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Vor 20 Jahren
BSE in Großbritannien

Torkelnde Kühe, brennende Rinderkadaver: Diese Bilder haben sich tief ins Gedächtnis der Öffentlichkeit eingeprägt. Der sogenannte Rinderwahnsinn – kurz BSE – löste in Großbritannien vor zwei Jahrzehnten eine massive Krise aus. Am 27. März 1996 verhängte die EU schließlich ein Exportverbot für britisches Rindfleisch.

Von Ruth Rach | 27.03.2016
    Kühe stehen auf einer Weide.
    Viel zu spät bestätigten die Behörden damals, dass auch Menschen an einer Variante der Krankheit sterben könnten. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Im November 1984 bemerkt ein südenglischer Bauer, dass eine seiner Kühe ein auffälliges Verhalten aufweist: sie torkelt, wird aggressiv und stirbt schließlich einen qualvollen Tod. Eine Autopsie ergibt: die Struktur des Gehirns ist porös wie ein Schwamm. Der Tierarzt ist perplex. Ihm ist dieses Krankheitsbild nur von Schafen bekannt, die unter Scrapie leiden, einer hochansteckenden Hirnerkrankung. Wenig später melden Bauern aus anderen Teilen des Landes, auch ihre Rinderherden seien befallen. Tiermedizinische Labore schlagen Alarm.
    "Falls es sich tatsächlich um eine Form von Rinder-Scrapie handelt, hätte das verheerende Folgen, nicht nur für die britische Rinderexportwirtschaft, sondern möglicherweise auch für den Menschen - sollte sich herausstellen, dass auch Leute, die engen Kontakt mit Rindern hatten, an schwammartiger Hirnhautentzündung erkranken."
    Diese Warnung richtete Tierpathologe Ray Bradley schon im Dezember 1986 an die zuständigen Behörden. Aber sein vertrauliches Memorandum blieb streng geheim. Bloß keine Panik, möglichst beschwichtigen, war das Motto der britischen Regierung. Ein Kurs, der später heftig kritisiert wurde.
    Medizinischer Berater der Regierung: "Alle können unbedenklich britisches Rindfleisch verzehren"
    Anfang der 90er-Jahre wurde bekannt, dass BSE auf Mäuse übertragbar war, die mit infiziertem Hirn geimpft wurden. Experten erklärten, die BSE-Rinder hätten sich wahrscheinlich durch den Verzehr von kontaminiertem Tiermehl angesteckt. Trotz dieser Hiobsbotschaften erklärte der ranghöchste medizinische Berater der Regierung, Sir Donald Acheson:
    "Der Verzehr von britischem Rindfleisch ist ohne Risiko. Ob Kinder, Erwachsene, oder Krankenhauspatienten; sie alle können unbedenklich britisches Rindfleisch verzehren."
    Die gleiche Botschaft wurde auch von Landwirtschaftsminister John Gummer ausgegeben. Um der wachsenden Panik in der britischen Öffentlichkeit entgegenzutreten, fütterte er seine kleine Tochter vor laufenden Kameras eigenhändig mit einem Hamburger und bekräftigte:
    "Es gibt keinen Grund zur Sorge, ich werde weiterhin Rindfleisch essen und meine Kinder auch."
    Die Krise eskalierte. Bis 1993 waren rund 90.000 Rinder an BSE verendet. Ganze Herden wurden notgeschlachtet. Und dann die Schreckensmeldung: In Schottland starb ein Bauer, der engen Kontakt zu infizierten Rindern hatte. Sein Gehirn wies ähnliche Schäden auf wie das seiner kranken Tiere. Aber wieder wurde offiziell beschwichtigt. Der Tod des Bauern sei "reiner Zufall". 1995 starb der Teenager Stephen Churchill. "Tod durch Missgeschick", lautete der erste Befund. Die Symptome deuteten allerdings in eine ganz andere Richtung, erzählt Stephens Mutter.
    "Stephen konnte sich nicht auf den Beinen halten, verlor seine Koordination, sein Gedächtnis, konnte nicht mehr schreiben und ist schließlich qualvoll im Bett gestorben."
    1996 verschärfte die britische Regierung die Auflagen für die Schlachtung und Fütterung von Tieren und räumte endlich ein, es gebe eine mögliche Verbindung zwischen Rinderwahn und einer neuen Variante der Creutzfeld-Jakob Krankheit, kurz "variant CJD". Zu diesem Zeitpunkt waren bereits zehn Briten an der Seuche gestorben. Fachleute vermuteten, sie hätten sich durch den Verzehr von bzw. den Kontakt mit infiziertem Rindfleisch angesteckt. Besonders gefährlich seien das Gehirn und Rückenmark der Tiere.
    Mindestens 177 Menschen starben, mehr als vier Millionen Rinder wurden geschlachtet
    Am 27. März 1996 verbot die EU den Export sämtlicher Rinder und Rindfleischprodukte, Samen, Embryos und Tiermehl aus Großbritannien. Das Embargo wurde sukzessive gelockert und erst zehn Jahre später weltweit aufgehoben. Die BSE-Krise kam Großbritannien teuer zu stehen. Mindestens 177 Menschen starben. Über vier Millionen Rinder wurden geschlachtet, schätzungsweise 180.000 Tiere verendeten an BSE. Ein offizieller Untersuchungsbericht kam zu dem Schluss, die britische Regierung habe zu langsam reagiert und Menschen wie Tiere unnötigen Risiken ausgesetzt. Im heutigen Großbritannien ist das Thema allerdings längst vom Tisch. Beefburgers sind nach wie vor recht beliebt.
    "Hast du keine Angst vor dem Rinderwahn?"
    "Ach was, diese Krankheit liegt doch schon 20 Jahre zurück."
    Bis heute ist unklar, wie BSE entsteht. Befürchtungen, Großbritannien werde bis zum Jahr 2015 von einer massiven Epidemie des "menschlichen Rinderwahnsinns" heimgesucht, haben sich aber nicht bewahrheitet. Der - vorläufig - letzte Todesfall war im Jahr 2012.