Vor 25 Jahren: Brandanschlag in Solingen

Auf dem Höhepunkt ausländerfeindlicher Gewalt

Die Fahnen der Bundesrepublik Deutschland, der Türkei, Solingens und Nordrhein-Westfalens hängen zur Trauerfeier vor dem ausgebrannten Haus der türkischen Familie Genc in Solingen.
Das ausgebrannte Haus der Familie Genc in Solingen © imago / Tillmann Pressephotos
Von Monika Köpcke · 29.05.2018
Was die Bundesrepublik heute erlebt, ist nicht neu. Auch zu Beginn der 90er-Jahre stieg die Zahl der Asylbewerber stark an. Auch damals gab es viel ausländerfeindliche Gewalt. Trauriger Höhepunkt war der Brandanschlag in Solingen am 29. Mai 1993.
"Ich hab geschlafen und bin durch irgendwas aufgewacht und bin zum Schlafzimmerfenster und hab gesehen, dass das Haus in Flammen stand."
Diese Augenzeugin beobachtete in der Nacht zum 29. Mai 1993, wie das Haus der türkisch-stämmigen Großfamilie Genç im nordrhein-westfälischen Solingen abbrannte.
"Und dann hab ich noch gesehen, wie ein, ich weiß nicht, ob es ein Kind war, oben aus dem obersten Stock aus dem Fenster gefallen ist."
Es war kein Kind, sondern die 27-jährige Gürsün Genç, die in Panik aus dem Fenster gesprungen war. Sie schlug auf einer Betonkante auf und verletzte sich tödlich. Im brennenden Haus starben drei Mädchen an einer Rauchvergiftung, zwölf, neun und vier Jahre alt. Die 18-jährige Hatice starb an einem Hitzeschock.
Schnell stellte sich heraus: Es war Brandstiftung. Noch am Vormittag versammelten sich fassungslose Menschen vor der rauchenden Ruine.
"Ich empfinde eine sehr große Enttäuschung schon wieder mal in Deutschland. Es nimmt in letzter Zeit sehr große Ausmaße wieder mal in Deutschland an."
"Wir haben keine Worte, ja, wir haben keine Worte."
"Ich schäme mich natürlich für diese Mitbürger, die dieses angestellt haben. Und ich hatte gehofft, dass es so was 48 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr geben würde. Aber das Schlimme dabei ist ja, diese Verbrecher kann man verfolgen, aber diese Politiker, die brüsten sich noch, dass sie das Problem Asyl und Ausländer in Deutschland in den Griff gekriegt haben."

Eine Serie von fremdenfeindlichen Anschlägen

Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Bürgerkriege im zerfallenden Jugoslawien hatten zu Beginn der neunziger Jahre die Zahl der Asylanträge in die Höhe getrieben. Damals erschütterte eine ganze Serie von fremdenfeindlichen Anschlägen das Land: Hoyerswerda, Mölln, Rostock - zum Beispiel. Die Politik reagierte mit einer Grundgesetzänderung, die das Recht auf Asyl deutlich einschränkte. Drei Tage, nachdem der Bundestag diesen sogenannten Asylkompromiss verabschiedet hatte, brannte das Haus der Familie Genç. Gerd Kaimer, der Bürgermeister von Solingen, sagte noch in der Brandnacht:
"In Solingen gibt es kein rechtsextremes Potenzial. Solingen ist eine liberale, weltoffene Stadt." - Reporter: "Aber der Anschlag kommt nicht von ungefähr." - "Der Anschlag kommt nicht von ungefähr, aber ich bitte Sie zu bedenken, dass erst geklärt werden muss, ob diese Täter überhaupt Solinger sind."
Es waren Solinger. Vier junge Männer im Alter zwischen 16 und 23 Jahren verhaftete die Polizei kurz nach der Tat. Sie gehörten zur örtlichen Neonaziszene. Am 4. Juni 1993 erläuterte der damalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl vor der Presse:
"In der Nacht zum 29. Mai waren die drei gestern verhafteteten Beschuldigten auf einem Polterabend in einer Solinger Gaststätte in eine tätliche Auseinandersetzung mit unter anderem zwei Ausländern verwickelt, die sie fälschlicherweise für Türken hielten. Nachdem sie aus der Gaststätte verwiesen worden waren, trafen sie gegen ein Uhr zufällig auf der Straße den ihnen flüchtig bekannten Jugendlichen, der bereits am 31. Mai verhaftet worden war, und berichteten ihm über den Vorfall beim Polterabend."

Spektakulärer und schwieriger Indizienprozess

Die vier wollten "den" Türken einen "Denkzettel" verpassen und zogen zum Haus der Familie Genç, wo sie im Eingangsbereich das Feuer legten. Zwei der Täter gestanden die Tat, widerriefen später aber wieder. Die beiden anderen beharrten auf ihrer Unschuld. Nach einem spektakulären und schwierigen Indizienprozess verkündete das Oberlandesgericht Düsseldorf nach 125 Verhandlungstagen im Oktober 1995 das Urteil:
"Die Angeklagten sind des Mordes an fünf Menschen in Tateinheit mit versuchtem Mord an 14 Menschen und besonders schwerer Brandstiftung schuldig."
Inzwischen haben die Täter ihre 10- und 15-jährigen Freiheitsstrafen verbüßt.
Fadime Genç war 17 Jahre alt, als das Feuer ihre Familie zerstörte. Einen Tag nach der Urteilsverkündung sagte sie:
"Der Richter hat das gestern richtig als sinnlose Tat bezeichnet, die auf Rassenhass beruht. Dabei haben wir Jugendlichen, egal, welche Hautfarbe wir haben oder aus welchem Land wir kommen, gemeinsame Interessen. Wir müssen uns gemeinsam für Verbesserungen einsetzen. Hass spaltet nur und führt im schlimmsten Fall zu solchen schrecklichen Taten, wie wir sie erleben mussten."
An der Stelle, wo das Haus der Familie Genç stand, hat die Stadt Solingen fünf Kastanien pflanzen lassen – zum Gedenken an einen der schlimmsten ausländerfeindlichen Anschläge, die in der Bundesrepublik verübt wurden.
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