. Ans Ziel seiner Träume gelangte Gustav Mahler, als er 1897 Direktor und Dirigent der Wiener Hofoper wurde.

    In Wien sorgte Mahler gemeinsam mit dem Bühnenbildner Alfred Roller für eine Opernreform und erfand die moderne Opernregie. Mahler studierte die Werke nicht nur musikalisch ein, sondern auch szenisch. Er wünschte sich Sänger, die auf der Bühne wie Schauspieler agierten.

    "Die haben nichts zu lachen gehabt da oben. Er ist über die Stiege hinauf und hat den Sängern das direkt vorgemacht, wie sie's machen sollen."

    So der damalige Solocellist der Wiener Philharmoniker, Karl Freith.

    "Er war für mich ein Gott. Er war sehr streng natürlich. Er hat von jedem einzelnen die höchste Leistung verlangt. Und Begeisterung! Wer's nicht getan hat, der war für ihn erledigt."

    Während der Spielzeiten bewältigte Gustav Mahler ein enormes Arbeitspensum als Dirigent und Direktor. In den Sommerferien widmete er sich meistens ganz dem Komponieren.

    Ein Rastloser, der sich getrieben fühlte. Dazu passen die Erinnerungen der Wiener Gräfin Clementine von Ruzicic.

    "Er war klein, er war zierlich. Die Haare sind ihm immer so hinten weg gestanden, ein bisserl. Und er ist furchtbar schnell und zappelig gegangen."

    Mahler schrieb neun Symphonien und eine zehnte unvollendete. Außerdem Lieder und Liedzyklen - unter ihnen etwa die Kindertotenlieder auf Gedichte von Friedrich Rückert.

    Den größten Triumph erlebte Mahler als Komponist mit der gefeierten Uraufführung seiner Achten Symphonie im September 1910 in München. Zu dieser Zeit war er als Dirigent schon seit einigen Jahren in New York engagiert: seit dem Krisenjahr 1907, in dem seine älteste Tochter plötzlich gestorben war und er durch den Weggang aus Österreich Abstand hatte gewinnen wollen. Die Uraufführung der Achten leitete Mahler schon stark geschwächt durch eine fiebrige Halsentzündung und zerrüttet durch die Krise mit seiner Ehefrau Alma Mahler. Hinzu kam ein Herzleiden. Am 18. Mai 1911 starb Mahler in Wien.

    Heute gelten seine Kompositionen als wegweisend für das 20. Jahrhundert. Wie vieldeutig Gustav Mahler musikalische Tonfälle verwendet, ist nach wie vor innovativ, betont der Mahler-Experte Bernd Sponheuer.

    "Es ist alles Musik über Musik. Also Musik, die mit Musik arbeitet, die es schon gegeben hat, die man aus anderen Zusammenhängen her kennt. Dass Musik über sich selbst reflektiert - das ist ein ganz entscheidender Punkt bei Mahler. Und das ist vielleicht der Punkt, der sie auch so modern macht."