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Vor 50 Jahren
Als Schweden zum Rechtsverkehr wechselte

Obwohl die schwedische Bevölkerung den Rechtsverkehr ablehnte, setzte sich die Regierung über die Volksabstimmung hinweg und änderte die Fahrtrichtung. Nach vierjähriger Image-Kampagne fährt Schweden seit dem 3. September 1967 rechts.

Von Frank Zirpins | 03.09.2017
    Socke und Unterhose sind mit dem Buchstaben H bedruckt, in dem sich ein Pfeil befindet. Das H steht für höger = rechts. Die Umstellung erfolgte am Sonntag, den 03.09.1967.
    Auf Herren-Unterwäsche und Socken wird in Schweden im August 1967 für die bevorstehende Umstellung auf den Rechtsverkehr geworben. (picture alliance / dpa)
    Slussen - die Schleuse. Verkehrsknotenpunkt in Stockholm. Hier ist der Übergang von der Altstadtinsel zur südlichen Innenstadt. Autos fahren auf einer Hochbahn, überall Rampen und Überführungen, übers Wasser, über die Schienen der Tunnelbahn - ein verwirrendes Nadelöhr. Am 3. September 1967, morgens um zehn vor 5, stand Slussen still.
    Es war der Höhepunkt einer generalstabsmäßig angelegten Umstellung: Schweden führte den Rechtsverkehr ein. Für private Fahrzeuge galt am Stichtag schon tagsüber ein generelles Fahrverbot.
    "Es sind noch zehn Minuten bis fünf Uhr. Wer jetzt noch einen Bus, ein Taxi oder ein anderes zugelassenes Fahrzeug steuert, der sollte nun bereits am linken Bordstein angehalten haben. Das gilt auch für Radfahrer," sagte Lars Skiöld, Leiter der staatlichen Rechtsverkehrkommission, im schwedischen Rundfunk. Jahrelang hatte er diese Nacht vorbereitet und bis ins Detail geplant.
    Rechtsverkehr bei Volksabstimmung abgelehnt
    Seit den 1920er-Jahren gab es in Schweden mehrfach Bemühungen, den Linksverkehr abzuschaffen. 1955 wurde eine Volksabstimmung abgehalten - 85 Prozent sprachen sich gegen den Rechtsverkehr aus.
    Doch in den 60er-Jahren fahren alle Nachbarländer Schwedens rechts. Grund genug für eine Umstellung, meint damals der angesehene Motorjournalist Lennart Öjesten:
    "Wir müssen so schnell wie möglich den Rechtsverkehr einführen. Der beständig zunehmende Verkehr mit unseren Nachbarländern wird bald lebensgefährlich werden, wenn wir links bleiben. Es gibt mehr und mehr Kollisionen, wenn Ausländer auf unseren Straßen rechts überholen."
    Der Druck auf Schweden steigt: Nordischer Rat und Europarat bitten um die Umstellung auf Rechtsverkehr. Der Ingenieur Gösta Hall wird 1961 damit beauftragt, die Kosten der Operation zu ermitteln:
    "Meine Berechnungen haben ergeben, dass es 340 Millionen schwedische Kronen kosten wird, das sind etwa 270 Millionen Mark. Gegen Ende des Krieges oder gleich nach dem Krieg hätte man die Umlegung für nur 27 Millionen Kronen durchführen können."
    Lenkräder schon immer links
    Hunderttausende Verkehrsschilder müssen übermalt und neu aufgestellt, Markierungen geändert werden. Teuer wird vor allem der Umbau tausender Busse. 1963 setzt sich die sozialdemokratische Regierung über das ablehnende Referendum hinweg und beschließt den Wechsel zum Rechtsverkehr. Eine Image-Kampagne beginnt, begleitet von einem eigenen Schlager, der dem prototypischen Durchschnittsschweden Svensson rät, sich rechts zu halten.
    Ein Umstand erleichtert den Schweden den Seitenwechsel: Zwar fahren die Autos links, aber auch die Lenkräder sind links, an der Bordsteinseite - die schwedische Automobilindustrie produziert in erster Linie für den Export in Länder mit Rechtsverkehr. Links fahren, links lenken - das macht es Halbstarken leicht, vom Fahrersitz aus junge Frauen auf dem Bürgersteig anzusprechen – das Überholen aber ist damit viel riskanter.
    Unfallzahlen verändern sich
    Ab Herbst 1966 werden die Schweden auf die neuen Verkehrsregeln vorbereitet. Fernsehprogramme und Abendkurse dienen der Schulung. An diesem mit Spannung erwarteten Septembersonntag kommt der Verkehr morgens um 4:50 Uhr zum völligen Stillstand. In den nächsten zehn Minuten sollen alle Fahrzeuge die Straßenseite wechseln - auf zeitgenössischen Fotos der Stockholmer Kungsgatan ist das reine Chaos zu erkennen. Ein Durcheinander aus Schaulustigen und Autofahrern, die auf fünf Uhr morgens warten - den Beginn der neuen Zeitrechnung. Ein Radioreporter berichtet:
    "Nun ist es fünf Uhr. Schweden hat Rechtsverkehr, und wir hoffen, dass sich alle an die Regeln halten werden."
    Der damalige Kommunikationsminister Olof Palme hält eine kurze Ansprache im Rundfunk:
    "Natürlich wird es zu Beginn einige Schwierigkeiten geben. Aber ich hoffe, dass wir sie überwinden, mit gegenseitiger Rücksicht und gutem Willen."
    Tatsächlich geht die Zahl der Unfälle, an denen Fußgänger oder Radfahrer beteiligt sind, nach der Umstellung zurück. Die Zahl der Auto-Zusammenstöße steigt leicht an, im Februar 1968 normalisiert sich die Unfallstatistik wieder. Olof Palme begrüßt die Schweden:
    "Willkommen im Rechtsverkehr."