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Vor 50 Jahren: Urteile Im "Burgos-Prozess" gegen die ETA
Francos Bumerang

Mit einem Kriegsgerichtsverfahren gegen die baskische Untergrundorganisation ETA wollte das Franco-Regime ein Exempel statuieren. Am 28. Dezember 1970 wurden drakonische Strafen, teils Todesurteile verkündet. Doch mit dem "Prozess von Burgos" begann das lange Ende seines autoritären Regimes.

Von Peter B. Schumann | 28.12.2020
    Die sechs Hauptangeklagten im sogenannten Burgos-Prozess: ( von rechts nach links oben) Francisco Javier Izko, Francisco Javier Larena Martinez, Mario Onaindia Natxiondo, Eduardo Uriarte Romero, Joaquin Gorostidi Artola und Jose Dorronsore Zeberio.
    Die sechs Hauptangeklagten im Burgos-Prozess gegen Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA (A0001_UPpicture-alliance / dpa | UPII)
    Am sogenannten Tag der unschuldigen Kinder verurteilten fünf Militärs eines Kriegsgerichts in der nordspanischen Stadt Burgos 16 Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA: sechs von ihnen zum Tod, alle anderen zu Gefängnisstrafen von bis zu 70 Jahren. An diesem 28. Dezember 1970 saßen zu Gericht: ein Kavallerieoberst, als Präsident des Tribunals, ein Infanteriehauptmann, ein Kavallerie-Hauptmann und ein Artilleriehauptmann als Beisitzer. Die Anklage übernahm ein Major. Keiner der Offiziere verfügte über juristische Kenntnisse. Deshalb wurden sie von einem Militärrichter im Hauptmannsrang beraten.
    Es ging um Rache, nicht um Recht
    Konkrete Schuldbeweise gegen den Hauptvorwurf, die Ermordung eines berüchtigten Geheimdienstchefs des Franquismus, wurden nicht vorgelegt, Zeugen wurden nicht gehört, eine Verteidigung fand nicht statt. Denn es ging bei diesen summarischen Urteilen nicht um Recht, sondern um Rache für die Anschläge der ETA gegen die seit drei Jahrzehnten herrschende Franco-Diktatur, so die spanische Journalistin Carmela Negrete:
    "Anfangs war die ETA eine Widerstandsorganisation gegen den Franquismus …, gegen ein totalitäres Regime mit Konzentrationslagern, das den Basken die Autonomie entzogen, ihre Sprache verboten, rund 15.000 von ihnen ermordet und im ganzen Land jede Form von Menschenrechtsverletzungen verübt hat. Dagegen wehrte sich die ETA seit Ende der 1950er-Jahre. Später spaltete sie sich. Ein Teil von ihr entschied sich für den bewaffneten Kampf."
    Vergeltung für den ersten Mordanschlag der ETA
    Am 2. August 1968 hatte ein dreiköpfiges Kommando der ETA den Chefinspektor der Geheimpolizei im Baskenland getötet. Es war der erste Mordanschlag der Organisation und eine Vergeltungsaktion für den Tod eines ETA-Führers. Man hatte ihn ausgewählt, weil er einer der bekanntesten Folterer und ein unbarmherziger Verfolger der Opposition war, ausgebildet von Spezialisten der Gestapo.
    Mit dem Prozess in Burgos, einer ehemaligen Hochburg des Franquismus, wollte das Regime ein Exempel statuieren. Doch es hatte sich verkalkuliert. Viele Spanierinnen und Spanier erinnerten sich an die frühere Blutjustiz der Franquisten und begannen zu protestieren. 500 Frauen blockierten in Madrid eine Straße. "Hoch leben die jungen baskischen Patrioten!" stand auf ihren Transparenten.
    Burgos-Prozess erwies dem Regime einen Bärendienst
    Rechtsanwälte besetzten den Justizpalast in der Hauptstadt. Studenten bestreikten an vielen Universitäten die Vorlesungen, zahllose Professoren solidarisierten sich. In Katalonien schlossen sich 300 Künstler und Intellektuelle in die Abtei des Klosters von Montserrat ein und forderten in einem Manifest: "Totale Amnestie, demokratische Freiheiten und Recht auf Selbstbestimmung."

    Im Baskenland traten 85.000 Arbeiter aus Protest gegen den Prozess von Burgos in den Streik. Regierungen aus vielen Ländern kritisierten die Todesstrafe, und selbst Papst Paul VI.* mischte sich ein und bat die spanische Regierung "um einen Akt der Gnade und die zum Tod Verurteilten nicht zu exekutieren."
    "Freiheit für die spanischen Revolutionäre" wird auf einem Transparent gefordert, das Teilnehmer einer Demonstration am 19. Dezember 1970 in Berlin mit sich tragen. Demonstration solidarisiert sich  mit  16 baskischen Nationalisten, die sich ab dem 3. Dezember 1970 vor einem Militärgericht im spanischen Burgos wegen Mord und Terroraktionen verantworten mussten 
    Internationaler Protest gegen den Prozess von Burgos, etwa hier im Dezember 1970 in Berlin (picture-alliance / dpa | dpa)
    Politischer Punktsieg der ETA
    Die einzigartige nationale und internationale Resistenz überraschte Franco, und er verzichtete schließlich auf den Vollzug der Todesstrafe. Die ETA hatte ihr Ziel erreicht: die Willkürjustiz vor den Augen der Weltöffentlichkeit zu demaskieren und sich als eine neue Kraft des bewaffneten Widerstands zu etablieren. Dazu Carmela Negrete:
    "Der Prozess von Burgos bedeutete zwar keinen Wendepunkt. Er hat jedoch das Bewusstsein der Bevölkerung verändert, wozu auch die massiven ausländischen Reaktionen beigetragen haben. Dennoch gingen die Repression und die Morde weiter. … Sie wurden nur nicht mehr legaliter ausgeführt. Das Regime schuf paramilitärische Organisationen, die sich darum kümmerten."
    Und auch die ETA, die angetreten war, das Baskenland zu befreien, entwickelte sich mit der Zeit immer stärker zu einer Terrororganisation. Bis zu ihrer Auflösung 2018 hatte sie 837 überwiegend Unschuldige getötet.
    * An dieser Stelle wurde der Name des Papstes korrigiert.