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Vor 60 Jahren entdeckt
Faszinierende Bilderwelt aus der Steinzeit

Die Bilder wirkten verblüffend modern, waren aber 17.000 Jahre alt. Die Entdeckung der steinzeitlichen Höhlenmalereien von Lascaux vor 75 Jahren war eine Sensation. Bald strömte des Publikum in die französische Dordogne. Doch das tat der Bilderpracht gar nicht gut.

Von Mathias Schulenburg | 12.09.2015
    Prähistorisches Bild in der Höhle von Lascaux in Südwestfrankreich: Seit 1963 ist die Höhle geschlossen, weil die Malereien durch den Publikumsverkehr stark geschädigt wurden.
    Prähistorisches Bild in der Höhle von Lascaux in Südwestfrankreich: Seit 1963 ist die Höhle geschlossen, weil die Malereien durch den Publikumsverkehr stark geschädigt wurden. (PHILIPPE WOJAZER / POOL / AFP)
    Von der Geschichte der Entdeckung der berühmten Höhle von Lascaux im Departement Dordogne im Südwesten Frankreichs existieren so viele Versionen wie es Autoren gibt; ein Punkt aber ist unstrittig: die Entdecker, die Knaben Marcel Ravidat, Jacques Marsal, Georges Agnel und Simon Coencas, betraten die Höhle am 12. September 1940 zum ersten Mal und damit zugleich den so genannten "Saal der Stiere", ausgestattet mit Felsmalereien vom Feinsten. Wände und Decken dieses Höhlenabschnitts waren mit einem feinen Rasen aus weißen Calcit-Kristallen bedeckt, der eine Art Leinwand bildete, auf der sich mit Mineralfarben malen ließ. In Schwarz, Braun, Ocker, Rot präsentierte sich den jungen Männern – im Licht einer an der Spitze brennenden Fettpresse – die Großtierwelt der Gegend vor 17.000 Jahren, teils plastisch, mit leicht aus der Bildebene geneigten Köpfen, in wunderbaren Farben.

    "Wer diese Zeitkapsel betritt, sieht sich vier Meter langen Stieren gegenüber, die über massiven Gewölben wie religiöse Erscheinungen zu schweben scheinen. Ein rätselhaftes, geflecktes Tier mit runder Schnauze und langen, geraden, vorwärts weisenden Hörnern, plumpe Pferde in leuchtendem Gelb und Hirsche mit baumartigen Geweihen – alles scheint zugleich Vertrautes der Gegenwart und Botschaft einer fernen Welt zu sein", schrieb das TIME-Magazin über die Entdeckung, die international Furore machte.
    "Obwohl die Höhlenbilder verblüffend modern wirken, wurden sie in der Jüngeren Altsteinzeit auf die Calcitwände gemalt, als jeder Jäger und Sammler war und Homo sapiens neben dem Neandertaler existierte. Die Bilder sind Zeugnis des Sprungs in der neuralen Entwicklung, der das menschliche Bewusstsein hervorbrachte."
    Und der "Saal der Stiere" war nur ein kleiner Teil der Höhle, wenn auch der schönste. Der spanische Maler Pablo Picasso soll 1940 beim Anblick der Steinzeit-Malereien ausgerufen haben:

    "Wir haben nichts dazu gelernt!"
    Es existierte eine Legende - die Jungs waren neugierig
    Die Vorgeschichte der Entdeckung dieser Höhle war gleichermaßen märchenhaft. Unter den jungen Leuten der Gegend kursierte die Legende, dass vom alten, maroden Schloss des kleinen Ortes Montignac zum Gutshof von Lascaux ein Geheimgang – unter dem Fluss Vézère hindurch! – existiere, von dem ein Zweig in den Wald von Montignac führe, an dessen Ende ein veritabler Schatz zu finden sei. Diese Vorstellung – und die Aussicht auf jagdbare Kaninchen – führte Marcel Ravidat, seinen Terrier Robot und drei Freunde am 8. September 1940 zufällig in die Nähe des Höhleneingangs, als der Hund über einer Vertiefung im Boden in Aufregung geriet. Die Vertiefung hatte der Wurzelballen einer umgestürzten Pinie hinterlassen, unter der Mulde aber war ein weiteres Loch erkennbar, das in die Erde führte. Vier Tage später wagten dann die Freunde gemeinsam, einer nach dem anderen, Marcel zuerst, den Abstieg, nachdem sie die Öffnung erweitert hatten. Die Höhle von Lascaux war entdeckt worden.
    Und das bekam ihr nicht. Krieg und deutsche Besatzung hatten auch die Dordogne in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Krieg wäre ein Publikumsmagnet für den wieder in Gang kommenden Tourismus sehr willkommen gewesen, und das war die Höhle, ein Magnet – also wurde sie für den Publikumsverkehr hergerichtet und 1948 geöffnet. Bald gab es Schwierigkeiten, unter anderem bildete sich Schimmel, der aber kontrolliert werden konnte. Im Jahr 2000 aber kam eine Katastrophe in Gang. Die alte passive Luftzirkulation wurde ohne jeden Test mittels einer Turbo-Klimaanlage "modernisiert". Ein weißer Pilz besiedelte die Höhle, gefolgt von schwarzen Flecken. Die Behörden hielten den Vorgang lange unter der Decke. Das Versprühen von Antibiotika und Fungiziden machte die Lage nicht besser.
    Heute ist die Höhle geschlossen. Ersatz bietet Lascaux 2, eine 200 Meter neben dem Original liegende, abschnittsweise Nachbildung.
    Mit Lascaux 4 ist endlich ein robuster Kunststoffnachbau in Arbeit, mit den mittlerweile unvermeidlichen Videoinstallationen. Was der Entdecker der Original-Höhle von Lascaux, der Hund Robot, wohl dazu sagen würde?