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Vor 230 Jahren
Goethes Trauerspiel "Egmont" wird uraufgeführt

Goethes Trauerspiel "Egmont" setzte sich mit dem Aufstand der protestantischen, freiheitsliebenden Niederlande gegen das rigide System des katholischen, spanischen Herrscherhauses im 16. Jahrhundert auseinander. Nach seiner Uraufführung am 9. Januar 1789 in Mainz gab es viel Kritik.

Von Cornelie Ueding | 09.01.2019
    Holzschnitt, Johann Wolfgang von Goethe, Portrait | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
    Goethe identifizierte sich mit seinem Protagonisten Egmont. (picture alliance/dpa/imageBROKER)
    "Ich schreite einem ehrenvollen Tode aus diesem Kerker entgegen. Ich sterbe für die Freiheit, für die ich lebte und focht und der ich mich jetzt leidend opfere."
    So erhaben geht, nein, schreitet Graf Egmont in Goethes Trauerspiel zum Schafott, das am 9. Januar 1789 am Mainzer Nationaltheater uraufgeführt wurde. Regisseur und Hauptdarsteller war der Theaterleiter Siegfried Gotthelf Eckart, unter dem Künstlernamen: Koch. Zwar geht es um ein historisches Thema - den Aufstand der protestantischen, freiheitsliebenden Niederlande gegen das rigide System des katholischen spanischen Herrscherhauses im 16. Jahrhundert – doch 1789, kurz vor der Französischen Revolution, konnte man schon Zeichen des drohenden Umsturzes herauslesen. So war dieser erste Egmont "verstümmelt". Und schon der frühe Kritiker empörte sich:
    "Ich begreife nicht, wie man hier so unbarmherzig mit dem guten Egmont umspringen konnte, dass man die meisten Stellen, worin vom Gewissenszwang und der neuen Lehre die Rede ist ausmerzte. Glaubt man, das Ding hier besser zu verstehen, als Göthe?"
    Friedrich Schiller aber kritisierte das Stück, nicht die Aufführungen, und bemühte sich, das in seinen Augen alles andere als gelungene Werk des Freundes zu retten. In seiner Rezension der Druckfassung von 1788 beklagt er:

    "Mitten aus der wahrsten, rührendsten Situation werden wir durch einen Salto Mortale in eine Opernwelt versetzt, um einen Traum zu sehen. Und in einem Bilderbogen der Langweile zu ertrinken."
    Ein Held, den alle mögen und der tatsächlich so gutherzig ist, wie er jedem auf Anhieb erscheint - das war in den Augen des scharfsinnigen Kollegen ein Unding. Offenbar war Goethe der schlimmste Fehler unterlaufen, der einem Dramatiker passieren kann: Er identifizierte sich mit seinem Protagonisten. Noch Jahrzehnte später, in Dichtung und Wahrheit schwärmt er von seinem jungen Helden:
    "Als ich ihn so in meinen Gedanken verjüngt und von allen Bedingungen losgebunden hatte, gab ich ihm die ungemessene Lebenslust, das grenzenlose Zutrauen zu sich selbst, die Gabe alle Menschen an sich zu ziehen … er kennt keine Gefahr und verblendet sich über die größte, die sich ihm nähert."
    Egmont als Liebling der Massen
    Die Gefahr nähert sich Egmont unübersehbar in Gestalt des katholischen Hardliners, des Herzogs von Alba. Der Unabhängigkeitskrieg der Niederlande gegen die spanische Inquisition strebte in der Mitte des 16. Jahrhunderts seinem Höhepunkt zu. Der grausame spanische Statthalter wurde nach Brüssel entsandt, um hart durchzugreifen – ein Exempel zu statuieren und gemäßigte oder gar vermittelnde Stimmen wie die Egmonts zum Schweigen zu bringen. Und Egmont, der gutgläubige Liebling der Massen, läuft dem Exekutor geradezu ins Messer, obwohl es an Warnungen nicht gefehlt hatte.
    Was am meisten verwundert: Dass Goethe sich zwar mit dem Egmont einem politischen, hochaktuellen Thema verschrieb, es aber in der Art einer leicht politisierten Fortsetzung des Werther konzipierte. Junger idealistischer Mann gegen den Rest der Welt.
    Egmont: "Wie selten kommt ein König zu Verstand. Ich kenne meine Landsleute: zu drücken sind sie, nicht zu unterdrücken."
    Alba: (der sich indeß einigemal umgesehen hat) "Solltest du das alles in des Königs Gegenwart wiederholen?"
    Egmont: "Desto schlimmer, wenn mich seine Gegenwart abschreckte! Desto besser für ihn, für sein Volck, wenn er mir Muth machte, noch mehr zu sagen."
    Idealistischer Traum einer Politik ohne blutige Hände
    Goethe wollte seine Egmont-Figur den schönen Traum der Poesie weiterträumen lassen, ohne sich den Realitäten zu stellen. Obwohl oder weil er als Geheimer Rat, also als Realpolitiker, "pragmatisch" zu handeln hatte, wie der amerikanische Literaturwissenschaftler Daniel W. Wilson betont:
    "Wo Goethe politische Themen behandelte in den literarischen Werken, da scheinen sich die Zweifel zu äußern, die er als Geheimrat nicht äußern konnte. Einiges, was er im Amt gemacht hat, muss man wirklich offen als Unrecht bezeichnen."
    Besonders verwundert zeigt sich Wilson darüber, dass sich der Geheimrat Goethe auch nicht zierte, Häftlinge aus dem Zuchthaus in Weimar an England zu verkaufen, als Kanonenfutter in den Unabhängigkeitskriegen. Umso verführerischer mochte es für ihn gewesen sein, den idealistischen Traum einer Politik ohne blutige Hände zumindest auf dem Theater weiter zu träumen.