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Vor 150 Jahren gestorben
Friedrich Rückert - Dichter der "Kindertotenlieder"

Als Autor zunächst von politischen Gedichten und später von Liebeslyrik war der 1788 geborene Friedrich Rückert einer der meist gelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Buchstäblich unsterblich wurde er aber mit seinen "Kindertotenliedern", die später von Gustav Mahler vertont wurden.

Von Christian Linder | 31.01.2016
    Blick auf das Denkmal des deutschen Dichters Friedrich Rückert in dessen Geburtsort Schweinfurt (Unterfranken).
    Blick auf das Denkmal des deutschen Dichters Friedrich Rückert in dessen Geburtsort Schweinfurt (Unterfranken). (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    "Lieblich" sollten seine Klagen "wallen", wünschte sich Friedrich Rückert. Das Verb "wallen", meldet das alte Grimm'sche Wörterbuch, steht auch dafür, dass jemand "heimatlos in der Fremde wandert", um am Ende festzustellen, dass er der Welt abhanden gekommen ist. Rückert verstand diese Zeilen aber nicht als Verlustanzeige, sondern als fast schon trotzige Behauptung eines Gewinns. Denn auch wenn die Welt so lange nichts von ihm vernommen habe, schrieb er, so sei er "wirklich gestorben" nur "am Getümmel der Welt" und lebe nun "allein in meinem Himmel, ... in meinem Lied!"
    Auf welch sonderbare Weise er durch einige seiner lyrischen Texte tatsächlich nachleben würde, hat Friedrich Rückert sich allerdings wohl nicht einmal ahnungsweise vorstellen können. Die meisten seiner circa 6.000 veröffentlichten Gedichte waren nämlich schon zu Lebzeiten vergessen. Erst knapp 40 Jahre nach Rückerts Tod am 31. Januar 1866 entriss der Komponist Gustav Mahler von Rückert selbst zur Veröffentlichung gar nicht vorgesehene "Kindertotenlieder" posthum der Vergessenheit und machte sie "unsterblich".
    Zwei Kinder im Alter von drei und fünf Jahren waren Rückert 1833 und 1834 gestorben, und ihnen galt seine "wallende Klage":
    "Oft denk ich, sie sind nur ausgegangen, / Bald werden sie wieder nach Hause gelangen."
    "Mir lebt jede Sprache, die Menschen schreiben"
    Nach Hause! Da war Rückert, 1788 in Schweinfurt geboren, nach einer turbulenten Lebensreise, die ihn literarisch durch viele Epochen wie die Klassik, die Vormärzzeit und lange durchs Biedermeier geführt hatte, zum Spätromantiker geworden. Auch hinsichtlich der biografischen Fakten ein kurvenreiches Leben. Nach einem Studium zunächst der Rechte, schließlich der Ästhetik und Philologie in Würzburg und Heidelberg war er als Lyriker 1814 durch antinapoleonische, "Geharnischte Sonette" schnell berühmt geworden, bis er sich für eine Universitätskarriere entschied und Professor für orientalische Sprachen in Erlangen und Berlin wurde. Rückert besaß nämlich neben seinem schriftstellerischen Ehrgeiz ein weiteres Talent: Er konnte fremde Sprachen in sich aufnehmen, verstehen und sofort nachsprechen: "Mir lebt jede Sprache, die Menschen schreiben."
    So lernte er mühelos nicht nur die zentralen europäischen Sprachen, sondern fühlte sich besonders von allen orientalischen Sprachen angezogen und konnte bald Texte aus dem Persischen, Hebräischen, Koptischen, Türkischen, Armenischen oder dem Sanskrit lesen und übersetzen. Diese Vermittlungsarbeit leistete er zum Beispiel in der 1822 erschienenen Sammlung "Östliche Rosen" im Sinne Goethes, von dessen "Westöstlichem Diwan" er sich hatte anregen lassen:
    "Weltpoesie allein ist Weltversöhnung".
    Doch irgendwann interessierte er sich nicht mehr weiter für die Ausarbeitung dieser Idee, entzog sich der Universitätsforschung und auch dem literarischen Betrieb und lebte fortan zurückgezogen auf seinem Landsitz Neuses bei Coburg. An kühnen Projekten fehlte es ihm nicht: So arbeitete er schon seit 1835 an einem in Alexandrinern geschriebenen, ausufernden, auf sechs Bände angewachsenen "Lehrgedicht in Bruchstücken" über die "Die Weisheit des Brahmanen" und verriet auch, wie es entstand:
    "Es muss alles hinein, was ich eben lese: vor acht Wochen Spinoza, vor 14 Tagen Astronomie, jetzt Grimm's überschwänglich gehaltene Deutsche Mythologie, alles unter der nachlässig vorgehaltenen Brahmanenmaske."
    Der Großteil des Friedrich Rückert'schen Werks, zu dem auch einige Dramen gehören, liegt in der deutschen Literaturgeschichte tief versunken in einem Grab, das später aufgrund seiner Antiquiertheit nie mehr geöffnet worden ist. Aber da sind die "Kindertotenlieder" und Zeilen wie "Ich bin der Welt abhanden gekommen", denen Dietrich Fischer-Dieskau eine seiner prägnantesten Gesangs-Interpretationen gewidmet hat und die Friedrich Rückert bis heute auf der Rangliste der vertonten deutschen Lyriker neben Goethe und Heinrich Heine einen unangefochtenen dritten Platz gesichert haben.