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Vor 300 Jahren geboren
Johann Gottlob Lehmann, Wegbereiter der Geologie

Mit seinen damals völlig neuen Forschungsansätzen ermöglichte er unter anderem die Rekonstruktion der Erdgeschichte. Dennoch ist Johann Gottlob Lehmann heute weitgehend unbekannt - was daran liegen könnte, dass er im russischen Zarenreich mehr geschätzt wurde als im heimischen Preußen.

Von Dagmar Röhrlich | 04.08.2019
    Johann Gottlob Lehmann (1719 - 1767), Naturforscher und Wegbereiter der modernen Geologie, in einem zeitgenössischen Kupferstich
    "Es ist ihm ernst mit dem Ringen um Wahrheit und Klarheit" - der Naturforscher Johann Gottlob Lehmann (1719-1767) (picture-alliance / Mary Evans Picture Library)
    "Ehe wir die Erde genauer betrachten, so wird es nöthig seyn, gantz kurtz zu bestimmen, was unter dem Wort ,Erde‘ zu verstehen sey."
    Berlin, 1756. Johann Gottlob Lehmann veröffentlicht eine 240 Seiten lange Abhandlung "Versuch einer Geschichte von Flötzgebürgen".
    "Wir wollen (…) den Erdboden, so, wie solcher aus festen und flüßigen Theilen zusammengesetzt ist, ansehen."
    So beginnt ein Text, der für die Entwicklung der Geologie zur modernen Wissenschaft ganz entscheidend war: Mit ihm beschreibt Johann Gottlob Lehmann die Erkenntnisse, die er bei seiner Arbeit im Auftrag des preußischen Königs Friedrich II. in den Bergwerken und Lagerstätten des Harzes und des Erzgebirges gewonnen hat.
    Vom Arzt zum leidenschaftlichen Geologen
    "Meine Leser werden es mir nicht so gerade zu auf mein Wort glauben wollen, ich kann es ihnen auch nicht zumuthen. Ich kann ihnen gegentheils aber auch nicht helfen, sie müssten so gut seyn und noch einmal eine Reise mit mir vornehmen."
    Johann Gottlob Lehmann, geboren am 4. August 1719 im sächsischen Langenhennersdorf, war ursprünglich Mediziner. Doch schon während er in Dresden als Arzt tätig war, verlegte er sich mehr und mehr auf geologische und bergbauliche Forschungen. 1750 dann siedelte er nach Berlin über, um sich ganz seiner Leidenschaft zu widmen. Er kroch durch Steinbrüche und Bergwerke und analysierte Gesteinsschichten. Dabei erkannte er als Erster, dass sich darin verschiedene Einheiten abgrenzen lassen: Einheiten, die unterschiedliche Entstehungsgeschichten haben, unterschiedlich beschaffen sind und unterschiedlich alt.
    "Ich habe gesagt, dass unser Erdboden, Anfangs vor der geschehenen Scheidung, eine aufgelöste Erde gewesen, welche in einer großen Menge Wasser geschwommen. Diese Erde schlug sich bey der Schöpfung nieder, und das Wasser wurde theils in das Meer und die Seen, theils in den Abgrund und Mittelpunkt der Erde versammelt. Der Erdboden wurde trocken und bestand aus flachem Lande, und denjenigen Bergen welche jetzo noch sind und wegen ihrer Höhe, innerlichen Structur und anderen Dingen von denjenigen zu unterscheiden welche wir jetzo als Flötzgebürge kennen."
    Unter einem Flözgebirge versteht Lehmann horizontal liegende Gesteinsschichten wie Sand- und Tonsteine. Diese Flözgebirge sollen sich nach den so gennannten uranfänglichen Gebirgen in einer zweiten Entstehungsphase durch eine allumfassende Flut gebildet haben. Diese Flut trug die Erde von den Hängen der älteren Gebirge ab, riss die dort lebenden Tiere mit sich und erodierte einen Teil der älteren Gesteine. Als sich das Wasser zurückzog, setzte sich alles in der Ebene wieder ab. Auf diese beiden großen Ereignisse folgte die dritte, die jüngste Phase. In dieser Zeit sorgten Sturm und Regen dafür, dass sich lokal lockerer Kies, Sand und Ton in den Tälern und Senken ansammeln konnte.
    "Neue Grundsätze für die Forschung"
    "Es ist Johann Gottlob Lehmann ernst mit dem Ringen um Wahrheit und Klarheit."
    So beschreibt der Wissenschaftshistoriker Bruno von Freyberg 1955 die Persönlichkeit des Forschers. Lehmanns bibelnahe Erklärungsversuche sind dem Wissensstand seiner Zeit geschuldet. Doch obwohl der Naturforscher fest in seinem protestantischen Glauben verwurzelt bleibe, trete er in seinen Forschungen der Theologie selbständig gegenüber, lautet von Freybergs Urteil.
    "Er geht den Weg der Erfahrung und sucht das aus der Erfahrung nicht Zugängliche auszuschließen."
    Es sind Lehmanns Schlussfolgerungen, dass sich die Gesteine der Erdkruste in einige große und unterschiedlich alte Gruppen einordnen lassen, die seine Bedeutung ausmachen.
    "Lehmann schuf ganz neue Grundsätze für die Forschung, indem er durch den Vergleich der Schichtenfolgen das ihnen Gemeinsame ermittelte, sie miteinander parallelisierte."
    Johann Gottlob Lehmann zählt damit zu den Begründern der "Stratigraphie": dem Teil der Geologie, der die Gesteine in eine zeitliche Ordnung bringt und damit die Grundlage bildet für die Rekonstruktion der Erdgeschichte.
    Wirklich gewürdigt wurde Johann Gottlob Lehmann in Preußen nicht. Deshalb nahm er 1760 eine festbesoldete Stellung in Sankt Petersburg an: Er war nun Professor für Chemie, Direktor des Naturalienkabinetts und ordentliches Mitglied der Petersburger Akademie der Wissenschaften. Bis zu seinem Tod im Jahr 1767 stand er im Dienst von Katharina der Großen und führte als geschätzter Wissenschaftler geologische Erkundungsreisen im Zarenreich durch.