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Vor 25 Jahren marschieren sowjetische Soldaten in Afghanistan ein

Meldungen über sowjetische Truppen in Afghanistan, erklärt noch am Tag vor Heiligabend die Parteizeitung "Pravda", seien Erfindungen reinsten Wassers.

Von Klaus Kuntze | 27.12.2004
    Im Westen : Weihnachtsruhe. Und im Osten, in der Sowjetunion, Vorbereitung auf das Fest des Jahreswechsels. - Der Kreml kann sich in jenen Tagen geringster Aufmerksamkeit sicher sein...

    Donnerstag, 27. Dezember 1979. Um 19 Uhr detoniert im Zentrum Kabuls eine Bombe. Ein Signal. Binnen weniger Stunden bemächtigen sich eingeschleuste sowjetische Spezialeinheiten der afghanischen Hauptstadt. Der Präsident, der Moskaus Einfluss nicht mehr zu garantieren scheint, wird ermordet, ein willfähriger Politiker rückt nach.
    Sowjetbürger erfahren später, dass ihre Regierung einer "Bitte Afghanistans um wirtschaftliche und militärische Hilfe" nachgekommen sei. Punkt.

    Im Westen ist man ungleich besser informiert.

    Nach dem 2. Weltkrieg hatte die Sowjetunion Afghanistan immer stärker an sich gebunden. Eine "Revolution" machte aus Afghanistan 1978 eine "Demokratische Republik", seither nahm mit gleichzeitig wachsendem Widerstand der ländlichen Bevölkerung auch die Zahl sowjetischer "Berater" und KGB-Mitarbeiter ständig zu. Vom 1. Weihnachtstag 1979 an folgten massiert Luftlandetruppen und motorisierte Einheiten.

    Am 27. Dezember fand sich nicht nur Kabul sondern Afghanistan besetzt: missija vypolnjeno ! - oder wie man seit dem Irak-Sommer 2003 auf amerikanisch sagen würde: "Mission accomplished."

    Über das Rote Telefon, lässt sich Jimmy Carter am 28. Dezember mit Kreml-Chef, Leonid Breschnew, verbinden. Der US-Präsident verlangt den Abzug der Truppen. Ein von aussen geschürter Widerstand islamischer Gruppen habe die an Moskau orientierte Herrschaft in Kabul bedroht, antwortet Breschnew. Rückzug lehnt er ab.

    In seiner Radioansprache Anfang Januar kommt Carter auf den eigentlichen Punkt, der die Alarmglocken in Washington hat schrillen lassen:

    Wir müssen uns über die strategische Bedeutung Afghanistans für Stabilität und Frieden im Klaren sein... Ein sowjetisch besetztes Afghanistan bedroht sowohl Iran als auch Pakistan und ist ein Sprungbrett für eine sowjetische Kontrolle über einen großen Teil der Ölversorgung der Welt.

    Also lässt er die gut gediehenen Abrüstungsverhandlungen abbrechen, sperrt Hochtechnologie- und Getreidelieferungen. Die in Moskau vorbereitete Olympiade wird boykottiert.
    Carters Sicherheitsberater, Zbigniew Brzezinski, stösst nach:

    1. Direkte Unterstützung des afghanischen Widerstands, damit sich die Sowjetarmee festfahre, 2. Massive Militärpräsenz gegen jeden weiteren südwärts gerichteten Vorstoss sowjetischer Macht.

    Eine alsbald im Indischen Ozean aufkreuzende US-Flotte wartet vergeblich - kein Vorstoß: Fehlanzeige. Aber die zwei Milliarden Dollar, die nun jährlich vorwiegend als Waffen an den afghanischen Widerstand gehen, tun Wirkung.
    Moskau muss bis zu 130.000 Mann einsetzen, während der Gegner sich ständig entzieht. Aber es gibt keine politische Stabilität, militärischer Erfolg bleibt aus.

    Der Friedensnobelpreis-Träger Andrej Sacharov hatte gewarnt und war in Verbannung geschickt, Lew Kopelew ausgebürgert worden.
    In russischen Liedern werden Zweifel laut: Ist der im Kampf verdiente Stern wirklich dein Leben wert?

    Gert Ruge notiert in Moskau:

    Aus Afghanistan kamen die Zinksärge mit gefallenen Sowjetsoldaten zurück, und weinende Mütter berichteten, ihre Söhne seien ohne militärische Ehren beerdigt worden... dass man ihrer Trauer auch diese Würde raubte, nahm den Männern, die das Land führten, den letzten Rest an Glaubwürdigkeit.

    Afghanistan - das sind nun zerstörte Dörfer, entvölkerte Landstriche, verminter Boden, Millionen von Flüchtlingen und ungezählte zivile Opfer.
    Auf sowjetischer Seite : 14.000 Gefallene, 50.000 Verwundete, Deserteure, Rauschgift...

    Aber Kremlchef Breznew beharrt.

    Das begrenzte Truppenkontingent wird erst abgezogen, wenn es keinen Widerstand gegen die afghanische Regierung mehr gibt. An dieser grundsätzlichen Position hält die Sowjetunion fest.

    Gorbatschow setzt diese Politik fort. Erst die größten Verluste belehren ihn: im Mai 1988 einigt sich die Sowjetunion mit Afghanistan, Pakistan und den USA auf einen Truppenabzug.
    Viel zu spät. Der Westen hatte durch Afghanistan freie Hand bekommen, die islamische Welt, Blockfreie und Neutrale schlagen sich auf seine Seite. Die letzte Runde im Kalten Krieg mit den bekannten Folgen hatte mit dem Einmarsch in Afghanistan begonnen.