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Vor 50 Jahren
"Bonnie and Clyde" wird uraufgeführt

Sex, Gewalt, Provokation: Mit dem Film "Bonnie and Clyde" explodierte der rebellische Geist der Sixties auf den amerikanischen Leinwänden. Die wilde Gangsterballade brach mit Darstellungskonventionen und läutete eine neue Hollywood-Ära ein. Damals verkannt, gilt der Film heute als Meisterwerk.

Von Katja Nicodemus | 04.08.2017
    Warren Beatty und Faye Dunaway spielten das legendäre Gangsterpärchen "Bonnie and Clyde".
    Schön, erotisch, brutal: Bonnie und Clyde waren die Helden einer neuen, wilden Zeit. (Imago / Warner Bros. / The Legacy Collection)
    "Dies ist die Barrow-Bande. Schönen guten Tag! Es passiert keinem etwas, wenn ihr euch alle schön ruhig verhaltet."
    Dieser Film bringt den aufrührerischen Geist der Sixties ins amerikanische Kino. Seine neue, nervöse Bildsprache rüttelt Hollywood aus dem Tiefschlaf. Arthur Penns "Bonnie und Clyde", das Roadmovie über ein historisches Gangsterpaar, zeigt ein selbstzerstörerisches und versehrtes Amerika, seine Helden sind brutal und erotisch.
    "Wie ist das eigentlich so?
    "Was meinen Sie? Im Gefängnis?"
    "Nein, ein Raubüberfall."
    "Na, ein Klacks ist das nicht."
    Die Große Depression: Armut und Hunger
    Wenn Faye Dunaway in dieser Szene mit halb geöffneten Lippen Warren Beattys Pistole streichelt, ist klar, worum es geht. Doch den Regisseur Arthur Penn interessiert nicht nur der Sex- und Pop-Appeal zweier Outlaws, die amerikanische Kriminalgeschichte geschrieben haben. Ihn beschäftigt der historische Kontext der Großen Depression, die Textur, das Lebensgefühl der Zeit. An den Beginn seines Films stellt der Regisseur historische Aufnahmen der dreißiger Jahre. Enteignete Familien, ausgemergelte Kinder.
    "Ich erinnere mich, dass ich als Kind die Fotos der realen Personen Bonnie und Clyde auf den Titelseiten gesehen habe. Ich erinnere mich ganz lebhaft. Ich erinnere mich an die Zeit, als das ganze Ausmaß der Großen Depression deutlich wurde. Und plötzlich wurde mir klar, dass wir den Film auf sehr detailreiche Weise in dieser Zeit verankern mussten."
    Arthur Penn lässt keinen Zweifel an der Skrupellosigkeit seines Gangsterpaares: Clyde Barrow schießt einem Bankangestellten in den Kopf, brutal demütigen er und Bonnie einen Polizisten. Doch der Film verleiht den beiden auch eine Robin-Hood-hafte Aura. Etwa wenn sie einem enteigneten Farmer und dessen Familie begegnen.
    "Das war mal mein Haus, aber jetzt gehört's der Bank. Die haben's mir weggenommen und jetzt haben sie da ihr Schuld dran gemacht."
    "Man kann sie doch nicht einfach so rauswerfen!"
    "Hab' ich auch geglaubt, Ma'am."
    Faszination und Skandal: Gewalt als Revolution
    Das Vergnügen, mit dem Bonnie und Clyde Banken überfallen, Staat, Polizei und Moral herausfordern, war im Jahr 1967 zugleich Skandalon und Faszinosum. Man kann geradezu dabei zusehen, wie sich zwei Verbrecher auf der Leinwand in Popstars verwandeln. Die Kriminalität ist für Arthur Penns Helden eine Art Privatrevolution, aber auch der Weg zur Celebrity-Existenz.
    "Du bist genauso wie ich. Dir ist nichts gut genug, du möchtest was Besseres sein als Serviererin. Wenn wir beide uns zusammentun, dann könnten wir den ganzen Staat in die Tasche stecken und noch Kansas und Missouri und Oklahoma dazu. Und alle würden sie dann von uns sprechen!"
    Zunächst hatte Arthur Penn gezögert, als Warren Beatty, Hauptdarsteller und Produzent, mit dem Drehbuch von "Bonnie und Clyde" zu ihm kam. Der Regisseur grübelte, suchte nach einem Zugang zu der Geschichte. Bis er eines Morgens aufwachte und das Ende von "Bonnie und Clyde" vor sich sah:
    Warren Beatty und Faye Dunaway, deren Körper eine Ewigkeit lang von Kugeln durchlöchert und geschüttelt werden. Ein makabrer Totentanz in Zeitlupe, ein Massaker. Die Exekution der Helden war nur einer von vielen Tabubrüchen des Films. Und nicht einmal eine Erfindung: Das historische Gangsterpaar Clyde Barrow und Bonnie Parker wurde von Polizisten im Mai 1934 in einen Hinterhalt gelockt und regelrecht hingerichtet. Auf indirekte Weise ließ Arthur Penn in seiner grausamen Schlussszene den Vietnamkrieg auf der Leinwand nachhallen - einen Krieg, dessen Tote und dessen Greuel vom amerikanischen Fernsehen und von den amerikanischen Medien nicht gezeigt wurden:
    "Die Zuschauer erkannten die Analogie zu ihrer eigenen Situation, zu ihrem eigenen Leben: Widerstehe der Wehrpflicht, protestiere gegen den Krieg in Vietnam, kämpfe gegen die verlogene Moral, lebe die sexuelle Revolution. Alles passte genau in die Zeit."
    Erst ein Misserfolg – dann ein Meisterwerk
    Arthur Penns Film wurde am 4. August 1967 in New York uraufgeführt. Er wurde in nur wenigen Kinos gezeigt und verschwand wegen der schlechten Kritiken bald ganz. Doch Warren Beatty, der schon für die Entstehung des Films gekämpft hatte, ließ auch jetzt nicht locker. Dank seines Drängens kam "Bonnie und Clyde" noch einmal heraus, begleitet von einer größeren Werbekampagne. Einige Zeitungen revidierten ihre Kritik. Plötzlich erkannte man die Bedeutung des Films für die amerikanische Kinogeschichte. "Bonnie und Clyde" wurde Kult. So wie sein Gangsterpaar, das sich im Film die eigene Heroisierung als Ballade dichtet.
    "Ihr kennt die Geschichte von Jesse James und sein Leben in Freud und Leid. Hört ihr gerne noch mehr, dann hört bitte her, die Geschichte von Bonnie und Clyde."