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Vor 50 Jahren im Fernsehen
Horst Sterns kritische Tier-Dokumentationen

Horst Stern brachte die Realitäten von Massentierhaltung und Tierversuchen in die Wohnzimmer: Am 13. Januar 1970 zeigte das Erste Deutsche Fernsehen die erste von "Sterns Stunden". Bald hagelte es Protestbriefe, wäschekorbweise. Stern hatte einen empfindlichen Nerv getroffen.

Von Irene Meichsner | 13.01.2020
    Bildnummer: 56730787 Datum: 01.10.1989 Copyright: imago/teutopress Horst Stern (Journalist) 10/89 arg Host Stern im Oktober 1989 während der Frankfurter Buchmesse Frankfurt Main Deutschland deutsch Deutscher Mann TV Fernsehen Filmemacher Autor Schriftsteller Journalismus Reporter leger Hemd Jackett Sakko Hemd Brille grauhaarig quer Portrait neutral People xdp x0x 1989 quer 56730787 Date 01 10 1989 Copyright Imago teutopress Horst Star Journalist 10 89 ARG Host Star in October 1989 during the Frankfurt Book Fair Frankfurt Main Germany German German Man TV Television Filmmakers Author Writer Journalism Reporter casual Shirt Jacket Jacket Shirt Glasses grauhaarig horizontal Portrait neutral Celebrities XDP x0x 1989 horizontal
    Seine Dokumentationen waren einschneidende Erlebnisse für die Fernsehnation: Horst Stern, hier 1989 auf der Frankfurter Buchmesse (imago/teutopress)
    "Ich war der Erste, meines Wissens, der mit Kameras in diese Hühnerbatterien hineinging. Und ich war auch wohl der Erste, der diese Mastschweinerei zeigte, in ziemlich schockierenden Bildern. Das war zwar der Fachwelt bekannt, aber die Öffentlichkeit wusste überhaupt nichts davon. Sie glaubte nach wie vor daran, dass ihr Frühstücksei von Mistkratzern produziert würde. Und als sie dann sahen, wie diese Tiere zu Hunderten und zu Tausenden, ja zu Zehntausenden unter dem Dach in Käfigen vegetierten - das war wie ein Schock, aber es hat natürlich den Eierkonsum auch nicht gedrückt."
    Horst Stern hat mit "Sterns Stunde" Fernsehgeschichte geschrieben. 24 Folgen dieser oft aufwühlenden Tier-Dokumentationen, denen der Journalist seinen Aufstieg zu einer Ikone des Tier- und Naturschutzes verdankte, sendete das Erste Deutsche Fernsehen in den 70er-Jahren.
    "Der deutsche Wald steht stumm dabei und leidet"
    Schon die erste Folge, ausgestrahlt am 13. Januar 1970, löste heftige Debatten aus. Es ging um das Pferd, und Stern übte Kritik auch am Missbrauch dieser Tiere zum Beispiel im Pferdesport.
    "Das nahmen mir viele Reiter übel, und sie warfen also wirklich mit Rossäpfeln nach mir. Es gab eine ungeheure Aufregung in der Presse und Diskussionen noch und noch", erinnerte er sich später an diese Zeit, in der das Fernsehen noch eine ungleich größere Breitenwirkung erzielte, als dies heutzutage der Fall ist.
    Und Stern mutete seinem Publikum einiges zu. "Sie hören richtig, meine Damen und Herren, es ist nicht dringlich zur Zeit, den Hirsch zu schonen, es ist dringlich zur Zeit, ihn zu schießen." Dieser denkwürdige Satz fiel 1971 in Sterns Film über den Rothirsch, in dem er der traditionellen deutschen Jägerschaft vorwarf, das Rotwild aus reiner Gier nach Trophäen bis zum Zehnfachen eines für den Wald erträglichen Bestandes herangehegt, wenn nicht herangemästet zu haben.
    "Der deutsche Wald steht stumm dabei und leidet."
    Protestbriefe wäschekorbweise
    Horst Jaedicke, der zuständige Fernsehdirektor vom Süddeutschen Rundfunk, hatte die Sendung ausgerechnet auf den Heiligen Abend terminiert. Horst Stern: "Und als ich das erfuhr - ich war völlig platt. Ich bin rauf zu ihm, hab gesagt: 'Das kannst Du nicht machen!' Der Film fängt zwar an wie ein Weihnachtsmärchen, da tritt ein Sechzehnender aus dem deutschen Wald aus, und leise rieselt der Schnee, aber so bleibt das nicht. Das wird blutig, das wird polemisch! Da sagte der: 'Ja, weiß ich.' Und dann hat er einen klassischen Satz gesprochen, der heute völlig undenkbar wäre aus dem Mund eines Fernsehdirektors, er sagte: 'Wenn jemand an Heiligabend das Fernsehen überhaupt braucht, um sich in weihnachtliche Stimmung zu versetzen, dann soll er das ZDF einschalten, da singen die Regensburger Domspatzen. Wir senden das!'"
    Der Film endete mit den Worten: "Ich meine, dies ernste Thema war ein knappe Stunde Ihrer stillsten Nacht des Jahres wert. Man rettet den deutschen Wald ja nicht, indem man 'O Tannenbaum' singt." Es hagelte Proteste. Horst Stern: "Da kamen ja wirklich waschkörbeweise Briefe. Leute mit Rang und Namen, Fürsten und Grafen und Barone, alte Adelsgeschlechter, die schrieben alle und beschimpften mich als jemanden, der also die heiligsten Güter der Nation in den Dreck zieht und überhaupt nicht weiß, wovon er eigentlich redete."
    Doch Stern hatte gründlich recherchiert. Wissenschaftler stimmten ihm zu, später wurde aufgrund dieses Films sogar das Jagdrecht novelliert. Stern machte weiter, erst einmal mit etwas "harmloseren" Filmen, unter anderem über den Storch, den Schmetterling und die Spinne.
    Folgen über Tierversuche schockierten das Land
    1978 ging dann erneut eine Schockwelle durchs Land. In drei Folgen beschäftigte sich Stern mit Tierversuchen – mit erschütternden Bildern, wie man sie im Fernsehen noch nie gesehen hatte. Eindringlich beschwor Stern die Zuschauer, sich auch dieser Realität zu stellen.
    "Ich bitte Sie, harren Sie aus! Sie sind es der Glaubwürdigkeit Ihres vorauszusehenden Protestes schuldig. Eine Gesellschaft, die geradezu süchtig zu sein scheint nach fiktiver Gewalt im Fernsehen, sollte wenigstens einmal, so meine ich, den Mut haben, jener realen Gewalt ins Gesicht zu schauen, die täglich in unser aller Namen tausendfach an Tieren verübt wird."
    Doch dieses Mal war Stern an seine Grenzen gestoßen. Tierschützer verziehen ihm nicht, dass er im Hinblick auf Tierversuche eine differenzierte Meinung vertreten hatte. Diese Erfahrung trug mit dazu bei, dass Stern dem Fernsehen nach neun Jahren den Rücken kehrte.
    Noch heute bestechen seine Filme durch ihre Ernsthaftigkeit und analytische Schärfe. Es waren buchstäblich "Sternstunden" des Fernsehens.