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Vor 325 Jahren geboren
Voltaire: Philosoph und Vorkämpfer für die Vernunft

Der Philosoph François-Marie Arouet Voltaire galt als rebellischer Denker und lebte damit im Frankreich des 18. Jahrhunderts gefährlich. Immer wieder eckte er mit Zensoren und Kirchenoberen an, doch weder Gefängnisaufenthalte noch das Exil konnten ihn bremsen. Ein kirchliches Begräbnis blieb ihm verwehrt.

Von Christoph Vormweg | 21.11.2019
    Der französische Schriftsteller und Philosoph Francois Marie Arouet Voltaire (1694 - 1778) auf einer zeitgenössischen Darstellung
    Der französische Schriftsteller und Philosoph François-Marie Arouet Voltaire (1694 - 1778) auf einer zeitgenössischen Darstellung (picture-alliance / dpa)
    15 Millionen Wörter stammen aus der Feder Voltaires. Als Vorkämpfer für die Vernunft und gegen den religiösen Fanatismus gehört er zu den fruchtbarsten Denkern der französischen Aufklärung. Bis heute gilt das 18. Jahrhundert deshalb für viele Franzosen als "das Jahrhundert Voltaires".
    "Die öffentliche Meinung regiert die Welt", so Voltaires Devise: "Und am Ende regieren die Philosophen die Meinung der Menschen."
    Weder Gefängnisaufenthalte noch die Jahre im englischen Exil können Voltaire stoppen. Doch paart sich sein unbändiger Ehrgeiz oft mit Rachsucht und Hass.
    "Wenn er nicht geschrieben hätte", so ein Zeitgenosse, "hätte er gemordet."
    Voltaire wird am 21. November 1694 unter dem bürgerlichen Namen François-Marie Arouet in Paris geboren. Sein Vater, ein Notar, schickt ihn auf das Jesuitenkolleg. Dort lernt er die Welt der privilegierten Adelssöhne kennen.
    "Voltaire wollte auch das Geld haben, das die hatten. Das fand er wichtig. Er wollte bei Hof Anklang finden – auch da musste man den richtigen Stil [...] und Geld haben."
    Rudolf von Bitter, Herausgeber und Übersetzer Voltaires
    "Er ist zu Geld gekommen, weil er intelligent war. Er hat auch eine Lotterie gesprengt. […] Und dieses Geld hat er eben nicht verwendet, um in Luxus zu leben, sondern um etwas durchzusetzen, was ihm wichtig erschien."
    Inszenierung als "Don Quijote aller Gehängten"
    Mit vielem, was ihm wichtig erscheint, eckt Voltaire an: seine Liebschaften empören den Vater, seine Satiren die Justiz, die katholische Kirche und den König. Er inszeniert sich als
    "Don Quijote aller Geräderten und Gehängten."
    Besonders inspirierend wird 1726 das Exil in England, dem damals freiheitlichsten Land Europas.
    "Wir reden ja auch bei der Aufklärung von dem Zeitalter der Vernunft: Da kommt die Vernunft gegen das Dogma, gegen den Glauben, gegen die Ideologie. … Und Newton ist ein Star für Voltaire, weil der plötzlich einen Beweis antreten kann."
    Die "Briefe aus England" sind Voltaires erstes philosophisches Werk. Sie erscheinen nach seiner Rückkehr auch in Frankreich. Doch das Pariser Parlament lässt sie verbrennen.
    "In Wahrheit sind es kleine Essays und kleine Provokationen [...]. Diese Briefe wurden 1734 in einem Format veröffentlicht, das unserem Taschenbuch entspricht. Die waren dafür gemacht, unter die Leute zu kommen. Voltaire wusste, was das für Gedanken sind, dass die verboten werden würden, und dass man es leicht in seinem Mantel mittragen kann. […] Sehr listig."
    Denken als Dienst am Fortschritt
    Voltaire begründet die lange französische Tradition des Schriftstellers als öffentlicher Macht, als Gewissen der Nation. Denken sieht er als Dienst am Fortschritt. Das beschert ihm drei Jahre am Hof Friedrichs des Großen in Potsdam. Der preußische König schreibt an seine Schwester:
    "In unserer kleinen Gesellschaft löscht das große Licht unseres Dichters das schwache Licht der Kerzen aus; er, und er allein, hat Geist, und wir haben das Vergnügen, ihm zuzuhören."
    Voltaires Werk ist uferlos. Mit Pionierleistungen wie einer Weltgeschichte setzt er neue Maßstäbe. Oder mit Erzählungen wie "Candide" und Dutzenden Bühnenstücken, von denen Goethe zwei ins Deutsche übersetzt. Entscheidend ist für Voltaire immer die Botschaft wider die Willkür der Herrschenden:
    "Was ist das: Toleranz? Es ist die schönste Gabe der Menschlichkeit. Wir sind alle voller Schwächen und Irrtümer; vergeben wir uns also gegenseitig unsere Torheiten."
    Seinem Aufruf zur Toleranz folgt Voltaire selbst allerdings nicht immer. Im Intrigenspiel ist er Perfektionist. Seinem Schriftstellerkollegen Jean-Jacques Rousseau wünscht er sogar die Todesstrafe. Zudem übernimmt er ungeprüft antisemitische Vorurteile. Und doch, so Rudolf von Bitter:
    "Voltaire ist ein amüsanter Schreiber. Der macht kleine Wendungen. Er überrascht uns. Er hat neben diesem leichten und lustigen Ton auch eine verständliche Sprache. Das ist also ein Philosoph, wie wir ihn uns nur wünschen können, wenn wir die Welt verstehen wollen."
    Ein kirchliches Begräbnis in Paris wird dem scharfzüngigen Religionskritiker 1778 jedoch verwehrt. Seine Angehörigen finden einen Ausweg. Erst lassen sie Herz und Gehirn des großen Aufklärers herausoperieren. Dann schmuggeln sie seinen Leichnam aus Paris heraus, um ihn in der Provinz beizusetzen. Die Lunte in Richtung französischer Revolution ist da längst gelegt. Voltaire als einer der ersten engagierten Schriftsteller gehört zu ihren Vorbereitern.