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Vor 25 Jahren
Niederschlagung des Putschs gegen Boris Jelzin

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 erlebte die Russische Föderation als größter Nachfolgestaat der UdSSR eine Verfassungskrise. Parlament und Präsident lagen im Dauerstreit. Vor 25 Jahren stand das Land am Rande eines Bürgerkriegs, als Präsident Boris Jelzin am 4. Oktober 1993 auf das Abgeordnetenhaus schießen ließ.

Von Sabine Adler | 04.10.2018
    Panzer vor dem Moskauer Parlament
    Russische T-80 Panzer eröffnen am 4. Oktober 1993 das Feuer auf das Moskauer Parlamentsgebäude. (dpa/ Velengui)
    Das Symbol, das von Moskau ausging, konnte verheerender kaum sein. Panzer rollten über den Kutusowskij Prospekt auf das Weiße Haus zu und eröffneten das Feuer auf den Sitz des damaligen Parlaments, drinnen hatten sich Abgeordnete verschanzt, angeblich zur Verteidigung der Demokratie.
    Am 4. Oktober 1993 war die Sorge groß, dass die junge Demokratie in Russland sterben könnte, kaum dass sie überhaupt das Licht der Welt erblickt hat. Auch wenn ein Bürgerkrieg im letzten Moment verhindert wurde, wurde die Welt Zeuge, wie verfeindet sich kommunistische und demokratische Kräfte in Russland gegenüberstanden.
    Streit zwischen Reformern und Kommunisten eskaliert
    An jenem Tag eskalierte ein Machtkampf, der seit einiger Zeit schwelte, in dem einstige Verbündete zu Gegnern wurden, die einander nicht schonten. Zwei Jahre zuvor, 1991, hatte Boris Jelzin, der Parteifunktionär aus Swerdlowsk, das Weiße Haus, das damals Regierungssitz war, gegen kommunistische Putschisten verteidigt. Er beendete den Aufstand gegen Michail Gorbatschow, den letzten Präsidenten der Sowjetunion, der auf der Krim festgehalten wurde. Jetzt, Anfang Oktober 1993, ließ Jelzin auf das hohe Haus am Ufer der Moskwa schießen.
    Sein Stellvertreter, Vizepräsident Alexander Rutzkoj, hatte sich mit dem Parlamentspräsidenten Ruslan Chasbulatow verbündet. Beide bekämpften inzwischen erbittert die Jelzinschen Reformen.
    Die verelendete Bevölkerung litt unter der zusammengebrochenen Versorgung, unablässig bildeten sich lange Schlangen vor fast leeren Geschäften. Die eingeleitete Marktwirtschaft war den Menschen zu radikal, zu schnell und ließ viele zurück. Währenddessen stritten sich Präsident Jelzin und das Parlament um eine Verfassungsreform, die eigentlich per Referendum bereits im April bestätigt werden sollte, aber von Jelzins Intimfeind Rutzkoj und dessen Mitstreitern nach Kräften bekämpft wurde.
    "Habe das Vertrauen in Rutzkoj verloren"
    Boris Jelzin hatte genug von seinem Stellvertreter: "Während der Vorbereitung des Referendums wurde der Vizepräsident einer der Wortführer der Reformgegner. Ich habe das Vertrauen in Rutzkoj verloren. Ich habe ihn von allen Vollmachten entbunden, die er von mir als Präsident erhalten hat." Die Krise spitzte sich zu. Ihren vorläufigen Höhepunkt hatte sie bereits am 21. September erreicht, als Jelzin das Parlament für aufgelöst erklärte und damit seine Vollmachten überschritt.
    Weil er um die Sprengkraft dieser Maßnahme wusste, wandte er sich vorsorglich an die Bürger: "Ich zähle auf Ihre Vernunft und Ihr staatsbürgerliches Verhalten. Wir haben die Chance, Russland zu helfen und ich bin sicher, es gelingt uns um des Friedens und der Ruhe im Land willen. Alle sind von diesem Kampf längst erschöpft."
    Zwei Wochen hielten die kommunistischen Verbündeten von Chasbulatow und Rutzkoj die Stellung im Parlamentsgebäude. Jelzin ließ das Wasser abstellen, den Strom. Die Abgeordneten und weitere Gesinnungsgenossen harrten aus. Am 3. Oktober stachelten sowohl Ex-Vizepräsident Rutzkoj, ein Berufsoffizier, und Ex-Parlamentspräsident Chasbulatow, ein Ökonom aus der Teilrepublik Tschtschenien, die Massen weiter auf.
    Chasbulatow rief zum Sturm auf den Kreml auf
    "Kampfbereite Männer!", rief Rutzkoj der Menge zu, "wir eröffnen heute Kampfabteilungen zum Sturm auf das Moskauer Bürgermeisteramt und die Fernsehstation Ostankino." Chasbulatow ging noch einen Schritt weiter, er rief die Versammelten auch zum Sturm des Kreml auf, in dem der seiner Meinung nach verbrecherische Jelzin saß.
    Die Menge bewegte sich auf das Gebäude des örtlichen Sowjets zu, Fenster und Türen gingen zu Bruch. Im TV-Zentrum Ostankino schossen Sicherheitsspezialkräfte auf die anrückenden Massen. Es gab Tote. Am folgenden Morgen griff Präsident Jelzin durch, er schickte die Armee zum Weißen Haus. 13 Mal feuerten die vor das Parlament gezogenen Panzer auf die obersten Etagen.
    Die Rädelsführer wurden abgeführt, die neue Volksvertretung am 12. Dezember gewählt. Die Anführer des Sturms auf das Bürgermeisteramt und den Fernsehturm Ostankino kamen wenige Monate nach ihrer Verurteilung schon wieder frei. Das neue Parlament hatte ihre Amnestie beschlossen - gegen Jelzins Einspruch.