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Vor 30 Jahren
Urteile im Prozess um vergiftetes Olivenöl in Spanien

Es war einer der größten Lebensmittelskandale Europas: Über 20.000 Menschen wurden Anfang der 1980er-Jahre durch gepanschtes Olivenöl vergiftet. Die Justiz belangte in dem ersten großen Verfahren 38 Unternehmer - wenn auch sehr mild. Entschädigungen für die Opfer gab es zunächst keine.

Von Julia Macher | 20.05.2019
    Olivenöl wird aus einem Behälter in einen größeren gegossen.
    Weil sie Olivenöl mit für die Industrie bestimmtem Rapsöl gepanscht und es als Lebensmittel billig verkauft hatten, wurden in Spanien 1989 mehrere Unternehmer verurteilt (dpa/PIXSELL/Hrvoje Jelavic)
    Als der Vorsitzende Richter der "Audiencia Nacional", des "Nationalen Gerichtshofs Spaniens", am 20. Mai 1989 das Urteil im größten Lebensmittelskandal der spanischen Geschichte verlas, brach ein Tumult im Saal aus. Die Opfer und Angehörigen reagierten mit Pfiffen, Tränen, Ohnmachtsanfällen.
    Die Richter hatten 13 von 38 angeklagten Unternehmen verurteilt, weil sie 1981 Olivenöl mit vergälltem, für die Industrie bestimmten Rapsöl gepanscht und als angebliches Lebensmittel billig auf Straßenmärkten verkauft hatten. Über 20.000 Menschen mussten mit schweren Vergiftungserscheinungen behandelt werden, etwa 700 – so die Schätzung – waren bei Prozessbeginn bereits gestorben. Für die Betroffenen, die teils auf Krücken und im Rollstuhl die Verhandlungen verfolgten, fielen die Haftstrafen zwischen sechs Monaten und 20 Jahren viel zu mild aus.
    Das Urteil war eine Schande, sagt Carmen Cortés, Vorsitzende der Opferorganisation "Seguimos viviendo":
    "Man hat uns vor Gericht als zweitklassige Menschen behandelt. Wir seien vergiftet worden, weil wir dort eingekauft haben, wo wir es nicht hätten tun sollen. Sogar ein hoher Amtsträger hat die Verantwortung auf die Opfer geschoben: Wir hätten eben billiges Öl gekauft."
    Schwere Atemprobleme und Krämpfe
    Das umstrittene Urteil in dem Mammutprozess war nicht der erste Affront für die Betroffenen.
    Als im Mai 1981 innerhalb weniger Wochen Hunderte Menschen mit schweren Atemproblemen und Krämpfen in die Notaufnahmestationen der Krankenhäuser in Madrid, León und Valladolid eingeliefert wurden, gingen die Ärzte wochenlang von einer atypischen Lungenentzündung aus. Andere Thesen schlossen die Behörden kategorisch aus. Die seltsame Epidemie sei ein "bedauerlicher Zwischenfall", hieß es von der Regierungspartei UCD. Gesundheitsminister Jesús Sancho Rof:
    "Eine winterliche Grippe-Epidemie ist auf jeden Fall schwerwiegender, als dieser Krankheitsausbruch. Der Unterschied ist nur, dass wir es mit einem atypischen Verlauf zu tun haben: Wir wissen mit einer 99-prozentigen Wahrscheinlichkeit, wie der Erreger heißt, kennen aber sozusagen den zweiten Nachnamen nicht."
    Gerüchte von einem Atomunfall, von Experimenten mit bakteriologischen Waffen oder einer Vergiftung mit Pestiziden machten die Runde. Den Verdacht einer Ölvergiftung brachte der Kinderarzt Juan Manuel Tabuenca auf. Als in seinem Krankenhaus ein Säugling mit den Symptomen der rätselhaften Krankheit eingeliefert wurde, erfuhr er von der Mutter, dass sie dem Kind stets einen Schuss Olivenöl in den Brei mischte. Tabuenca ließ das Öl untersuchen: Es enthielt hochgiftiges Anilin. Der Arzt überzeugte die Behörden und trat vor die Presse.
    "Dieses Gift findet sich im Öl in einer Konzentration von 0,5 Prozent: Aus dem medikamentösen Gebrauch wurde Anilin verbannt, weil es in dieser Dosis zum Tod führt. Aber bei diesem Öl kommt dazu, dass das Anilin industriellen Ursprungs ist und von über 100 weiteren Giften begleitet wird. Es gibt keinen Zweifel daran, dass dieses Öl giftig ist."
    Rapsöl wird zur todbringenden Giftsuppe
    Laut Ermittlungen hatte ein Netz von Händlern und Zwischenhändlern seit 1979 für die Industrie bestimmtes, denaturiertes Rapsöl importiert und 750.000 Liter davon für den Lebensmittelkonsum raffiniert. Bei der Wiederaufbereitung wurde es zur todbringenden Giftsuppe.
    Fast alle Betroffenen stammten aus armen Arbeitervierteln. Da die zur Entschädigung verpflichteten Firmen Pleite gegangen waren, mussten sie um finanzielle Unterstützung kämpfen. Anspruch auf staatliche Abfindung bestand erst 1997, als der Oberste Gerichtshof Beamte aus Gesundheits- und Grenzbehörden als mitverantwortlich verurteilte.
    In Folge des Giftölskandals wurde der Verbraucherschutz in Spanien gesetzlich geregelt, Lebensmittelkontrollen wurden ausgebaut. Die medizinischen Sonderprogramme zur Langzeitbetreuung der Opfer aber sind ausgelaufen, klagt Carmen Cortés.
    "Was uns am meisten schmerzt, ist die fehlende moralische Entschädigung. Wir möchten die gleiche Anerkennung, die jedes Opfer in anderen Fällen auch bekommt."
    In Madrid erinnert seit diesem Jahr eine Stele an die Opfer. Es ist bis heute das einzige öffentliche Gedenken an den größten Lebensmittelskandal der spanischen Geschichte.