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Vor 125 Jahren: Uraufführung "Ein idealer Gatte"
Das Gespenst gesellschaftlicher Ächtung

Oscar Wilde schrieb Märchen, Essays, Theaterstücke und Romane und machte sich einen Namen als Erzähler und Dramatiker. Seine viktorianische Gesellschaftskomödie „Der ideale Gatte“ wirkt bis heute besonders aktuell. Vor 125 Jahren wurde das Stück in London uraufgeführt.

03.01.2020
    Zeitgenössische Aufnahme des irisch-britischen Schriftstellers Oscar Wilde. ("Dorian Gray", "Eine Frau ohne Bedeutung", "Lady Windmeres Fächer"). Er wurde am 16.10. 1854 in Dublin geboren und verstarb am 30.11.1900 in Paris.
    Porträt des Schriftstellers Oscar Wilde (picture alliance / dpa / Diener)
    London am 3. Januar 1895. Das Premieren-Publikum im Haymarket-Theater macht sich auf einen amüsanten Abend gefasst. Gegeben wird eine neue Komödie von Oscar Wilde: "An Ideal Husband" – "Ein idealer Gatte". Das Personal des Stücks: Eine exemplarische Versammlung der britischen Society, die Oscar Wildes privatem Umgang sehr ähnlich sah.
    "Der Earl of Caversham, Ritter des Hosenbandordens. Lord Goring, sein Sohn. Sir Robert Chiltern, Staatssekretär, Mr. Montford, sein Sekretär. Mason, Sir Robert Chilterns Butler ..."
    Auftakt: Eine Abendgesellschaft bei Sir Robert Chiltern und seiner Frau. Er ein speziell wegen seiner seltenen Integrität gerühmter Politiker, sie eine Säule der Moral und der Frauenbewegung. Zu Lady Chilterns Ärger erscheint auch Mrs. Cheveley, eine Frau mit dem, was der puritanische Konsens eine Vergangenheit nennt. Ausgerechnet sie kennt den verborgenen Fleck auf Sir Roberts weißer Weste: Er hatte zu Beginn seiner Karriere einem Spekulanten Insiderwissen aus dem Regierungskabinett teuer verkauft.
    Nun steht die Vergangenheit vor ihm auf, in Gestalt der Mrs. Cheveley, die sein Versagen mit einem belastenden Brief beweisen könnte - es sei denn, Chiltern würde im Unterhaus gegen besseres Wissen einen offenkundigen Börsenschwindel empfehlen, in den Mrs. Cheveley viel Geld investiert hat. Kühl führt sie ihm seinen möglichen Ruin vor Augen.
    Theaterzettel der Urauffuehrungim Londoner Haymarket Theatre am 3. Januar 1895: An Ideal Husband (Ein idealer Gatte)m von Oscar Wilde
    Das Theaterstück "Der ideale Gatte“wurde am 3. Januar 1895 erstmals in London aufgeführt (akg)
    "Wir heutzutage mit unserer modernen Manie für Moral müssen uns alle als Ausbund von Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit und sämtlicher sieben Tod-Tugenden ausgeben - und mit welchem Resultat? Alle fallen um wie die Kegel. ... Früher wurde ein Mann durch Skandale erst attraktiv oder zumindest interessant - heute brechen sie ihm das Genick."
    Sir Robert fürchtet um die Liebe seiner Frau
    Ein Thema, das nie veraltet. Aber mehr noch als die Hyäne der öffentlichen Meinung fürchtet Sir Robert um die Liebe seiner untadeligen Frau, die ihn doch für den idealen Ehemann hält. Rat und sogar Hilfe findet er bei seinem Freund Lord Goring, von Beruf Dandy: Experte in Kleidungsfragen und zuständig für spitze Bonmots für jede Gelegenheit. Also das häufig - bis hin zur düsteren Figur des Dorian Gray - auftauchende Alter Ego des Autors, Oscar Wilde.
    "Die Liebe zu sich selbst ist der Beginn einer lebenslangen Romanze."
    Sagt Lord Goring alias Wilde, wird aber dann doch am Ende der Komödie zu Sir Roberts junger Schwester Mabel finden.
    "Natürlich bin ich nicht annähernd gut genug für dich, Liebste."
    "Ich bin so froh, Liebling. Ich fürchtete schon, du wärest es."
    "Und ich bin ... knapp über dreißig."
    "Liebster, du siehst Wochen jünger aus!"
    Vier Akte voller paradoxer, witziger, manchmal zynischer Dialoge
    Auch die Ehe der Chilterns scheitert nicht an der Beichte des reuigen Sünders. Welch‘ glücklicher Zufall aber auch, dass Lord Goring die Erpresserin mittels eines Armbands, das sie einst entwendet hatte, unschädlich machen konnte. Sir Robert kann es kaum fassen: Seine untadelige und erleichterte Gattin verzeiht ihm.
    "Es ist Liebe, Robert. Liebe und nichts als Liebe. Für uns beide fängt ein neues Leben an."
    Ein ziemlich konventioneller Schlusssatz für eine Komödie, in der es vier Akte lang geistreiche, paradoxe, witzige, manchmal zynische Dialoge regnete. Fast möchte man an Wildes ironisches Bekenntnis denken:
    "Meine Stücke sind nicht gut, ich weiß, aber das macht mir nichts aus. Sie sind fast alle aufgrund einer Wette entstanden."
    Ächtung Wildes durch das viktorianische England
    Die Kombination von prinzipienfernem Esprit und Moralbedürfnis prägte schon früher Oscar Wildes Komödien, ebenso wie die Figur der sogenannten "gefallenen Frau", also eine, die sich hat erwischen lassen. Sich im Theater über die eigenen beschwiegenen Makel, die eigene Heuchelei zu amüsieren, damit hatte Wildes Publikum kein Problem. Weniger amüsiert reagierte die gute Gesellschaft, als er im April 1895 verhaftet wurde. Das Verhängnis der sozialen Ächtung traf den Autor leibhaftig.
    Sein Vergehen, das zu Prozess und Verurteilung führte, nannte sich "Unzucht" und meinte homosexuelle Beziehungen. Im Gefängnis gebrochen, aus der Gesellschaft verbannt, verbrachte er drei traurige letzte Jahre außerhalb Englands. Seine letzte und meisterhaft gelungene, federleichte Komödie, "Bunbury oder die Kunst ernst zu sein", war noch vor seiner Verhaftung, im Februar 1895, uraufgeführt worden.