Dienstag, 16. April 2024

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Vor 1950 Jahren in Judäa
Als die Römer Jerusalem zerstörten

66 nach Christus mündete ein Aufstand in Roms Unruhe-Provinz Judäa im jüdisch-römischen Krieg. Er endete im September 70 mit der vollständigen Zerstörung Jerusalems durch die Römer. Doch die Aura einer Heiligen Stadt konnten die Römer Jerusalem damit nicht nehmen.

Von Christian Berndt | 13.09.2020
    "Die Zerstörung des Tempels von Jerusalem": Ölgemälde des venzianischen Malers Francesco Hayez von 1867.
    Die Zerstörung des Tempels von Jerusalem auf einem Gemälde - doch auch ohne Tempel blieb die jüdische Religion lebendig (picture alliance)
    "Da das Heer jetzt nichts mehr zu morden hatte, befahl der Caesar, die ganze Stadt und den Tempel zu schleifen. Alle übrigen Teile der Stadtmauer machten die Sieger völlig dem Erdboden gleich. Ein so trauriges Ende nahm die prächtige, weltberühmte Stadt Jerusalem."
    So berichtete der jüdische Historiker und Zeitzeuge Flavius Josephus über die vollständige Zerstörung Jerusalems durch die Römer im September des Jahres 70 n. Chr. Die Niederschlagung des jüdischen Aufstandes wirkte wie ein Akt der Vernichtung - vor allem die Schleifung des Tempels, der als zentrales Heiligtum identitätsstiftend für die Juden war, schien auf eine Auslöschung des Judentums zu zielen. Aber Josephus gab nicht den Römern, sondern radikalen Juden die Schuld an der Katastrophe. Er gehörte zur priesterlichen Aristokratie, die für eine Verständigung mit Rom eingetreten war. Dazu der Althistoriker Ernst Baltrusch:
    "Die Zusammenarbeit war natürlich für die Eliten leichter als für die Unterschichten, weil die Römer als Teil ihrer Herrschaftspolitik immer gerne die Eliten miteinbezogen. Und über die Eliten versuchte man, die Herrschaft über die verschiedenen Regionen des Reiches auszuüben. Die jüdische Elite hat durchaus profitiert von der römischen Herrschaft, auch materiell."
    Wie Rom teilte und herrschte
    Römer und Juden verband eine lange Beziehung. 200 Jahre zuvor hatte Rom den Makkabäer-Aufstand gegen die Seleukiden-Herrschaft unterstützt, der Judäa erstmals seit der babylonischen Eroberung 597 v. Chr. die Unabhängigkeit brachte. Aber nach Thronwirren in Judäa übernahm Rom selbst die Macht und setzte 40 vor Christus den jüdischen Vasallenkönig Herodes ein: Herodes ging daran, die Provinz zu romanisieren, ersetzte die Tora durch römisches Recht. Das erzürnte Traditionalisten wie die Pharisäer - eine religiöse Erneuerungsbewegung, die unter der langen Fremdherrschaft entstanden war und jüdische Traditionen gegen den Zeitgeist der vorherrschenden hellenistischen Kultur verteidigen wollte. Herodes nahm große Rücksicht auf die religiösen Traditionalisten – mit der Vergrößerung des Jerusalemer Tempels schuf er eine der größten Tempelanlagen der Antike. Doch nach seinem Tod wurden die sozialen Spannungen unübersehbar, so Ernst Baltrusch:
    "Das war in der postherodianischen Zeit der entstehende Eindruck, die Eliten verdienen an der Zusammenarbeit und die Unterschichten tragen die Lasten. Und wenn man so ein Mittel hat, um seinen Unwillen, seinen Widerstand zum Ausdruck zu bringen wie die Religion, dann geht man diesen Weg."
    Die Altstadt der heiligen Stadt Jerusalem (Israel) mit dem Tempelberg und dem Felsendom
    Der römische Oberbefehlshaber wollte mit dem Jerusalemer Tempel einen Unruheherd ausschalten (picture alliance / Jens Büttner)
    Die Steuerlast der Römer traf vor allem die Bauern. Die verarmten Unterschichten boten ein unerschöpfliches Reservoir für die neuentstehenden religiösen Bewegungen, die in der Besatzung der Römer eine Entweihung heiligen Bodens sahen. Die Mischung aus religiösen Erlösungsfantasien und sozialer Unzufriedenheit führte schließlich 66 n. Chr. zum Aufstand, obwohl König Agrippa II. in einer Rede flehentlich davor warnte:
    "Es wird doch wohl niemand glauben, die Römer würden Milde walten lassen. Nein, sie werden zur Warnung für andere Völker die Heilige Stadt in Asche legen und euer ganzes Geschlecht ausrotten."
    Innerjüdischer Bürgerkrieg
    Aber der Druck war zu groß, und es begann ein selbstzerstörerischer Aufstand. Zusätzlich brachen auch noch innerjüdische Kämpfe aus. Während die Römer Jerusalem belagerten, richteten verfeindete Religionsgruppen in der Stadt ein Blutbad an. Dazu Ernst Baltrusch: "Die Besatzer auf dem Tempel waren stärker mit der Abwehr der eigenen Gegnergruppe beschäftigt, als damit, sich dem gemeinsamen römischen Feind entgegenzustellen."
    Am Ende des Aufstandes war Jerusalem ausgelöscht. Aber die Bestrafung galt nicht den Juden generell, ihre Privilegien – wie die Befreiung vom Militärdienst - blieben erhalten. Der römische Oberbefehlshaber und spätere Kaiser Titus wollte mit dem Jerusalemer Tempel nur einen Unruheherd ausschalten, auch die Diaspora-Gemeinden im Reich blieben unbehelligt. Das wäre auch ganz unrömisch", sagt Ernst Baltrusch , "dass sie Rechte, die sie gegeben haben, zurücknehmen von Bewohnern, die damit gar nichts zu tun haben."
    Ein Jude beim Gebet an der Klagemauer in Jerusalem
    Der Tempel in Jerusalem - Nur die Klagemauer ist erhalten geblieben
    Seit der Zerstörung des zweiten Tempels von Jerusalem im Jahre 70 durch die Römer ist das Judentum ohne Tempel. Aber er spielt für die Juden immer noch eine wichtige Rolle.
    Jerusalems Wiederauferstehung
    Nachdem die Römer 60 Jahre später einen weiteren Aufstand niedergeschlagen hatten, bauten sie auf den Trümmern Jerusalems eine römische Stadt mit Namen Aelia Capitolina, die Juden nicht betreten durften. Und Judäa wurde in Syria Palaestina umbenannt. Die Römer wollten den Juden jede Hoffnung auf den Wiederaufbau ihres heiligen Zentrums nehmen. Aber auch ohne Tempel blieb die jüdische Religion lebendig, ihre schriftliche Überlieferung gewann nun eine neue Bedeutung. Und die Erinnerung an Jerusalem konnten die Römer nicht tilgen, die Aura der Heiligen Stadt strahlte sogar noch stärker weiter.