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Vor 50 Jahren in China
Die "Große Proletarische Kulturrevolution" beginnt

Nach einer katastrophalen Hungersnot startete der Vorsitzende der Kommunistischen Partei in China Mao Zedong im Mai 1966 eine Kampagne, um seine Macht wieder zu festigen. Das Politbüro der KP erklärte den "Repräsentanten der Bourgeoisie" den Krieg. Es war der Beginn der Kulturrevolution, die China zehn Jahre lang bis zum Tod Maos 1976 in Chaos stürzen sollte.

Von Ruth Kirchner | 16.05.2016
    Mit der "Mao Bibel", dem roten Büchlein mit Schriften des chinesischen Führers Mao Zedong, winkt die Masse während der Kulturrevolution am 7.10.1968, dem Nationalfeiertag, ihrem Führer Mao Zedong (r) zu.
    Die Masse winkt dem chinesischen Führer Mao Zedong am Nationalfeiertag 1968 zu (DB AFP)
    Die "Große Proletarische Kulturrevolution" beginnt zunächst als eine weitere von Maos zahlreichen Kampagnen: Nach dem sogenannten Großen Sprung nach vorn, der das Land in eine katastrophale Hungersnot geführt hat, ist sein innerparteiliches Ansehen schwer beschädigt. Die neue Kampagne, die das Politbüro am 16. Mai 1966 bekannt gibt, soll seine Macht neu zementieren und die Partei erneuern. Sie wird von Mao innerhalb weniger Monate zu einer landesweiten Welle des Aufruhrs hochgepeitscht, so der in Hongkong lehrende Historiker Frank Dikötter:
    "Mao versucht, das Volk zu benutzen, um die Partei anzugreifen, vor allem jene, die er als mögliche Feinde betrachtet und die versuchen könnten, ihn zu stürzen."
    Massenversammlung auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Sommer 1966. Mao bedient sich diesmal nicht der Arbeiter und Bauern, sondern der Schüler und Studenten. Sie sollen die Erneuerung vorantreiben. Junge Rotgardisten beginnen auf seinen Befehl hin zu wüten gegen das, was auf Chinesisch "Si Jiu" heißt, die "Vier Relikte": alte Ideen, alte Kultur, alte Sitten und alte Gewohnheiten. Bücher werden verbrannt, Kulturdenkmäler zerstört, Autoritätspersonen angegriffen: lokale Parteisekretäre, Intellektuelle, Professoren, Lehrer. Sie werden öffentlich gedemütigt, in Kampf- und Kritik-Sitzungen verhöhnt, geschlagen, viele zu Tode gefoltert.
    Was genau Mao mit der sogenannten Kulturrevolution erreichen will, bleibt vage: Der angebliche Revisionismus sowjetischer Art solle in China verhindert werden, das Land auf immer "rot" bleiben, Mao selbst zum Vater einer Art Weltsozialismus werden. Die Kulturrevolution sollte das Land von all jenen reinigen, die sich "von den Massen entfernt" hätten.
    Der Kult um Mao nimmt groteske Züge an. In diesem Propagandafilm wird er sogar zum Wunderheiler, durch seine Schriften lernen taubstumme Kinder hören und sprechen und skandieren: Lang lebe Mao Zedong. Und natürlich das kleine rote Buch, die Mao-Bibel. Die Worte des Großen Vorsitzenden sind Pflichtlektüre. Wer nicht mitmacht, ist verdächtig. Unter der Führung von Maos Frau Jiang Qing wird auch die Kultur gleichgeschaltet: Revolutionäre statt klassische Peking-Oper, Loyalitätstänze statt Ballett und Volkstanz.
    Die allgegenwärtige Hymne ist "Dong Fang Hong", der Osten ist rot. Solche Lieder und die Propaganda-Bilder von konformen Massen, die Mao zujubeln, prägen bis heute das Bild von der Kulturrevolution. Aber der Bewegung schließen sich nicht nur überzeugte Jungkommunisten an, sondern auch viele, die nach Jahren der Entbehrungen frustriert und wütend auf die Kommunistische Partei sind. Der soziale Aufruhr stürzt das Land innerhalb kurzer Zeit ins Chaos: Rotgardisten terrorisieren die Bevölkerung und bekämpfen sich gegenseitig. Schließlich rückt 1968 das Militär aus, um die Ordnung wiederherzustellen. Die Roten Garden werden aufgelöst, Millionen Jugendliche zur Umerziehung aufs Land geschickt. Die Partei ist zwar geschwächt, setzt aber ihre Macht weiter mit Gewalt durch. Am Ende stehen bis zu zwei Millionen Tote. Doch die Hypothek der Kulturrevolution sei eine andere, sagt Dikötter:
    "Der Schlüssel zum Verständnis dieser Zeit sind die zerstörten Lebensläufe, der Verlust von Kultur, von spirituellen Werten, Status und Würde. Familien wurden zerrissen; Väter mussten ihre Söhne denunzieren, Nachbarn sich gegenseitig. Die Zerstörung des Grundvertrauens in andere Menschen ist sicherlich der Kern der Kulturrevolution."
    Dieses Trauma wirkt bis heute nach - lange, nachdem die Kulturrevolution mit dem Tod Maos 1976 endete. Bis heute versucht China, diese zehn Jahre zu verdrängen. Sie gelten als "schwerer Fehler des Genossen Mao Zedong in seinen letzten Jahren", werden aber immer noch weitgehend totgeschwiegen.