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Vor 425 Jahren
Als Willem Barents ungewollt Spitzbergen entdeckte

Gibt es einen Seeweg durch die Arktis von Europa nach China? Diese im 16. Jahrhundert kardinale Frage, trieb auch den niederländischen Seemann Willem Barents um. Er entdeckte am 19. Juni 1596 im Polarmeer zwar nicht die Nordostpassage, aber eine Inselgruppe – mit spitzen Bergen.

Von Irene Meichsner | 19.06.2021
    Ein goldumrahmtes Gemälde zeigt einen Mann mit Vollbart, gezwirbeltem Schnäuzer und großer Halskrause
    Willem Barents - kolorierter Kupferstich nach einem Porträt von 1590 (picture-alliance / akg-images )
    Mit dem Schiff von Amsterdam über das Nordpolarmeer bis nach China – das war der Plan. Und er war kühn. Denn Ende des 16. Jahrhunderts war noch vollkommen unklar, ob es diese direkte Verbindung zwischen Europa und Ostasien, die man später die "Nordostpassage" nannte, überhaupt gab. Doch Willem Barents, einen erfahrenen holländischen Seemann und Kartografen, ließ die Vorstellung nicht mehr los. Zweimal hatte er sein Glück schon versucht. Beide Male war es ihm nicht gelungen, das arktische Packeis zu durchdringen. Im Mai 1596 machte er sich ein drittes Mal auf den Weg - als Steuermann auf einem von zwei Schiffen, in die Kaufleute aus Amsterdam ihr Geld investiert hatten:

    Das erste Packeis am Horizont hielten sie noch für Schwäne

    Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass sein Name einmal unsterblich werden würde", schreibt die amerikanische Journalistin Andrea Pitzer in ihrem Buch über Willem Barents und seine Suche nach der Nordostpassage. Über die Nordsee ging die Fahrt, vorbei an Norwegen, in das Europäische Nordmeer. Nur widerwillig folgte Barents dem Vorschlag von Jan Corneliszoon Rijp, dem Kapitän des zweiten Schiffes, noch weiter in den Norden vorzustoßen. Ihm wäre es lieber gewesen, gleich nach Osten abzuzweigen:
    "Am 5. Juni sahen wir das erste Eis. Wir dachten zuerst, es handle sich um weiße Schwäne", schrieb Gerrit de Veer, einer der Matrosen, in sein Schiffstagebuch.
    Atmosphärisches Phänomen - Sonnenaufgang über Nowaja Semlja
    Den Winter des Jahres 1596 verbrachte die Expedition des holländischen Seefahrers Willem Barents auf der russischen Doppelinsel Nowaja Semlja im Polarmeer. Bei der Beobachtung der Sonne entdeckte er ein bemerkenswertes optisches Phänomen.
    Wenig später stießen die Holländer auf eine kleine Insel, der sie den Namen "Bäreninsel" gaben, nachdem sie dort ihren ersten Eisbären getötet hatten:
    "Am Abend des 15. Juni sahen wir vor uns einen großen Gegenstand im Meer schwimmen. Wir glaubten erst, es handle sich um ein Schiff, aber als wir vorbeifuhren, erkannten wir, dass es sich um einen toten Wal handelte, der fürchterlich stank und auf dem eine beträchtliche Anzahl von Möwen saß."
    Das Eis wurde immer dichter - dann die große Überraschung:
    "Am 19. Juni sahen wir wieder Land. Wir kamen anhand des Sonnenstandes zu dem Ergebnis, dass wir uns auf einer Polhöhe von 80 Grad und 11 Minuten befanden. Dieses Land war sehr groß, und wir segelten westlich daran vorbei, ... kamen aber zunächst nicht näher heran, weil uns der Wind entgegenblies."

    Irrtümlich für Teil von Grönland gehalten

    "Spitzbergen" – so nannten die Holländer das arktische Archipel, das an diesem 19. Juni 1596 wie aus dem Nichts vor ihnen aufgetaucht war und das sie fälschlicherweise für einen Teil von Grönland hielten. Der Name leitete sich von den hohen, spitzen Bergen an der Westküste her. Möglicherweise waren die Wikinger schon vor den Holländern dort gewesen, doch das ist ungewiss.
    Nachdem ein Ankerplatz gefunden war, ruderten die Männer mit ihren Beibooten an Land. Die Gegend wurde - unter Leitung von Barents - genau vermessen, und als die Holländer merkten, dass hier kein Durchkommen war, kehrten sie wieder in die Nähe um die Bäreninsel zurück. Dort kam es zu einem heftigen Streit zwischen Barents und Rijp über das weitere Vorgehen. Doch:
    "Man kam überein, dass jeder alleine weitersegeln sollte."
    Das deutsche Forschungsschiff «Polarstern» unterwegs in der Arktis. Um es herum treiben Eisschollen im Meer. 
    Kampf um Nordpolregion - Die Arktis als Beute der Großmächte
    Der Klimawandel lässt in der Arktis Schifffahrtsrouten eisfrei werden und öffnet Zugänge zu vermuteten Ressourcen-Vorkommen. China positioniert sich wirtschaftlich, Russland militärisch. Die USA sehen sich im Hintertreffen und rüsten auf – kleinere Anrainer und Urvölker müssen alldem zusehen.
    Barents durchquerte mit seinen Männern ein Randmeer des arktischen Ozeans, das man ihm zu Ehren später die "Barentssee" nannte. Am 19. August erreichte er das Nordostkap von Nowaja Semlja, einer Inselgruppe vor dem russischen Festland, wo er mit seinem Schiff endgültig im Eis stecken blieb. Die Männer überwinterten in einer behelfsmäßig zusammengezimmerten Hütte – und überlebten nur unter schier übermenschlichen Strapazen. Erst nach neun Monaten wagten sie sich mit ihren notdürftig reparierten Beibooten wieder aufs offene Meer.
    Barents starb am 20. Juni 1597, fast auf den Tag genau ein Jahr nach der Entdeckung von Spitzbergen, vermutlich an Skorbut. Die zwölf Überlebenden wurden schließlich von russischen Seeleuten aufgegriffen - und von Jan Rijp wieder nach Holland zurückgebracht. Die Kunde von ihrer glücklichen Heimkehr sprach sich wie ein Lauffeuer herum. Und damit auch die Nachricht von der Entdeckung Spitzbergens.

    Spitzbergen als Hotspot des Walfangs

    "Danach dauerte es keine 15 Jahre, bis sich die Länder Westeuropas an der Küste von Spitzbergen als Walfänger etabliert hatten. Sie machten riesige Profite, und der Grönlandwal in den Gewässern um Spitzbergen wurde beinahe ausgerottet."
    1919 - Als Spitzbergen norwegisch wurde
    Spitzbergen ist wegen seiner Nordpol-Nähe nicht nur bei Touristen, sondern auch bei Wissenschaftlern beliebt. Auf der Hauptinsel befinden sich mehrere arktische Forschungsstationen zur Erkundung des Klimawandels. Bis vor 100 Jahren dagegen war Spitzbergen Niemandsland. Erst ein Vertrag änderte dies.
    Der Traum von der Überwindung der Nordostpassage war vorerst geplatzt. Die erste Gesamtdurchfahrt sollte viel später dem schwedischen Geologen Adolf Erik Nordenskiöld gelingen - fast 300 Jahre nach dem kühnen Vorstoß der Holländer.