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Vor 200 Jahren
Das erste Wartburgfest

Am 18. Oktober 1817 kamen rund 500 politisch unzufriedene Studenten auf der thüringischen Wartburg zusammen. Die Obrigkeit in den deutschen Landen sah sie als gefährliche Umstürzler. Sie selbst verstanden sich als Avantgarde der künftigen deutschen Nation.

Von Otto Langels | 18.10.2017
    Die Wartburg Eisenach (Thüringen)
    Hier soll Luther ein Tintenfass nach dem Teufel geworfen haben und umstürzlerische Burschenschaftler Bücher ins Feuer: die Wartburg in Thüringen (picture-alliance/ dpa / Martin Schutt)
    "Da in diesem Jahr das Reformationsjubiläum gefeiert wird, so wünschen wir gewiß mit allen braven deutschen Burschen dieses Fest am 18ten October 1817, und zwar auf der Wartburg bey Eisenach zu feiern."
    Mit diesen Worten lud die Burschenschaft der Universität Jena im August 1817 zum Treffen auf der Wartburg ein. Gut zwei Monate später versammelten sich rund 500 Studenten unter anderem aus Göttingen, Berlin, Marburg, Heidelberg, Tübingen und Jena in Eisenach.
    Viele waren begeistert aus den Befreiungskriegen gegen Napoleon zurückgekehrt und reagierten enttäuscht darauf, dass die erwarteten Verfassungsreformen ausblieben und man ihnen Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit verwehrte.
    Der Historiker Etienne François beschreibt das Wartburgfest als Zusammenkunft politisch unzufriedener Studenten, die sich in Burschenschaften organisiert hatten:
    "Ein ganz aktiver Kreis, eine Gruppe von liberalen, nationalen Studenten, die mehr als reine Studenten sein wollten, sondern die sich als Avantgarde der künftigen deutschen Nation verstanden."
    Für bürgerliche Freiheiten und vereintes Deutschland
    Die Burschenschaften knüpften bei ihrem Treffen bewusst an zwei Jahrestage an: den Beginn der Reformation vor 300 Jahren und den Sieg über Napoleons Truppen in der Völkerschlacht von Leipzig vier Jahre zuvor.
    Die Studenten - Frauen waren damals noch nicht an den Universitäten zugelassen - forderten geistige Freiheit, bürgerliche Freiheitsrechte und ein vereintes Deutschland anstelle des Deutschen Bundes mit seinen zahllosen Kleinstaaten. Etienne François:
    "Alle zogen am Vormittag des 18. Oktober 1817 nach oben auf den Berg, und das war eine Art von säkularer Prozession, es gab auch eine große Fahne. Und diese Fahne war eine schwarzrote Fahne, und an den Seiten waren goldene Fäden, also das war im Grunde die erste Vorform der modernen deutschen Fahne. Und als sie oben in den großen Rittersaal kamen, da gab es eine Art halb säkularer, halb protestantischer Liturgie."
    Bekannt wurde das Wartburgfest vor allem durch das, was am Abend geschah: Eine kleinere, politisch radikalere Studentengruppe zog mit Fackeln den nahe gelegenen Wartenberg hinauf, wo Angehörige des Eisenacher Landsturms bereits mehrere "Siegesfeuer" zum Gedenken an die Völkerschlacht entzündet hatten. Es herrschte Volksfeststimmung, und einige Burschenschaftler wollten ein Zeichen setzen, so wie einst Luther aufbegehrt und die päpstliche Bannbulle verbrannt hatte. Etienne François:
    "Mit großen Sprüchen warfen sie ins Feuer zuerst allerlei Bücher, z.B. theoretische Werke von Politikern, die für die Restauration waren, oder den Code Napoleon. Das war für sie der Inbegriff der Fremdherrschaft."
    Sie verbrannten Herrschaftssymbole, auch Bücher
    Anschließend verbrannten sie militärische Utensilien, Symbole von Obrigkeitsstaat und Reaktion. Dazu hielt der Philosophiestudent Ludwig Rödiger eine flammende Rede:
    "Die Zeit ist gekommen, wo sich der Deutsche nicht mehr fürchten soll vor den Schlangenzungen der Lauscher und dem Henkerbeil der Tyrannen und sich niemand entschuldigen muss, wenn er vom Heiligen und Wahren spricht."
    Die Rede wurde von den Zuhörern begeistert aufgenommen und später als "Ein deutsches Wort an Deutschlands Burschen" veröffentlicht. Doch der Schriftsteller Heinrich Heine bemerkte in seinem Pariser Exil zu der Studentenrevolte:
    "Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigen Mittelalters würdig waren. Denn in das Freudenfeuer am Abend des Wartburgfestes flogen nicht nur Symbole des Militarismus, sondern auch Bücher."
    Obrigkeit greift hart durch
    Während das Wartburgfest für die Burschenschaften ein Akt des Aufbegehrens war, ein Fanal der Freiheit, fürchteten die angegriffenen staatlichen Mächte "revolutionäre Umtriebe", erklärt Etienne François:
    "Man sah darin den Beginn einer subversiven Entwicklung, die die konservative, reaktionäre Struktur von Deutschland in Frage stellen könnte."
    Entsprechend handelten die führenden Staaten des Deutschen Bundes: Zwei Jahre später verboten sie die Burschenschaften, überwachten die Universitäten und verhafteten Hunderte von Studenten.