Vor 100 Jahren starb Frank Wedekind

Provokateur und Wegbereiter des Theaters

Der Dramatiker, Lyriker, Erzähler, Kabarettist und Schauspieler Frank Wedekind in einer undatierten Aufnahme.
Der Dramatiker, Lyriker, Erzähler, Kabarettist und Schauspieler Frank Wedekind © dpa
Von Christian Linder · 09.03.2018
Frank Wedekind griff die herrschende Moral im wilhelminischen Deutschland an. Dementsprechend regelmäßig wurde er zensiert. Die Bedeutung des Schriftstellers für die Entwicklung des neuen deutschen Theaters wurde erst später erkannt.
Das schönste Interview gab Frank Wedekind sich selbst:
"Ihre Idee vom Glück? Seinen Anlagen gemäß verbraucht zu werden. – Worin sind Sie am geschicktesten? Im Lügen. – Lieblingsbuch? Casanova. – Lieblingsfarbe? Rot."
Die Farbe Rot hat in den Erinnerungen von Wedekinds ältester Tochter Pamela einen bleibenden Eindruck hinterlassen:
"Im Arbeitszimmer meines Vaters war alles rot: rote Teppiche, rote Tapeten, rote Vorhänge."
Als junges Mädchen durfte sie oft dabei sein, wenn der Vater unruhig hin und her lief und von ihm selbst vertonte Gedichte zur Gitarre sang. Auch Pamela lernte bald, die Gitarre zu spielen, und hat später gern Gedichte ihres Vaters vorgetragen:
"Glaub nur nicht, o Menschenbrut, / Dass in eitel Träumen unser Dasein wir verläppern! / Weißt ja nicht, wie Liebe tut, / Wenn vom lichten Galgen die Gerippe dazu scheppern."

Auf einem Schweizer Schloss aufgewachsen

"Lieblingssport? Theaterspielen. – Lieblingsspiel? Das Spiel mit der Welt."
Dieses Spiel mit der Welt hat der 1864 als Benjamin Franklin Wedekind in Hannover geborene und später auf einem Schloss im schweizerischen Aargau aufgewachsene Sohn eines vermögenden Arztes mit Aufsehen erregendem Einsatz betrieben. So hatte er sich die Rolle des Prolog-Sprechers in seinem 1898 in Leipzig uraufgeführten Theaterstück "Erdgeist" gleich selbst auf den Leib geschrieben.
Als "Tierbändiger" kostümiert, im – natürlich – zinnoberroten Frack mit weißen Beinkleidern und in Stulpstiefeln, mit einer "Hetzpeitsche" in der linken und einem geladenen Revolver in der rechten Hand, begrüßte er das Publikum:
"Hereinspaziert in die Menagerie, / Ihr stolzen Herren, / ihr lebenslust'gen Frauen, / Mit heißer Wollust und kaltem Grauen / die unbeseelte Kreatur zu schauen."
Peitsche und Pistole signalisierten: "Knallen" sollten seine Sätze.
"Greife wacker nach der Sünde, aus der Sünde wächst Genuss."

Angriff auf die herrschende Moral

Dass der Autor in der Hochzeit des wilhelminischen Deutschlands die herrschende Moral angriff, indem er Onanie-Szenen auf die Bühnen brachte oder zeigte, wie – in dem Stück "Frühlings Erwachen" – ein minderjähriges Mädchen von einem minderjährigen Jungen verführt wurde, ließ die Zensur natürlich wüten.
Der Autor versuchte zu widerstehen:
"Ihr Hauptcharakterzug? Ich hoffe: Starrköpfigkeit."
Wedekind verschärfte nicht nur seinen klirrenden Ton, er spielte auch immer öfter selbst die Hauptrolle in seinen Stücken. Bei einer Aufführung von "Der Marquis von Keith" saß Thomas Mann im Publikum:
"Ich sah das Stück in München im Schauspielhaus mit Wedekind in der Titelrolle. Man kennt sein Spiel, das nicht Kunst war, nicht Schauspielerei, sondern eine beklemmende Wirklichkeit, atemlos, linkisch, schamhaft emphatisch und erschütternd lächerlich wie seine Seele."
Das unruhige, "dämonisch gequälte Kind", das Thomas Mann hinter dem Leben und Schreiben des Autors zu erkennen meinte, geriet zwar, auch hinsichtlich früher heftig ausagierter erotischer Eskapaden, in eine ruhigere Lebensbahn, nachdem sich Wedekind in die Darstellerin seiner später populärsten Frauen-Figur, Lulu, verliebt und sie geheiratet hatte.

Große Wirkung erst lange nach seinem Tod

Aber die Zensur-Maßnahmen und die für ihn "halsstarrige Abneigung des großen Publikums" blieben ein ständig niederziehendes Erlebnis. Erst lange nach Wedekinds Tod am 9. März 1918 im Alter von 53 Jahren begriff man seine volle Bedeutung.
Mit Hinweis auf Günther Rühles Feststellung, Wedekinds Dramen seien der "Grund" gewesen, "auf dem das neue deutsche Theater sich entwickelte", hat Anatol Regnier in seiner jüngsten, 2008 erschienenen Biografie diese Wirkung damit erklärt, dass Wedekind weniger dem Gefühl als dem Gedanken auf der Bühne den Weg bereitete:
"So hat er ja auch gespielt, er hat also nicht geschauspielert, sondern die Leute wie ein Rechtsanwalt angesprochen, überzeugt, kraft des Gedankens und des Arguments, und ich denke, das ist das neue deutsche Theater, ohne das Brecht zum Beispiel überhaupt nicht denkbar gewesen wäre."
Pamela Wedekind: "Sonne bald den Berg erklimmt, / Uns bis übers Jahr in alle Winde zu verschlagen. / Die vom Schicksal wir bestimmt, / Unerreichte Truggebilde krampfhaft zu erjagen."
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