Donnerstag, 28. März 2024

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Vor 100 Jahren geboren
Eric Rohmer - der filmende Liebesforscher

"Vollmondnächte", "Das grüne Leuchten", "Der Freund meiner Freundin, "Die Marquise von O.": Eric Rohmer gilt als zentraler Protagonist der französischen Regiebewegung Nouvelle Vague. Der cineastische Meister der Gefühle wurde heute vor 100 Jahren geboren.

Von Katja Nicodemus  | 21.03.2020
    Der französische Regisseur Eric Rohmer
    Ließ den Gefühlen ihr Mysterium: Eric Rohmer (dpa / Vandermeer)
    Er hat dem Kino den Diskurs über die Liebe geschenkt. Eric Rohmers Figuren lieben aus Begeisterung, aus Langeweile, aus Überdruss, aus Neugier, aus der Lust am Verführen und Verführtwerden. Sie wollen bedingungslos lieben, aber auch bedingungslos frei sein, abhängig und unabhängig. Ein früher Rohmer-Held, der diesen Zustand auf exemplarische Weise durchlebt, ist Jean-Louis, gespielt von Jean-Louis Trintignant, in dem Film "Meine Nacht mit Maude" aus dem Jahr 1969.
    Am Morgen ahnt Jean-Louis noch nicht, dass er in einem Gottesdienst einer madonnenhaft aussehenden Blondine begegnen wird, die er für die Frau seines Lebens hält. Bei einem Abendessen wird er die verführerische Maude kennenlernen, mit ihr über Treue und Untreue diskutieren und die Nacht mit ihr verbringen. Es ist der Beginn einer typisch Rohmerschen Konstellation. Stets werden die Verstrickungen umso komplizierter, je klarer sich die Liebenden zu entscheiden glauben. Auch in Rohmers nächstem Film "Claires Knie" hat der Held Jérôme zunächst große Vorsätze, als er im Urlaub einer alten Freundin begegnet.
    "Wenn ich nicht gerufen hätte, hättest du mich erkannt?"
    "Natürlich, du bist höchstens noch schöner geworden und siehst jünger aus als je zuvor. Aber erstens saß ich am Steuer und zweitens sehe ich mich nicht mehr nach Frauen um. Ich drehe mich nicht mehr nach ihnen um, weil ich bald heirate."
    Vierzig Jahre lang dieselben Fragen
    Das Knie einer jungen Frau, wird Jérôme auf Ab- oder Umwege führen – die in den Filmen von Eric Rohmer letztlich die eigentlichen Wege sind. Wie wird aus einem zufälligen Blick Begehren? Und aus Begehren Liebe? Wie entsteht aus romantischer Liebe tiefe Zuneigung? Das scheinen Rohmers Filme über vierzig Jahre hinweg zu fragen. Und wieviel von diesem Gefühl ist eingebildet – oder etwa der Unbeschwertheit eines Ferienaufenthalts am See samt gemietetem Motorboot geschuldet?
    Eric Rohmers Filme spielen oft am Meer, am Strand, in Landhäusern, in Gärten, in der sommerlichen Natur. In der von Arbeit und dem Takt des Alltags befreiten Zeit lässt sich das Experiment der Liebe unter Idealbedingungen arrangieren. Beobachtet von einer sich leichtfüßig bewegenden Kamera.
    Eric Rohmer, am 21. März 1920 in der zentralfranzösischen Kleinstadt Tulle geboren, hatte zunächst literarische Ambitionen. 1946 veröffentlichte er seinen einzigen Roman "Elisabeth" und begann kurz darauf, Filmkritiken zu schreiben. Er wurde Mitarbeiter der renommierten Kinozeitschrift "Cahiers du Cinéma", die er mehrere Jahre lang leitete. Hier traf er auf seine ebenfalls kinobegeisterten Kollegen Claude Chabrol, Jean-Luc Godard, François Truffaut und Jacques Rivette. Gemeinsam wurden sie zur Regiebewegung der Nouvelle Vague. Gemeinsam brachten sie Lebensgefühle jenseits der bürgerlichen Koordinaten von Arbeit, Besitz, Familie auf die Leinwand. Innerhalb der Nouvelle Vague entwickelte Eric Rohmer mit seinen filmischen Beziehungs- und Liebesbefragungen einen eigenen Stil. Scheinbar improvisiert sprechen seine Figuren, die er mit spielerischer Spontaneität inszeniert. Und immer wieder scheinen sie sich durch das Sprechen selbst ihre Gefühle zu vergegenwärtigen.
    Moralische Erzählungen, Komödien und Sprichwörter
    "Was mir die Idee, die Kraft und den Mut für lange Gespräche in meinen Filmen gegeben hat, waren Interviews, die ich als Journalist der "Cahiers du Cinéma" mit Regisseuren führte. Beim Transkribieren der Aufnahmen wurde mir klar, wie die Menschen reden. Nämlich anders als in Büchern, wo die gesprochene Sprache simuliert wird. Nein, die Menschen sprechen letztlich wie in der Schriftsprache – mit sehr langen Sätzen."
    Eric Rohmer, der im Jahr 2010 im Alter von 89 Jahren in Paris starb, drehte Filmzyklen über moralische Erzählungen, über Komödien und Sprichwörter. Alle sind erfüllt von einer Erotik der Sprache. Von libidinösen Suchbewegungen, die sogar die Mikrostruktur der Dialoge erfassen. In "Wintermärchen", dem letzten, 1992 entstanden Teil von Rohmers Jahreszeitentrilogie, will die junge Friseuse Félicie mit ihrem Kollegen Maxence in die Provinz ziehen. Was nur wir wissen: Unter ihren zweifelnden Sätzen verbirgt sich ihre Sehnsucht nach einem anderen.
    "Du glaubst nicht, dass ich dich liebe?"
    "Du glaubst nicht, dass ich dich liebe, du hast kein Vertrauen zu mir, stellst mich vor vollendete Tatsachen."
    "Seit drei Monaten sprechen wir davon."
    "Ja, aber nur sehr vage."
    Eric Rohmer, der große Liebesforscher, lässt den Gefühlen ihr Mysterium. Voller Zuneigung schaut er seinen Figuren zu, die um das Geheimnis der entstehenden und entschwindenden Anziehung - und um sich selbst - kreisen. Rohmers Kino zeigt, dass es die Liebe und die Sprache der Liebe ist, die uns zu fühlenden Wesen und ganz schlicht: zu Menschen macht.