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Vor 30 Jahren: Die Schneekatastrophe von Schleswig

Orkanartige Böen und minus 47 Grad kalte Luft aus dem Osten: Kurz nach Weihnachten 1978 brach über Norddeutschland ein Wintersturm ein, der den Einsatz der Marine nötig machte. Mensch und Tier mussten gerettet werden. Johann Waldherr war einer der Helfer, er sagt: "Wir haben versucht, das zu erledigen".

Johann Waldherr im Gespräch mit Jochen Fischer | 30.12.2008
    Jochen Fischer: Den Traum von einer weißen Weihnacht, den hatten vielleicht auch viele Menschen in Norddeutschland heute vor genau 30 Jahren. Er erfüllte sich auch wie dieses Jahr nicht. Aber was dann nach den Feiertagen auf die Menschen zukam, das konnte keiner ahnen. Die wenigsten hatten ein solches Wetter je erlebt. Zuerst Böen der Windstärke 11, ein seltenes Ostseehochwasser von 1,70 Meter über Normal, und dann kam es noch schlimmer: Minus 47 Grad kalte Luft aus dem Osten. Freileitungen brechen unter der Last des Eises zusammen. Es gibt keinen Strom, oft kein Telefon und auf den verstreuten Höfen leiden Mensch und Tier.

    folgt O-TON-Collage aus dem Jahr 1978

    Für verschiedene Katastrophen hatten die Behörden also vorgesorgt, aber eine Möglichkeit hatte man offensichtlich vergessen: einen kräftigen Wintereinbruch. Mittlerweile hatte der Kreis Flensburg-Schleswig Katastrophenalarm ausgelöst und das bedeutete, Technisches Hilfswerk und auch die Bundeswehr wurden um Hilfe gerufen. Einer der Tausenden Helfer in diesen Tagen war Johann Waldherr. Er war Marineflieger aus der Nähe von Niebüll. Guten Morgen!

    Waldherr: Guten Morgen!

    Fischer: Wann wurden Sie alarmiert? Können Sie sich noch erinnern?

    Waldherr: Wir wurden nachts alarmiert auf den 01. Januar hin und sind dann morgens beim ersten Büchsenlichte, sage ich mal, losgeflogen. Es war nicht so ganz einfach, weil wenn alles voll mit Schnee bedeckt ist, dann kann man sich recht schlecht orientieren. Aber es klappte.

    Fischer: Wie haben Sie sich orientiert?

    Waldherr: Wir haben uns orientiert mit am Boden stehenden Messgeräten und mit bordeigenem Radar und auch mit Hilfe der Fluglotsen von Eggebek und Schleswig.

    Fischer: Dann waren Sie also in der Luft. Wie viele Maschinen waren beteiligt?

    Waldherr: Oh, das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir hatten damals 22 Stück, ich meine 18 Stück; es sind nicht immer alle da. Aber in etwa 18 Stück waren wohl unterwegs.

    Fischer: Und was war ihr konkreter Auftrag an dem Morgen?

    Waldherr: Unser konkreter Auftrag war, loszufliegen, und wir haben unser RCC, das Rettungszentrum, in Glücksburg und die haben uns dann an der langen Leine gelassen. Wir waren mit der Feuerwehr in Steinbergkirche verbunden und die hat uns dann gesagt, dahin, dahin, dahin. Dann haben wir versucht, das zu erledigen, was wir letztendlich auch geschafft haben.

    Fischer: Und dann kamen Sie persönlich an Ihrem ersten Einsatzort an. Was hat sich Ihnen da gezeigt?

    Waldherr: Oh, da hat sich so einiges gezeigt. Wir hatten zum Beispiel einen Mann, der auf der Leiter festgebunden war. Der hatte sich das Bein gebrochen und der war auf der Leiter und den haben wir dann eingepackt. Wir haben Hunde mitgenommen, wir haben alles mögliche mitgenommen.

    Fischer: Der Mann lag auf der Leiter auf dem Schnee, oder wo haben Sie den aufgenommen?

    Waldherr: Den haben Leute herantransportiert und wir haben ihn dann aufgenommen und in den Hubschrauber verbracht.

    Fischer: Haben Sie so was schon mal gemacht?

    Waldherr: Nein!

    Fischer: Sie waren bei der Bundesmarine, bei der deutschen Marine eigentlich nicht für Rettungseinsätze zuständig?

    Waldherr: Doch. Natürlich waren wir für Rettungseinsätze zuständig, aber nicht unbedingt für Schneekatastrophen. Unsere Hauptaufgabe liegt ja darin, Leute über See oder aus See zu retten.

    Fischer: Konnten Sie denn immer helfen?

    Waldherr: Wir konnten immer helfen!

    Fischer: Es soll ja auch Geburten gegeben haben. Hubschrauber haben dazu beigetragen, Schwangere in Kliniken zu bringen. Es wurden so genannte Heli-Babys geboren, wie sie später genannt wurden. Haben Sie Erinnerungen daran?

    Waldherr: Nein, damit hatten wir nichts zu tun. Wir haben Dialysepatienten ausgeflogen, wir haben alles mögliche ausgeflogen, Hunde und weiß der Teufel was nicht alles, aber Babys hatten wir nicht an Bord.

    Fischer: Was haben Sie denn eigentlich gedacht bei Ihren Einsätzen? Wie kam es Ihnen vor? Wie waren Sie drauf? Was haben Sie gefühlt?

    Waldherr: Wir waren eigentlich gut drauf, weil die primäre Aufgabe des MFG5 ist es damals gewesen, Menschenleben zu retten, und dann denkt man gar nicht darüber nach.

    Fischer: War das denn eigentlich gefährlich, dort in den Schnee zu fliegen, für die Maschinen und auch für die Menschen?

    Waldherr: Es war, sagen wir mal so, nicht ungefährlich.

    Fischer: Was hätte passieren können?

    Waldherr: Dass wir uns auf den Rüssel legen, sage ich mal ganz einfach. Es ist nichts passiert. Von den ganzen Maschinen, die unterwegs waren, ist keiner was passiert.

    Fischer: Die Hubschrauber haben ihre Probe im Schnee bestanden?

    Waldherr: Ja, zweifelsohne.

    Fischer: Was hat man denn gelernt nach der Schneekatastrophe? Es gab ja anschließend, ungefähr ein Viertel Jahr später, noch nicht mal ein Viertel Jahr später, ein ähnliches Wetter in Norddeutschland. Gab es da andere Pläne, andere Rettungspläne als vorher?

    Waldherr: Nicht, dass ich wüsste. Das war meines Wissens Mitte Februar. Da ging es ja wieder mal los und da sind wir auch geflogen. Aber ob man was daraus gelernt hat, wage ich nicht zu entscheiden.

    Fischer: Was bleibt Ihnen denn am meisten in Erinnerung aus Ihren Einsätzen im Schnee?

    Waldherr: Was bleibt mir in Erinnerung? – Eines, was nicht so ganz schön ist, was dazu gesagt werden muss. Das ist: wir haben ein Müttergenesungswerk evakuiert und da hat sich eine Dame darüber beschwert, dass wir nur unsere Truppensitze, wie wir sie nennen, haben. Das ist ein Eisengestell, sage ich mal, mit Zeltplane bespannt. Und die wollte wohl gerne einen Polsterstuhl haben, aber den hatten wir logischerweise nicht dabei.

    Fischer: Sie wollte gepolstert gerettet werden?

    Waldherr: Ja, so in etwa.

    Fischer: Man muss auch mit allem rechnen heutzutage!

    Waldherr: Ja.

    Fischer: Haben Sie eigentlich noch Kontakte aus dieser Zeit mit Kameraden?

    Waldherr: Aber selbstverständlich!

    Fischer: Und spielt diese Lage noch eine Rolle?

    Waldherr: Wir reden eigentlich nicht mehr darüber. Das ist immerhin 30 Jahre her.

    Fischer: Aber es ist seit dieser Zeit nie mehr so gewesen. Dieses Wetter gab es im Norden wohl nicht mehr oder?

    Waldherr: Gott sei Dank nicht mehr und ich hoffe, das bleibt auch so.

    Fischer: Heute vor 30 Jahren erlebte Schleswig-Holstein eine Schneekatastrophe und einer, der damals geholfen hat, ist der ehemalige Marineflieger Johann Waldherr. Vielen Dank für die Schilderungen, Herr Waldherr, und auf Wiederhören.

    Waldherr: Auf Wiederhören, Herr Fischer.