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Vor 50 Jahren: "Vier im roten Kreis" uraufgeführt
Als Jean-Pierre Melville den Gangsterfilm neu erfand

Film-Noir-Meister Jean-Pierre Melville war zeitlebens ein Außenseiter des französischen Kinos. Heute wird der Regisseur von der Filmkritik geradezu kultisch verehrt. Das liegt nicht zuletzt an seinem stilbildend lakonischen Gangsterfilm "Vier im roten Kreis", der am 20. Oktober 1970 Premiere hatte.

Von Katja Nicodemus | 20.10.2020
    Auf dem Original-Filmplakat von "LE CERCLE ROUGE", "Vier im roten Kreis", blicken Zeichnungen von Yves Montand und Alain Delon vom Seitenrand ins Bild. Yves Montand (links)und Alain Delon auf dem Original-Filmplakat von Jean-Pierre Melvilles Thriller "LE CERCLE ROUGE", "Vier im roten Kreis".
    Yves Montand (links) und Alain Delon auf dem Original-Filmplakat von "Vier im roten Kreis". 1970 (picture alliance( Courtesy Everett Collection)
    Auf einem Schloss, unweit von Paris, dreht Jean-Pierre Melville 1970 das Finale seines Films "Vier im roten Kreis". Es sollte ein Klassiker des Film noir werden, ein Werk der existenzialistischen Verlorenheit. Alain Delon, Yves Montand und Gian Maria Volonté spielen drei Gangster, die einen Juwelenraub begehen, Alain Bourvil den Kommissar, der sie zur Strecke bringt. In diesem Spätwerk Melvilles ist die Stimmung geprägt von winterlich kargen Landschaften, die die Gangster auf ihren Fluchten durchqueren. Es ist ein abgeklärter Film, ausschließlich geprägt von Männern, was Jean-Pierre Melville damals bemerkenswert schien:
    "Ich kehre zu einer alten Liebe zurück, dem Krimi, dem Abenteuerfilm. Zu einem physischen Kino mit Männern. Es gibt keine Frauen in meinem Film, das habe ich nicht absichtlich gemacht, ich bin nicht frauenfeindlich. Aber als ich das Drehbuch schrieb, merkte ich, dass es einfach keinen Platz für Frauen gibt."
    Éric Demarsans kongeniale Filmmusik
    Zu Beginn von "Vier im roten Kreis" entkommt der Gangster Vogel alias Gian Maria Volonté aus einem Schlafwagenabteil, obwohl sein Bewacher, der Kommissar Mattei, ihn mit Handschellen ans Bett gefesselt hat.
    Parallel zu dieser Flucht zeigt Melville, wie der Profi-Einbrecher Corey, gespielt von Alain Delon, aus dem Gefängnis entlassen wird. Er plant schon wieder den nächsten Coup. Die Wege der beiden Kriminellen kreuzen sich, als Vogel sich im Kofferraum von Corey versteckt. Auf einem einsam gelegenen Feld machen die beiden Bekanntschaft.
    "Was hast Du geglaubt, als ich mich in deinem Wagen versteckt habe?"
    "Dass du der Mann bist, von dem im Radio die Rede ist und den die Polizei sucht. Ich hatte gerade eine Sperreverfügung passiert."
    "Und du hast keine Angst gehabt?"
    "Wovor?"
    Die beiden Männer rauchen und taxieren sich. Hinter ihnen ein zerfurchter Acker und in Nebel getauchte Bäume. Es gibt nichts weiter zu sagen. Das weiß auch die verhängnisvolle Musik von Éric Demarsan.
    Hauptdarsteller Alain Delon in "Der eiskalte Engel"
    Als der "Der eiskalte Engel" ins Kino kam
    Freundschaft, Einsamkeit, Verrat – das sind die Themen von Jean-Pierre Melville. Seine einsamste Figur ist der Gangster Jeff Costello in "Der eiskalte Engel". Im Mittelpunkt: das minimalistisches Spiel von Alain Delon.
    Nach "Der eiskalte Engel" war "Vier im roten Kreis" die zweite Zusammenarbeit von Alain Delon mit Jean-Pierre Melville. Anders als Melvilles frühere Filme mit dem eher lebhaften, physischen Jean-Paul Belmondo ist dieses Werk geprägt von Delons reduzierter Mimik und kühler Präsenz. Trenchcoat tragend, schweigend, mit unbeirrbar fixierendem Blick - Melville wusste den Typus Delon meisterlich einzusetzen, und Delon war sich dieser Meisterschaft sehr bewusst: "Das ist wieder eine Figur, die außerhalb der Gesellschaft steht. Man hat mir immer wieder vorgeworfen, dass ich häufig solche Typen spiele. Aber hier ist es etwas anderes. Es ist ein Melville-Film. Und wenn man mit Melville dreht, ist es egal, ob man sich wiederholt."
    Der Titel von Melvilles Film bezieht sich auf ein angeblich buddhistisches Sprichwort im Vorspann, das der Regisseur jedoch frei erfunden hat. Es besagt, dass Menschen, die sich im symbolischen roten Kreis begegnen, für immer verbunden sind. Ebenfalls im roten Kreis befindet sich Yves Montands ehemaliger Polizeischarfschütze Jansen, den Corey und Vogel für ihren Raub engagieren. Und auch der Kommissar gehört zu dieser Schicksalsgemeinschaft.
    Schließlich gebe es ohnehin keine moralischen Unterschiede zwischen den Menschen, wie der Polizeichef erklärt:
    "Und vergessen Sie nie, keiner ist unschuldig."
    "Selbst die Polizisten?"
    "Alle Menschen, Monsieur Mattei."
    Zentrum und Herz von Melvilles Film ist der virtuos geplante und perfekt durchgeführte Raub. Hier ist alles wortlos ausgeübtes Handwerk: Der Zugang über die Strickleiter, das Zerschneiden des Fensterglases, das Aufbauen des Stativs, um das Gewehr zu fixieren. Der von Montands Figur dann doch freihändig ausgeführte Schuss, mit dem die Alarmanlage deaktiviert wird. Das Einsammeln der Schmuckstücke. Die Flucht im Wagen.
    Die Freude, Gangstern beim Rauchen zuzusehen
    "Vier im roten Kreis", uraufgeführt am 20. Oktober 1970 in Paris, mag ein auf den ersten Blick pessimistisches, ja nihilistisches Werk sein, aber es erzählt eben auch von Jean-Pierre Melvilles Freude, seinen Gangstern bei der Arbeit zuzusehen. Und beim Rauchen. Und Yves Montand beim Sprechen von solchen Sätzen: "Noch etwas. Ich wollte Dir sagen, ich verzichte auf meinen Anteil. Du und Vogel, Ihr werdet ihn euch teilen. Ihr braucht ihn nötiger als ich."
    Dass "Vier im roten Kreis" zum stilbildenden Werk und bis heute gefeierten Gangsterfilm wurde, mag daran liegen, dass der Film-Noir-Meister Jean-Pierre Melville sich hier genauso verhält wie seine Figuren: ruhig, souverän, mit möglichst wenig Dialogen auf begeisternde Weise sein Handwerk vorführend.