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Vor 225 Jahren
Charlotte Corday ersticht den Revolutionär Jean Paul Marat

Fanatische Einzeltäterin oder idealistische Widerstandsheldin? Heimtückische Strategin oder naives Mädchen aus der Provinz? Kaum eine Frauenfigur der jüngeren Geschichte wurde und wird so widersprüchlich wahrgenommen wie Charlotte Corday, die am 13. Juli 1793 den Revolutionär Jean Paul Marat ermordete.

Von Cornelie Ueding | 13.07.2018
    Zeitgenössische Darstellung der Marat-Attentäterin Charlotte Corday.
    Zeitgenössische Darstellung der Marat-Attentäterin Charlotte Corday. (pa/dpa/B2470_Bertelsmann_Lexikon_Verlag)
    Marat: "Wer war an der Tür, Simone?"
    Simone: "Ein Mädchen aus Caen mit einem Brief, eine Bittstellerin. Aber ich lasse niemanden herein, die bringen uns nur ins Unglück."
    Drei Anläufe musste Charlotte Corday auch in der Hörspielfassung von Peter Weiss‘ Stück "Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats" unternehmen, bevor sie schließlich vorgelassen wurde: ein Todesengel mit dem Flair der Unschuld, adrett in weißem Kleid und Spitzenhäubchen, ein Küchenmesser mit langer Klinge unter dem Brusttuch verborgen.
    Wegen seines quälenden Hautleidens hielt sich Marat fast stets in einer Badewanne auf, erschien kaum mehr in der Öffentlichkeit und wurde von einer Schar von Bewachern, nicht zuletzt seiner Lebensgefährtin Simone Evrard, regelrecht abgeschirmt. Cordays Türöffner: das Versprechen der Denunziation von 18 Konterrevolutionären aus der Normandie. Kaum angekommen, nannte sie ihm die Namen derer, die seinen Sturz planten:
    "Namen nenne ich dir Marat, Namen von denen, Die sich in Caen versammelt haben. Barbaroux nenne ich dir und Buzot und Pétion und Louvet und Brissot und Vergniaud und Guadet und Gensonné."
    Als der penible Marat die Namen als frisches Guillotinen-Futter eifrig mitgeschrieben hatte, zog sie das Messer hervor und stieß einmal zu. Verbürgt ist, dass die idealistische junge Frau davon ausging, durch ihre Tat am 13. Juli 1793 den Menschen einen Dienst zu erweisen:
    "Nicht einen Menschen, sondern eine wilde Bestie, welche alle Franzosen verschlang, habe ich zu töten geglaubt."
    Marat als Exekutor der Revolution
    Gewiss war Marat neben Robespierre und St. Just ein fanatischer politischer Hardliner, ein Exekutor der Revolution. Er führte genau die Methoden ein, die er in seinem vorrevolutionären Werk "Die Ketten der Sklaverei" vehement angegriffen hatte: "Der Staat wird zu einer Arena des Horrors und des Blutbades. Jeder verheimlicht seine Ängste und Hoffnungen. Bald gibt es kein Murren und kein Klagen mehr, überall Schweigen ... Im Geheimen herrscht Verzweiflung wie bei zu Tode Verurteilten."
    Doch genau den totalen Überwachungsstaat, den Marat hier noch als Auswuchs der Monarchie gegeißelt hatte, verwirklichten er und seine radikalen Mitstreiter in den ersten Jahren der Republik aufs Grausamste. Unter dem Vorwand, gegen republikanische Werte und Tugenden verstoßen zu haben, kamen Tausende unter die Guillotine, die berüchtigten Septembermorde von 1792 erschütterten die Welt - und offenbar auch die politisch engagierte Corday.
    Der Weg zur Tat war für sie nur mit banalen Schwierigkeiten gepflastert. Heimliche Abreise. Messerkauf. In die Nähe Marats zu gelangen. Und dann dieser eine erstaunlich sichere Stich für eine ehemalige Klosterschülerin, die sich bisher als eifrige Leserin von Texten der Aufklärung, klassischer Literatur und politischer Traktate hervorgetan hatte. Mag sein, dass der entschlossene Zugriff sogar auch eine Lesefrucht war. Man weiß, dass sie sich mit der Rolle der Judith, die gleichfalls "im Namen des Volkes" Holofernes köpfte, förmlich identifizierte. Jedenfalls ist es sicher kein Zufall, dass sich in Charlottes Bibel genau diese Verse unterstrichen finden:
    "Und Judith schmückte sich mit Spangen und Geschmeide und legte all ihren Schmuck an, und es gab ihr Gott der Herr die Gnade, dass sie so lieblich anzusehen war."
    Revolution wurde noch grausamer
    Ein Stich ins Herz des Bösen, der Terreur wie Corday glaubte. Im Grunde ein Selbstmordanschlag, denn es war ihr klar, dass es kaum eine Fluchtmöglichkeit gab und ihr Tod damit besiegelt war. Vier Tage nach ihrem Attentat wurde sie zum Tode verurteilt und hingerichtet. Selbst vor dem Revolutionstribunal glorifizierte sie die Ermordung Marats als patriotische Tat: "Ich habe einen Mann getötet, um hunderttausende und die Revolution zu retten."
    Ob Corday klar war, dass sie mit der Nennung der Namen der angeblichen Abweichler deren Todesurteil unterschrieben hatte? Der Takt, in dem die Guillotine arbeitete, wurde von nun an noch schneller und erfasste auch die Revolutionäre selbst.
    Politisch löste die Tat der mutigen Patriotin das Gegenteil dessen aus, was sie beabsichtigt haben mochte. Statt eines Volksaufstandes begann eine gnadenlose Hetze, die Zehntausende das Leben kostete. Marat indes wurde zur Ikone. Seine Leiche wurde in kolossaler Apotheose in das Pantheon überführt. Jacques-Louis David malte sein berühmtes Gemälde, das auf fast parasakrale Weise den Tod Marats zum Opfergang einer politischen Utopie erhöhte - und die einsetzende Terreur legitimierte.