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Vor 150 Jahren geboren
Die Tänzerin und Mätresse Carolina "La Bella" Otero

Sie war eine der einflussreichsten Frauen der Belle Époque: Carolina Otero, wegen ihrer Schönheit schlicht "La Bella Otero" genannt, war die Geliebte von sechs gekrönten Häuptern. Vor 150 Jahren wurde die Tänzerin und Sängerin, die ein Geheimnis um ihre Herkunft machte, in einem galizischen Dorf geboren.

Von Julia Macher | 04.11.2018
    Carolina Otero, eine Aufnahme aus dem Jahr 1905
    Sie fütterte die Journalisten gerne mit Anekdoten, von denen wenige stimmten: Carolina Otero oder auch: La Bella Otero (dpa/Imagebroker - Jaime Abecasis)
    "Der Vorhang hob sich und endlich kam die Otero. Sie trug ein Kleid aus weißem Satin mit einem tiefen, von Straußenfedern gesäumten Ausschnitt. Um einen Teil ihrer großartigen Beine zu zeigen, war das Kleid an den Seiten offen. Die Reinheit und Schönheit ihres bleichen Antlitzes ließ eine Dame in der ersten Reihe seufzen: 'Sie ähnelt einer Madonna'. Und noch bevor der Vorhang fiel, sprach das ganze Theater von der neuen spanischen Tänzerin als Madonna."
    Als Carolina Otero 1890 die Bühne der New Yorker Music Hall "Eden Museum" betrat, überbot sich nicht nur die Zeitung "The Sun" in Lobeshymnen. Die spanische Tänzerin fütterte die Journalisten bereitwillig mit Anekdoten. Sie sei die Tochter einer Zigeunerin und eines im Duell getöteten Offiziers, habe eine unglückliche Ehe mit einem Grafen hinter sich und sei gerade auf der Flucht vor einem drohenden Duell. Nichts davon stimmte. Aber als eine der ersten Künstlerinnen hatte Carolina Otero verstanden, dass nur ein Mythos unsterblichen Ruhm garantiert.
    Uneheliche Tochter einer Bettlerin
    Ihre wahre Geschichte taugte kaum zur Legende. Augustina Otero Iglesias, geboren am 4. November 1868 in dem galizischen Dorf Valga, wuchs als uneheliche Tochter einer Bettlerin auf. Mit zehn Jahren wurde sie von einem Dorfbewohner so brutal vergewaltigt, dass sie zeitlebens unfruchtbar bleiben sollte. Sie floh von zu Hause, schloss sich einer Schaustellertruppe an und fand über Barcelona ihren Weg nach Frankreich.
    Dort hatte Bizets Oper Carmen eine nie dagewesene Spanien-Begeisterung ausgelöst. Wer wie Otero so perfekt das Klischee der schwarzhaarigen und glutäugigen Schönheit erfüllte, konnte auf Engagements hoffen. Den ersten Auftritten in Tanzlokalen folgte die Amerika-Tournee, die aus ihr "La Bella Otero" machte: die begehrteste Frau Europas, frivole Ikone der Belle Époque. Zehn Jahre stand sie jeden Abend auf der Bühne der Folies Bergères. Zu ihren Privatvorstellungen, bei denen sie barfuß auf den Tischen tanzte, lud sie nur einen erlauchten Kreis. Einmal servierte sie sich selbst zum Nachtisch - auf einem Silbertablett liegend, bekleidet nur mit einem hauchdünnen Tuch und ein paar Juwelen. "La Bella Otero" verstand sich aufs Marketing.
    "Die Männer sind zu allem bereit, nur um mich an ihrem Arm zu sehen. Ich steigere so ihren sozialen und ihren wirtschaftlichen Status. Das hat natürlich seinen Preis."
    "Sklavin meiner Leidenschaften"
    Bei ihren öffentlichen Auftritten ließ sich "La Belle", "die Schöne", von einem Juwelier begleiten, der Verehrer über das passende Geschenk beriet. So wie Carolina Otero als Statussymbol das Ansehen ihrer Begleiter steigerte, profitierte auch sie vom Prestige ihrer Liebhaber. Mit sechs gekrönten Häuptern teilte sie Bett und Opernloge. Autobauer De Dion stimmte die Höhe seiner Wagen auf ihre Hüte ab, die Kuppeln des Hotel Carlton in Cannes waren der Form ihrer Brüste nachempfunden. Madame Otero selbst behielt auch auf dem Höhepunkt der Begeisterung einen kühlen Kopf. Zumindest in der Liebe.
    "Ich war zwar Sklavin meiner Leidenschaften, aber niemals eines Mannes", sagte sie einmal und gestand freimütig: "Wahre Leidenschaft ist, wenn man alles vergisst – sogar sich selbst. Das ist mir nur beim Spiel passiert. Für mich gibt es auf dieser Welt nur zwei unvergleichliche Vergnügen: das eine ist zu gewinnen. Das andere – zu verlieren."
    Gesamten Besitz verzockt
    Seit ihrer Jugend war Otero Stammkundin im Casino von Monte-Carlo. Als der Erste Weltkrieg die Belle Époque in Trümmer schlug, zog sie sich aus der Öffentlichkeit zurück, gab sich ganz ihrer großen Leidenschaft hin. Die reichste Frau der Welt verzockte ihren gesamten Besitz. Die Contenance behielt sie. 1948, bei der Versteigerung ihrer letzten Habe, gab sie zu Protokoll: "Ich verkaufe nur die Dinge, die ich nicht mehr brauche. Ich lebe gut von meinen Tantiemen. Vielleicht kann ich nicht jeden Tag Champagner zum Abendessen trinken, aber ich leide keine Not!"
    Ihre letzten Jahre verbrachte Carolina Otero in einem möblierten Zimmer in einer Pension in Nizza, finanziert von einem anonymen Spender, der ihr monatlich 625 Francs überwies.
    Als "La Bella Otero" am 12. April 1965 mit 97 Jahren starb, hatten fast alle ihre Weggefährten längst das Zeitliche gesegnet. Zeugen wollen bei ihrem Begräbnis trotzdem einen Rolls Royce mit königlichem Wappen und einen weinenden Greis darin gesehen haben. Wahr oder erfunden? Die schöne Carolina hätte sich einen Teufel darum geschert.