Donnerstag, 28. März 2024

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Vor 400 Jahren
Die „Schlacht am Weißen Berg“

Am 8. November 1620 trafen am Weißen Berg nahe Prag Truppen des Habsburger Kaisers und des böhmischen Adels aufeinander. Es kam zu einem kurzen, grausamen Gefecht, das als Auftakt des Dreißigjährigen Krieges in die Geschichte einging.

Von Doris Liebermann | 08.11.2020
    Ein zeitgenössischer Kupferstich von Matthaeus Merian d. Ä. zeigt die Schlacht am Weissen Berg 1620 Schlacht aus der Vogelschau.
    Kupferstich der "Schlacht am Weißen Berge" von Matthaeus Merian (picture-alliance / akg-images)
    "In tiefster Finsternis lebten sie, in tiefster Finsternis gingen sie dahin. Keine Spur von Morgenlicht. Finsternis, Finsternis."
    Das schrieb der tschechische Schriftsteller Alois Jirásek über die Zeit, die diesem Schicksalstag für Böhmen folgte: Am 8. November 1620 kämpften die Truppen des Habsburger Kaisers Ferdinand II. gegen die Truppen des böhmischen Königs Friedrich – die kaiserlichen für den Katholizismus, die königlichen für den Protestantismus. Mit 21.000 Mann war das königliche Heer zahlenmäßig unterlegen und durch lange Märsche erschöpft. Das kaiserliche Heer bestand aus 28.000 Mann. Mit ihm hatten sich die gut ausgerüsteten Truppen von Herzog Maximilian von Bayern verbündet. Nach kleineren Gefechten in der Provinz kam es am Weißen Berg zur ersten großen Schlacht des Dreißigjährigen Krieges.
    Böhmen religiös polarisiert

    "Der Weiße Berg" erklärt der Prager Publizist Jaroslav Šonka: liegt im Westen Prags und ist nur 379 Meter hoch. Die Farbe "weiß" leitet sich vom Kalkstein ab, aus dem der ganze Berg besteht. Dort hat man Stein gebrochen für den Bau der Stadt Prag. Heute befindet sich um die historischen Stellen ein Neubaugebiet."
    Herfried Münkler, Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität, 2018.
    Herfried Münkler über den Dreißigjährigen Krieg - "Konfessionen als Zündler und Brandbeschleuniger"
    Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler sieht Parallelen zwischen den Kriegen im Vorderen Orient und dem Dreißigjährigen Krieg, der vor 400 Jahren begann. Wer sich "mit diesem Krieg beschäftigt, kann eine Menge lernen zum Verständnis der eigenen Zeit", sagte Münkler im Dlf.
    Böhmen war zu Beginn des 17. Jahrhunderts in zwei religiöse Lager geteilt. Die Katholiken waren in der Minderheit, den Großteil der Gläubigen machten die Protestanten aus, meist Anhänger des Reformators Jan Hus, der 1415 in Konstanz als "Ketzer" verbrannt worden war. Erst Anfang des 17. Jahrhunderts war das protestantische Bekenntnis durch einen kaiserlichen Majestätsbrief gestattet worden.
    Die Adels-Rebellen gegen König Ferdinand
    Doch als der katholische Erzherzog von Innerösterreich, Ferdinand, 1617 das Amt des Königs von Böhmen bekam, ging er sofort gegen den Protestantismus vor und rief damit den Widerstand der böhmischen Stände hervor. Die Adels-Rebellen erklärten Ferdinand als König für abgesetzt, ein Jahr später wurde der calvinistische Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz böhmischer König. Fast gleichzeitig wurde der abgesetzte Ferdinand zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt. Das gab ihm die Macht, nun von Wien aus gegen die Aufständischen in Böhmen vorzugehen. Am Weißen Berg kam es schließlich zum entscheidenden Gefecht.
    "abgehauene Hände, Füße, Köpfe, Nasen"
    Mit dem Schlachtruf "Sancta Maria" ging das katholische Heer gegen Mittag auf die defensive protestantische Seite los, die in dem blutigen Kampf vernichtend geschlagen wurde. Nach kaum zwei Stunden waren auf beiden Seiten 2.000 Mann gefallen, die meisten davon auf protestantischer Seite:
    "Nun sehe ich, wie sie nicht wenige mit abgehauenen Händen, Füßen, Köpfen, Nasen, durchbohrten Körpern, abgefranster Haut, alle von Blut entstellt, vom Schlachtfeld führen oder tragen, auf die ich aus Leid kaum sehen konnte."
    Dies schrieb der protestantische Theologe und Pädagoge Jan Ámos Komenský, bei uns als Comenius bekannt, unter dem Eindruck der Schlacht.
    Eine historische Illustration aus dem 19. Jahrhundert zeigt den Prager Fenstersturz
    Der Prager Fenstersturz - Jubiläum einer europäischen Tragödie
    Der Prager Fenstersturz löste eine der größten europäischen Katastrophen aus: Der Krieg, der darauf folgte, ist auch schon von Zeitgenossen als Dreißigjähriger bezeichnet worden. Ein Kampf um Macht, Religion und Wahrheit, der unendliches Leid in Mitteleuropa brachte und dem Millionen zum Opfer fielen.
    Die Niederlage entschied für die nächsten drei Jahrhunderte über das Schicksal Böhmens und seine Zugehörigkeit zum Hause Habsburg. Böhmen und Mährer konnten fortan keinen politischen Willen mehr im Habsburger Reich kundtun. Das Land lag nun in der Hand von Kaiser Ferdinand II., der seinen Sieg für eine gnadenlose Gegenreformation nutzte, so Jaroslav Šonka:
    "Die Anführer des Aufstandes wurden verhaftet und eingekerkert, 27 von ihnen wurden dann später auf dem Altstädter Ring in Prag hingerichtet. Nicht-katholische Gläubige wie die "Böhmischen Brüder" verließen das Land. Es sind etwa 36.000 Familien mit 150 000 Menschen weggegangen. Auch Comenius musste ins Exil, genauso auch der nicht-katholische Adel, der zum Teil in Brandenburg oder in Schweden blieb."
    Bildhauer Petr Vana mit der Marienstatue
    Prag und der Wiederaufbau der Mariensäule - Die Gottesmutter als Politikum
    Selbst Polizeieinsätze hat die Prager Mariensäule schon ausgelöst, so umstritten ist sie: Gut 100 Jahre nach ihrem Sturz will eine Initiative sie wieder aufbauen. Katholiken gehören zu den Unterstützern, aber auch Freunde des alten Prags. Ihnen schlägt gewaltiger Widerstand entgegen
    Tschechiens nationales Trauma
    Die katholische Religion wurde zum einzig erlaubten Bekenntnis erklärt und die tschechische Sprache in den Folgejahren vom Deutschen zurückgedrängt. Tschechische Schriftsteller und Historiker sahen später in der Niederlage den Beginn einer nationalen Katastrophe, der "Finsternis". Diese wurde erst mit der Staatsgründung der Tschechoslowakei 1918 überwunden.