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Vor 100 Jahren geboren
Der italienische Filmregisseur Federico Fellini

Federico Fellini war einer der radikalsten und beständigsten Regisseure, die den Film zur Moderne hin öffneten: Die freie Erzählweise, die Selbstreflexion des Mediums, die Öffnung zu Psychoanalyse und Gesellschaftskritik und das Prinzip des Autorenfilms wäre ohne den „Maestro“ kaum denkbar.

Von Georg Seeßlen | 20.01.2020
    Großaufnahme in Schwarzweiß von Marcello Mastroianni und Anita Ekberg, die in einem Stadtbrunnen stehen und sich küssen.
    Marcello Mastroianni und Anita Ekberg in Federico Fellinis "La Dolce Vita" aus dem Jahr 1960. (imago/Mary Evans)
    Was für eine Geschichte! Für 10 000 Lire kauft Zampano, der kettensprengende Kraftmensch, das Mädchen Gelsomina. Als Trommlerin und Clown wird sie seine Kunststücke auf dem Jahrmarkt ankündigen. Doch da ist ein Seiltänzer, der wie ein etwas boshafter Engel in ihr Leben schwebt. Zampano, eifersüchtig, zornig und gekränkt, ermordet diesen Engel. Gelsominas Engel bleibt tot auf der Straße liegen. Darum verliert Zampano auch sie, vielleicht den einzigen Menschen, der ihn je geliebt hat. Und nun wird er einsam bleiben auf den Straßen Italiens, nur Gelsominas sanftes Trompetenlied wird ihn nicht mehr verlassen.
    Giulietta Masina - mehr als nur die Ehefrau
    Zampano, das war Anthony Quinn, einer der vielen amerikanischen Schauspieler, die im italienischen Film der Fünfziger- und Sechzigerjahre ihr Auskommen fanden. Aber die eigentliche Sensation des Films "La Strada" aus dem Jahr 1954, war Giulietta Masina als eine Art weiblicher Charlie Chaplin, die clownsgesichtige Elfe aus den Strandhütten der Armen. Giulietta Masina wurde mehr als nur die Ehefrau von Federico Fellini, sie war ein Teil seines filmischen Kosmos, ein Teil seines Genies.
    Hätte Federico Fellini nur diesen einen Film gedreht mit dieser ewigen Musik von Nino Rota dazu, er wäre schon damit einer der Unsterblichen des europäischen Films geworden. Aber mit diesem Film ging es erst richtig los mit einer beispiellosen Karriere, die die Geschichte Italiens begleitete, von den drückenden Jahren des Faschismus über das süße Leben in den Jahren des "Wirtschaftswunders" bis zu den politischen und kulturellen Krisen der Siebzigerjahre.
    Erzogen zu Ironie und Rebellion
    Federico Fellini, geboren am 20. Januar 1920 in Rimini, Sohn einer Römerin und eines Bauernsohnes der Emilia-Romagna, erzogen zu Ironie und Rebellion in einer faschistischen und katholischen Lehranstalt, Karikaturist, dann Radiodramaturg und schließlich Drehbuchautor in der römischen Filmfabrik Cinecittà. Sein Debüt als Regisseur im Jahr 1950 behandelte das, was er in der ewigen Stadt am besten kannte und am meisten liebte: die Lichter des Varieté.
    Der italienische Regisseur Federico Fellini, aufgenommen 1972 in Rom.
    Der italienische Regisseur Federico Fellini, aufgenommen 1972 in Rom. (picture-alliance / dpa / Klaus Heirler)
    Fellini konnte böse, kritisch, melancholisch, ironisch und poetisch sein, manchmal alles auf einmal; er war zugleich der Chronist der italienischen Nachkriegsgesellschaft und der Mythomane von Cinecittà, der eine ganz eigene Welt und ein ganz eigenes Kino schuf, das mit Träumen und schönen Lügen so viel zu tun hat wie mit einem körperlichen Realismus. In Fellinis Filmen kann man nach allem möglichen fragen, nur nicht nach einer eindeutigen Botschaft.
    "Es gibt eine Wahrheit, aber ich glaube, man kann sie niemals abschließend formulieren. Nichts endgültiges, nein! Es sind Geschichten von Menschen, vom Menschsein, so wie vielleicht Propheten erzählen, Geschichten, die eine Wahrheit symbolisch, bildhaft formulieren, die eine innere Wahrheit beinhalten, aber keine simple Botschaft."
    Karneval der Physiognomie
    Ein Prophet des Kinos, das war Federico Fellini bestimmt. Aber einer, der über dem Grauen des Kommenden nie die Lust der Gegenwart vergaß. Fellini liebte einfach menschliche Gesichter, und jedes seiner Projekte begann mit einer langen Suche nach Gesichtern, die er in seinen Filmen präsentierte, die meisten scheinbar beiläufig und im Hintergrund. Ein Karneval der Physiognomie, der bizarren Tänze, der Lust und der Trauer - das war das Kino des Federico Fellini, das nicht zufällig endete mit einem Film zu Ehren des Traumsterns: "Die Stimme des Mondes".
    Am 31. Oktober 1993 starb Federico Fellini an den Folgen eines Herzanfalls. Die Gemeinde Rimini errichtete ein Ehrengrab auf dem Cimitero Monumentale. Ein Ort, natürlich, wie aus einem Fellini-Film, ein wenig traurig, ein wenig komisch, ein wenig heilig und ein wenig profan. Federico Fellini hat keine Filme geschrieben. Er hat Filme geträumt.