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Vor 150 Jahren
Margarine zum Patent angemeldet

Margarine war das Resultat eines Preisausschreibens, das Kaiser Napoleon III. für die Versorgung des Volkes angeregt hatte. Der Chemiker Hippolyte Mège-Mouriès meldete seine Idee mit Zutaten wie zerstoßenen Kuheutern zum Patent an. Seither hat sich der Stoff einen umweltfreundlichen Platz gesichert.

Von Mathias Schulenburg | 15.07.2019
    Fabrikation von Kunstbutter in Amerika (Holzstich): Oleomargarin, hergestellt aus Rindertalg und Schweinefett nach dem 1869 patentierten Verfahren des französischen Chemikers Hippolyte Mege-Mouries.
    Fabrikation von Kunstbutter in Amerika (Holzstich): Oleomargarin, hergestellt aus Rindertalg und Schweinefett nach dem 1869 patentierten Verfahren des französischen Chemikers Hippolyte Mege-Mouries. (picture alliance / akg)
    Wie er da so saß und stundenlang die Kühe anstarrte, hätte er einer dieser schwarmgeistigen, impressionistischen Maler beim Studium eines Motivs sein können, aber weit gefehlt: Hippolyte Mège-Mouriès war Chemiker und erhoffte sich von den Kühen Hinweise auf die Herstellung von Kunstbutter für die Fettversorgung der Franzosen in Notzeiten.
    Oleo mit feingeschnittenem Kuheuter
    Die Anregung dazu hatte Kaiser Napoleon der Dritte mit einem Preisausschreiben gegeben und die Notzeit kam denn auch, in Gestalt des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Und das - laut Roland Gööck in "Die großen Erfindungen" - war das Rezept, zu dem die Kühe Mège-Mouriès inspiriert hatten: Mège-Mouriès nahm also Rindertalg her, trennte nach vorangegangenem Erwärmen mit Kochsalz in einer Presse den Stearinanteil ab und behielt die flüssigen Anteile, das schmalzartige Oleo, zurück. Das Oleo kam zusammen mit Kuhmilch, Wasser und fein geschnittenem Kuheuter in eine Buttermaschine.
    Rindertalg nicht beliebig vermehrbar
    Am 15. Juli.1869 meldete Hippolyte Mège-Mouriès seine "Margarine" zum Patent an. Der Name ist vom Perlenglanz im Kunstfett abgeleitet, und "Perle" heißt griechisch "márgaron". Der Sozialwissenschaftler Uwe Spiekermann schildert in seiner Publikation "Künstliche Kost" die Folgen der Erfindung:
    Ein zentrales Problem bildete die Abhängigkeit von einem nicht beliebig vermehrbaren Produkt, dem Rindertalg. Forschungen zu den deutlich billigeren Ölsaaten schlossen sich an. Diese waren jedoch flüssig, konnten daher nur in begrenztem Umfang in die Margarine gemischt werden. Gerade in der warmen Jahreszeit zerfloss das neu zusammengestellte Kunstprodukt.
    Wilhelm Normann entwickelte die Fetthärtung
    Das änderte sich nach der Jahrhundertwende, als der Chemiker und Unternehmer Wilhelm Normann die Fetthärtung praktikabel machte, die flüssige Fette in feste überführte, was mit Wasserstoff, der das flüssige Fett durchströmte, und Nickelpartikeln als Katalysator gelang.
    Das von Normann nicht patentgeschützte Verfahren setzte sich schnell in der gesamten Margarine- und Speisefettindustrie durch. Kokos- und Sojaöl, seit 1912 Walöl, dann auch andere Pflanzenöle, wurden nun in großem Umfang Margarinegrundstoffe.
    Im Ersten Weltkrieg hatte man die Großsäuger auch zu Sprengstoff, Nitroglycerin, verarbeitet. Nach dem Krieg wurde die Nahrungsbeschaffung die treibende Kraft, die Tiere zu jagen, berichtet das Buch "Walfangreisen der Bark Petrel".
    Die Kriegsverlierer hungern. Es herrscht ein permanenter Fettmangel. "Wenn es aber keine Butter und kein Schmalz gibt, muss Margarine gegessen werden. In die Margarine können bis zu 75 Prozent Walfette eingebaut werden.
    2,7 Millionen Großwale wurden für das Fett getötet
    Nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Tötung der Großwale im ganz großen Stil, die Antarktis wurde zum "Klondike der Meere", zur maritimen Entsprechung der Goldgräberstadt.
    Das hatte erneut den Einsatz großer Walfangflotten zur Folge. Unter Anwendung nochmals verfeinerter Fangmethoden wurde innerhalb von gut 20 Jahren ein Mehrfaches an Walen getötet als in den 50 Jahren zuvor. Insgesamt sollen seit der Jahrhundertwende 2,7 Millionen Großwale in antarktischen Gewässern erlegt worden sein.
    Die Bestände haben sich seither trotz umfangreicher Schutzmaßnahmen kaum erholt. Die Erwartung, Unmassen von Krill, die den Walen als Futter gedient hatten, würden jetzt den Menschen zur Verfügung stehen, trog. An die Stelle des Krills traten quallenartige Salen.
    Auch Gestaltungsmaterial der bildenden Künste
    Die Margarine aber kam unter den erweiterten Kunstbegriffen der Nachkriegszeit sogar als Gestaltungsmaterial der bildenden Künste in Gebrauch, Ende der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts durch Joseph Beuys:
    In Aktionen wie "Hauptstrom" von 1967 fand Fett in Gestalt von Margarinewürfeln Verwendung, deren kubische Form sich durch die Körperwärme veränderte.
    Das vermerkt das "Lexikon des künstlerischen Materials". Kanadier freilich hatten schon 1925 auf der British Empire Ausstellung etwas ungleich Komplexeres mit Fett realisiert: Eine lebensgroße Skulptur des Prinzen von Wales im Outfit eines Indianerhäuptlings, des Prinzen Rang gemäß aus Butter.