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Vor 100 Jahren in Betrieb genommen
Ein Spiegelteleskop verändert das Bild vom Universum

Zuerst sah es so aus, als wäre das gigantische Spiegelteleskop vom Mount-Wilson-Observatorium in Kalifornien eine fatale Fehlkonstruktion. Doch kurze Zeit nach Inbetriebnahme konnten die Astronomen so weit wie noch nie zuvor ins Weltall schauen - und dabei überraschende Erkenntnisse über die Natur des Universums machen.

Von Dirk Lorenzen | 01.11.2017
    Das Spiegelteleskop des Mount-Wilson-Observatoriums
    Blick in ferne Galaxien: Das Spiegelteleskop des Mount-Wilson-Observatoriums (imago stock & people)
    Am Abend des 1. November 1917 versammelte sich ein Dutzend Menschen in der Kuppel des nagelneuen Spiegelteleskops auf dem Mount Wilson, einem Berg nördlich von Los Angeles. Der britische Dichter Alfred Noyes, Gast des Sternwartendirektors George Ellery Hale, hat den feierlichen Moment später in seiner Novelle "Die Himmelsbeobachter" verewigt:
    "Die Erforscher des Himmels,
    die Pioniere der Wissenschaft,
    waren nun bereit, ein weiteres Mal
    die Dunkelheit zu attackieren
    und neue Welten zu gewinnen."
    Das Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von gut zweieinhalb Metern war das mit Abstand größte der Welt - aufgrund seines riesigen Spiegels konnte es dreimal mehr Licht sammeln als das zweitgrößte damalige Instrument. Die Astronomen richteten das Fernrohr nun zum ersten Mal auf den Nachthimmel - und blickten erwartungsvoll in das Okular.
    Entsetzen beim Blick durchs Okular
    "Was wir sahen, entsetzte uns. Denn wir hatten nicht ein Bild von Jupiter im Blickfeld, sondern sechs oder sieben sich teilweise überlappende Bilder, die ganz unregelmäßig angeordnet waren."
    Fast beschwörend sahen die Astronomen wieder und wieder durch das Teleskop - doch das Bild blieb verwaschen. Der Bau dieses Monstrums war ein großes Risiko gewesen. Technische Hürden, finanzielle Engpässe und die Wirren des Ersten Weltkrieges hatten die Fertigstellung um viele Jahre verzögert. Zweifler hatten stets gewarnt, das Projekt sei viel zu kühn. Die Beobachtungsrunde kam überein, einige Stunden zu warten und das Teleskop weiter abkühlen zu lassen. Bei Bauarbeiten am Vortag hatte es direktes Sonnenlicht abbekommen, war entsprechend aufgeheizt und hatte sich dadurch etwas verformt.
    "Man wollte sich in den 'Kloster' genannten Schlafräumen zur Ruhe begeben und um drei Uhr früh wieder treffen. Doch niemand konnte schlafen, und alle waren viel früher am Teleskop."
    So heißt es in einem Bericht jener aufregenden Nacht. Weil der Planet Jupiter inzwischen untergegangen war, richteten die Astronomen ihr Teleskop nun auf einen Stern.
    Hoch gepokert - und doch gewonnen
    "Schon nach dem ersten Blick, den George Hales wagte, war alles klar: Im Zentrum des Okulars funkelte ein brillanter, perfekt fokussierter Lichtpunkt. Hale hatte hoch gepokert - und doch noch gewonnen."
    Dieses Teleskop ermöglichte wegen seines enormen Durchmessers auch den Blick auf Himmelsobjekte, die sehr weit entfernt und damit äußerst lichtschwach waren - in den bis dahin existierenden Fernrohren waren sie nicht zu erkennen gewesen. 1919, knapp zwei Jahre nach jener denkwürdigen Nacht des ersten Lichts, kam ein junger Astronom namens Edwin Hubble aus Chicago auf den Mount Wilson. Dort schrieb er Astronomie-Geschichte, erklärt Gudrun Wolfschmidt, Wissenschaftshistorikerin an der Universität Hamburg:
    "Der Hubble hatte natürlich die große Chance, das größte Teleskop der Welt zu benutzen, was gerade gebaut worden ist. Und an diesem Teleskop durfte er seine Doktorarbeit machen… Und da hat er für Andromeda-Nebel 800.000 Lichtjahre rausbekommen, also auf jeden Fall eindeutig weit außerhalb unserer Milchstraße. Damit war also bestätigt, dass es extragalaktische Systeme gibt."
    Ungeheuerliche Erkenntnisse über das Universum
    Bis dahin hatten die Astronomen geglaubt, das Universum sei ein sehr begrenztes Idyll, in dem es nur unsere Milchstraße mit ihren Sternen, Planeten und Gaswolken gebe. Edwin Hubble aber zeigte, dass der Nebelfleck in der Andromeda nicht eine Gaswolke in unserer Milchstraße ist, sondern eine eigene, weit entfernte Galaxie. Mit einem Mal war der Kosmos schier unendlich groß. Einige Jahre später entdeckte Edwin Hubble zudem, dass das Universum nicht stillsteht, sondern sich ausdehnt - als Folge des Urknalls. Diese Idee galt damals als völlig absurd. Selbst Albert Einstein hielt den Kosmos für ewig unverändert und pilgerte auf den Berg bei Los Angeles:
    "1931 ist Einstein nach Mount Wilson gereist und hat die Sache mit den Astronomen und insbesondere mit Hubble diskutiert. Und da wurde die Sache dann klarer und die Akzeptanz für das expandierende Universum wurde deutlicher."
    Das Zweieinhalb-Meter-Teleskop blieb gut dreißig Jahre lang das größte Instrument der Welt. Erst das legendäre Fünf-Meter-Teleskop auf dem Palomar Mountain hat es überholt. Heute sind Rieseninstrumente mit fast 40 Metern Durchmesser in Bau. Doch so fantastisch die Reichweiten moderner Fernrohre auch sein mögen: Die bis heute wichtigsten Teleskopbeobachtungen der Astronomie gelangen mit dem Instrument auf dem Mount Wilson.