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Vor 250 Jahren starb der Schriftsteller und Staatsphilosoph Charles de Secondat Montesquieu

Die anständigen Frauen wären verloren ohne die Syphilis; jedermann nähme Kurtisanen. Folglich ist es die Syphilis, die Galanterie erzeugt.

Von Kersten Knipp | 10.02.2005
    War das die Freiheit, die er meinte? Eheliche Treue gehörte nicht zu den Tugenden des Charles-Louis de Secondat, Baron de la Brède et de Montesquieu, wie der 1689 in der Nähe von Bordeaux geborene große Theoretiker der politischen Gewaltenteilung mit vollem Namen hieß. Und sicher geht man zu weit, seine Aperçus zur erotischen als Vorspiel seiner Überlegungen zur politischen Freiheit zu deuten. Wohl aber gilt dieses: Der Jurist Montesquieu war ein gelegentlich geschmackloser, meist aber begnadeter Spötter. In seinen 1721 erschienenen "Lettres Persanes", den "Persischen Briefen", verspottete er inkognito – der wahre Name des Verfassers blieb zunächst unbekannt – die Sitten und Unsitten seiner Zeit. So etwa den Hochmut der Mitglieder der Academie Française.

    Tu, was ich dir sage, und ich verspreche dir innerhalb von sechs Tagen einen Platz in der Akademie. Ich will dir damit sagen, dass die Arbeit nicht lang sein wird, denn dann kannst du deine Kunst wieder aufgeben, und du wirst als ein Mann von Geist gelten, ob du willst oder nicht. In Frankreich kann man feststellen, dass ein Mann von Geist, sobald er einer Gruppe der Gesellschaft angehört, den so genannten Gruppengeist annimmt. So wird es auch dir ergehen, und ich fürchte nur deine Verlegenheit vor dem Beifall.

    Der Gruppengeist – auch er ist eines der vielen Hindernisse, die sich dem Menschen auf dem Weg zum selbstbestimmten Denken entgegenstemmen. Zur Entwicklung des Denkens aber wollte Montesquieu beitragen. Dies aber setzte nicht nur geeignete individuelle, sondern vor allem politische Umstände voraus. Montesquieu, so der Politikwissenschaftler Eugen Kogon, war überzeugt, dass…

    … die dem Menschen eingeborenen Vernunft ihn instand setze, von Vorurteilen und Fehlverhalten sich zu befreien; der Staat aber sei nicht bloß ein rationales System, eine Konstruktion mehr oder minder wohlmeinender absolutistischer Macht, sondern das Ergebnis vieler Faktoren, nicht zuletzt der Sitten, eines produktiven Entstehungsgrundes der Maßstäbe und Verhaltensweisen.

    Montesquieu löst Mensch und Staat aus den theologischen Zusammenhängen. Die Politik verläuft nicht nach göttlichem Willen, sie ist auf das engste mit den jeweiligen historischen Voraussetzungen verknüpft. Dies gilt besonders für die Regierungsformen, denen er sein bedeutendstes Werk, den 1748 erschienenen "Esprit des lois", den "Geist der Gesetze", widmet. Dieser, so der Untertitel, handele von nichts anderem als

    … dem Bezug, den die Gesetze zur Verfassung jeder Regierung, zu den Sitten, dem Klima, der Religion, dem Handeln haben müssen.

    In Frankreich sah sich Montesquieu dem Absolutismus Ludwigs XV. gegenüber, dessen verschwenderischer Hofstaat die Steuerlast für die Bürger ins Unerträgliche steigen ließ. Dies vor Augen, so der in Erlangen lehrende Politologe Jürgen Gebhard, entwickelte sich Montesquieu zum entschiedenen Gegner des Absolutismus.

    Montesquieu hielt das absolute Regime für eine Despotie, den Despotien des Orients vergleichbar, und setzte demgegenüber seine Hoffnungen nicht in die reine Republik – wie Rousseau, der sich später als Schüler Montesquieus ausgab -, sondern in das gemäßigte Regime einer aristokratischen Republik oder einer gemäßigten moderaten Monarchie.

    Deren ideale Beschaffenheit arbeitete Montesquieu im "Esprit des lois" aus, dessen berühmteste Passage im Kapitel "Über die Verfassung Englands" steht.

    Wenn in derselben Person oder der gleichen obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt mit der vollziehenden vereinigt ist, gibt es keine Freiheit. Es gibt auch keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist. Alles wäre verloren, wenn derselbe Mensch oder die gleiche Körperschaft der Großen, des Adels oder des Volkes diese drei Gewalten ausüben würde.

    Der "Geist der Gesetze" sah sich vor allem Angriffen französischer Kleriker ausgesetzt, auf deren Vorhaltungen Montesquieu 1750 mit einer "Verteidigung des Geistes der Gesetze" antwortete – vergeblich: Ein Jahr später setzte der Vatikan das Werk auf den Index der verbotenen Bücher. Die Verbreitung und der grenzenlose Erfolg der Schrift ließ sich allerdings nicht mehr verhindern: Der "Geist der Gesetze" wurde zu einem zentralen Gründungstext der europäischen und auch amerikanischen Rechtsstaatlichkeit. Den außergewöhnlichen Erfolg seines Werks hat Montesquieu jedoch nicht mehr erlebt. Er starb am 10. Februar 1755 an den Folgen einer ganz gewöhnlichen Grippe.