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Vor 25 Jahren begonnen
Der Prozess gegen den ehemaligen Stasi-Chef Erich Mielke

Als Minister für Staatssicherheit war Erich Mielke verantwortlich für den Ausbau des Unterdrückungssystems der DDR. Nach dem Mauerfall versuchten bundesdeutsche Gerichte vergeblich, ihm wegen der Stasi-Verbrechen den Prozess zu machen. Auf die Anklagebank kam Mielke wegen der Erschießung zweier Polizisten im Jahr 1931.

Von Wolf-Sören Treusch | 10.02.2017
    Der ehemalige Stasi-Chef Erich Mielke vor dem Schalck-Untersuchungsausschuss am 21.1.1993 in Berlin.
    Der ehemalige Stasi-Chef Erich Mielke vor dem Schalck-Untersuchungsausschuss am 21.1.1993 in Berlin. (picture alliance/dpa/Andreas Altwein)
    10. Februar 1992: im Landgericht Berlin-Moabit nimmt ein scheinbar kranker, wirrer, alter Mann auf der Anklagebank Platz. Es ist Erich Mielke, der ehemalige Minister für Staatssicherheit in der DDR.
    Ihm soll der Prozess gemacht werden. Allerdings nicht wegen seiner Verbrechen als Stasi-Chef. Sondern wegen der Ermordung von zwei Polizisten im Jahr 1931.
    "Erzogen zu einem bewussten Kämpfer"
    Ende der 1920er-Jahre ist die Gegend rund um den Bülowplatz im Osten Berlins Zentrum schwerer Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Polizei. Kaum ein Tag vergeht ohne Straßenschlachten und Massenverhaftungen. Unter den Kämpfern ist auch Erich Mielke. In einer Rede 1967 erinnert er sich an die Zeit.
    "Wenn ich schon sah, dass ein Arbeiter oder irgendeine Arbeiterin verfolgt wurde von den Schergen, den Banditen der Bourgeoisie, dann empörte sich mein Herz. Und so wurde ich geformt und erzogen zu einem bewussten Kämpfer, Klassenkämpfer für die große Sache unserer Partei, für die Idee des Marxismus-Leninismus."
    Zwei Polizisten erschossen
    1931 ist Erich Mielke 23. Er gehört dem bewaffneten Selbstschutz der KPD an. Am Abend des 09. August kommt es in der Nähe der Parteizentrale zu einer Gewalttat. Bei einem Streifengang werden die beiden Polizisten Paul Anlauf und Franz Lenk erschossen. Die Täter flüchten, zunächst unerkannt. Alfons Fleischmann, damals zwölfjähriger Jungkommunist, wird Ohrenzeuge, wie sich Erich Mielke anschließend in einer Kneipe mit der Tat brüstet.
    "Da hat Erich dann erzählt, dass sie sich in einem Hausflur aufgehalten haben und haben da auf Anlauf und Lenk gewartet. Und dann schilderte Mielke, wie er seine Pistole gezogen hat, auf Anlauf und Lenk drauf zugegangen ist, einer der Polizisten hat sich noch umgedreht, und dann hat er seine ganz Waffe auf sie abgeschossen."
    Mielke flieht
    Drei Jahre später, die Nationalsozialisten sind an der Macht, ermittelt das Landgericht gegen Erich Mielke wegen Mordes. Das Verfahren wird eingestellt, weil er flüchtig ist. Mielke war direkt nach der Gewalttat nach Moskau geflohen.
    Der Prozess gegen Erich Mielke beginnt mit knapp 60-jähriger Verzögerung: am 10. Februar 1992. Das Landgericht beruft sich dabei auf die Anklage der Staatsanwaltschaft aus dem ersten Verfahren 1934. Auch die Ermittlungsakten stammen aus dieser Zeit. Mielke selbst hatte sie bis 1990 im Keller seines Hauses in Wandlitz aufbewahrt. Einer seiner Anwälte kritisiert das Vorgehen der Justiz.
    "Es geht hier um Zeiträume `33, Anfang `34. Man kann doch nicht aus diesen Zeiten einer Diktatur, eines Unrechtsstaates staatliche Hoheitsakte heute verwerten wollen. Das ist doch ein totales Unding."
    Sechs Jahre Gefängnis
    Am 26. Oktober 1993 wird Erich Mielke zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes in zwei Fällen und wegen versuchten Mordes in einem Fall. Die Journalisten Birgit Wentzien und Karl-Wilhelm Fricke sind bei der Urteilsverkündung gegen Mielke dabei.
    "Er machte sich kurz Notizen, verzog keine Miene und hat nur ganz kurz erklärt: 'ich bleibe bei meinem letzten Wort', und das war ja das Wort vom Mielke, der nicht schuldig sei."
    "Es ist ein rechtsstaatliches Urteil, es gibt zunächst einmal die eigene Beweisaufnahme des Gerichts, zum anderen gibt es zwei Lebensläufe Mielkes, in denen er sich zu seiner Mittäterschaft an dem Attentat auf dem Bülowplatz bekennt, warum sollte er das damals getan haben, wenn es nicht zugetroffen hätte."
    Vom Urteil enttäuscht
    Die Nebenklägerin im Verfahren, Dora Zimmermann, Tochter des erschossenen Polizisten Paul Anlauf, kann es kaum glauben, dass das Gericht nach so langer Zeit noch eine Strafe verhängt.
    "Umso dankbarer bin ich also jetzt, dass das überhaupt möglich war, den Menschen ein Bild auch zu geben von dem vermeintlichen Mörder meines Vaters, also dem Mielke, der ja nicht nur mit 23 Jahren also schon sich selbst bezichtigt, daran beteiligt gewesen zu sein, ja ein Leben lang nichts anderes gemacht hat."
    Genau deshalb sind viele Menschen von dem Urteil enttäuscht. Erich Mielke wird für eine Tat bestraft, die er als arbeitsloser junger Mann begangen hat. Tausende von Verbrechen, die er als Stasi-Chef in der DDR zu verantworten hat, bleiben ungesühnt. Es gibt zwar mehr als 100 Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen seiner Tätigkeit als Minister für Staatssicherheit. Doch die Beweise reichen für einen weiteren Prozess nicht aus.