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Vor 100 Jahren
Britischer Karikaturist Ronald Searle geboren

Niederträchtige Gören, die ein Nobelinternat in eine Teufelshölle verwandeln: Mit den St. Trinians Girls wurde der britische Karikaturist Ronald Searle berühmt. Doch widmete er sich auch ernsthaften Themen, wie den Nürnberger Prozessen. Heute gilt er als einer der größten Karikaturisten seiner Zeit.

Von Ruth Rach | 03.03.2020
    Schwarz-weiß Foto des Karikaturisten Ronald Searle mit seiner Frau am 8. May 1957.
    Wollte immer auch als ernsthafter Künstler anerkannt werden: der 2011 verstorbene Ronald Searle (picture alliance / United Archives)
    Verlottert. Verschlagen. Verkommen. In Großbritannien sind die Schülerinnen des fiktiven Mädcheninternats St. Trinians so bekannt wie in Deutschland Max und Moritz. Boshafte Kreaturen mit Spinnenbeinen, die mit Hockeyschlägern aufeinander losgehen und sich unter den Augen ihrer sadistischen Lehrerinnen immer neue Gemeinheiten ausdenken, 1954 von Frank Launder erstmals verfilmt.
    Die Teufelsbraten von St. Trinians
    Anfang der 1940er Jahre hat der junge Karikaturist Ronald Searle die St. Trinians Girls erfunden. Aber mit ihrem durchschlagenden Erfolg wuchsen sie selbst ihrem Schöpfer über den Kopf, erzählt der britische Galerist und Cartoon-Experte Chris Beetles. Searle wollte als ernsthafter Künstler anerkannt werden.
    Cartoon des britischen Karikaturisten Ronald Searle: die Schulmädchen von St. Trinians. Die Lehrerin fordert die Internatsschülerinnen auf: "Verratet das Mädchen, das gestern nacht den Ostflügel in Brand gesteckt hat".
    "Wer von euch hat gestern nacht den Ostflügel in Brand gesteckt?" (imago / United Archives)
    "Und so machte er den St. Trinians Girls kurzerhand den Garaus und jagte sie durch eine Atomexplosion im Chemielabor mitsamt ihrer Schule in die Luft. Aber die Teufelsbraten von St. Trinians waren nicht umzubringen. Auch in den darauffolgenden Filmen blieben sie ungeheuer populär."
    Kriegsgefangenschaft in Japan
    Ronald Searle wurde am 3. März 1920 in Cambridge geboren. Mit 15 ging er von der Schule ab und nahm Gelegenheitsjobs an, um sein Kunststudium zu finanzieren: Schon damals publizierte Searle erste Karikaturen. Dann kam der Krieg. Ronald Searle trat in den Dienst der Royal Engineers ein. Er war gerade 19. Drei Jahre später eine Kette von Ereignissen, die sein ganzes Leben überschatteten. Der junge Soldat wurde nach Singapur verlegt und geriet wenige Wochen später in japanische Kriegsgefangenschaft. Chris Beetles:
    "Ronald Searle wurde als Zwangsarbeiter an die berüchtigte Todeseisenbahn von Siam nach Burma verschleppt. Dort musste er auch an der Brücke über den Kwai mitbauen. Unter unmenschlichen Bedingungen. Tausende seiner Kameraden kamen ums Leben."
    So eine Erfahrung lässt einen sein Leben lang nicht mehr los, erklärte Ronald Searle Jahrzehnte später in einem seiner wenigen Interviews mit dem britischen Fernsehsender Channel 4:
    "Ich verbrachte vier Jahre damit, die Geschehnisse heimlich aufzuzeichnen. Was hier ablief, hatte mit dem Bau einer Eisenbahnlinie nichts mehr zu tun. Das war reiner Mord."
    Zeichnen wie besessen
    Nach vier Jahren Gefangenschaft kehrte Ronald Searle nach Großbritannien zurück. Er litt an Malaria, war bis auf die Knochen abgemagert. Und arbeitete wie besessen. Cartoons für Punch, Karikaturen für Le Monde. Titelseiten für den New Yorker. Er entwarf Filmsets und berichtete als zeichnender Reporter über Gerichtsprozesse: über den Nürnberger Prozess im Jahr 1945 und 16 Jahre später über den Eichmann Prozess in Jerusalem. Robert Searle:
    "Eichmann wirkte so banal. Hier war jemand, der sagte: Ich habe lediglich Befehle ausgeführt, ich bin ein reiner Funktionär: morgen werden 15.000 Menschen hingerichtet. Für ihn hatte das keinerlei Bedeutung."
    Searle zeichnete die Angeklagten so akkurat wie möglich, ohne Interpretation, ohne Übertreibung. Chris Beetles:
    "Er versuchte nicht, sie als Inbegriff des Bösen darzustellen. Sondern so, wie sie im Gerichtssaal vor ihm saßen: ausdruckslos, ohne jedes Gefühl. Und genau das machte den Horror noch entsetzlicher."
    Bizarrer und albtraumhafter Humor
    Im Alter von 41 beschloss Ronald Searle, sein Leben drastisch zu verändern. Abrupt verließ er seine Familie und ließ sich für immer in Frankreich nieder. In einem kleinen Dorf in der Provence widmete er sich seiner Kunst. Er starb 2011. Seine gesamte private Sammlung hat er dem Wilhelm Busch Museum in Hannover vermacht.
    "Ronald Searle war der größte Karikaturist seiner Zeit", sagt Chris Beetles. Allerdings sei der Künstler in Deutschland und Frankreich weitaus mehr verehrt worden als in Großbritannien selbst.
    Eine gezeichnete Comicblase zeigt das wort "Boom"
    Schauraum Comic+Cartoon: "Der Comic war das erste Massen-Bildtext-Medium"
    Comics boomen in Deutschland. Lange Zeit wurde das Medium bei uns jedoch als minderwertig angesehen. Das ändere sich allmählich, sagte die Projektleiterin des neuen Schauraums "Comic+Cartoon" in Dortmund, Nassrin Sadeghi, im Dlf.
    "Vielleicht liegt es daran, dass sein Humor gar so bizarr sein kann und bisweilen so grausam und albtraumhaft, dass er eher den kontinentaleuropäischen Geschmack trifft, als den der Briten: Sie bevorzugen Witze und den harmloseren Humor. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir unsere Künstler einfach sehr viel weniger schätzen und ernst nehmen als unsere kontinentaleuropäischen Nachbarn."