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Vor 600 Jahren: Jan Hus auf dem Scheiterhaufen
Umstrittener Kirchenrebell

In Tschechien gilt der Kirchenrebell Jan Hus als Nationalheld. Sein Denkmal in Prag wurde gerade restauriert, zahlreiche Ausstellungen erinnern derzeit daran, wie er vor 600 Jahren auf dem Konstanzer Konzil als Ketzer verurteilt und verbrannt wurde. Über seine Thesen streiten Theologen bis heute - und auch für die Rechtschreibung war Hus wichtig.

-1 | 09.07.2015
    Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil
    Der tschechische Reformator Jan Hus vor dem Konstanzer Konzil (dpa / picture alliance)
    Am 6. Juli 1415 bekam der Theologe Jan Hus einen stilisierten Hut aufgesetzt, auf dessen Papier die Teufel kreisten. Dann wurde er vor die Tore von Konstanz auf den Scheiterhaufen geführt und verbrannt. Seine Asche wurde vorausschauend in den Rhein gestreut, damit nichts von ihm übrig bliebe, was als Andenken, gar als Reliquie dienen konnte. Doch das Gegenteil trat ein: Hus wurde zum Nationalhelden der Tschechen, und ist das auch heute noch.
    Was Hus auf den Scheiterhaufen brachte, sei in erster Linie seine Theologie gewesen, sagt Christopher Spehr, Professor für Kirchengeschichte an der Uni Jena.
    "Jan Hus ist ein Kirchenreformer, wir können ihn auch als Reformator bezeichnen, der insbesondere das Wesen der Kirche hinterfragte, die Missstände in der Kirche seiner Zeit kritisierte, die Priester wieder zurück zum Evangelium führen wollte, die Bibel als Autorität und Grundlage propagierte gegenüber dem Papsttum, und wirklich von der wahren Kirche überzeugt war: Eine geistige Kirche und eben nicht eine institutionelle Kirche, die in Pracht und Macht steht. Hier geht es Hus um die Armen, denen man sich zuwenden soll – und da kommt die Armutsbewegung des Mittelalters mit hinein, was auch schon bei Franz von Assisi wie auch Wyclif und anderen ein wichtiger Aspekt war – dass man sich als Kirche nicht in Reichtum gibt, sondern sich tatsächlich den Armen zuwendet."
    Und das in einer Sprache, die sie verstehen und selbst sprechen. In seinem Falle war es die tschechische Sprache, die er mitprägte und für Bibelübersetzungen und Predigten verwendete.
    Parallelen tun sich auf, weisen ins kommende Jahrhundert nach Deutschland, zu Martin Luther. Auch der sei als Gegner päpstlicher Kirchenpolitik anfangs höchst gefährdet gewesen, als er 1521 auf dem Wormser Reichstag auftrat, sagt Christopher Spehr:
    "Jan Hus wurde in Konstanz der Prozess gemacht; Luther war der Prozess bereits gemacht worden, kirchlicherseits. Also das Ketzerverfahren bei Luther war abgeschlossen, die Bannbulle war ausgesprochen, und jetzt musste eigentlich nur noch die Reichsacht folgen bei dem üblichen Ketzerrecht. Bei Jan Hus war das alles etwas schneller gelaufen, eben auf dem Konstanzer Konzil. Die Prozessakten sind in der Form heute nicht mehr erhalten, aber die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es tatsächlich nach dem damaligen Prozessrecht ein rechtmäßiger Prozess war."
    Und so sieht es die katholische Kirche auch heute noch, gleich wenn Papst Johannes Paul II. oder jüngst Papst Franziskus ihr Bedauern ausdrückten.
    Luther hatte im sächsischen Kurfürsten einen Beschützer, der ihn auf die Wartburg entführen ließ. Und Hus? Hatte auch einen, sagt Dr. Martin Wernisch, Historiker an der Prager Karls-Universität.
    Luther stellte sich in die Nachfolge von Hus
    "Es gab eine Zeit, einige Jahre eigentlich, wo der böhmische König tatsächlich über Hus eine schützende Hand hielt. Aber dann überwarf sich Hus auch mit dem König wegen dem Ablass. Das ist auch interessant wegen dieser Analogie: Aber die funktionierte nicht mehr im Sinn, dass der Ablass im Luther-Fall gegen den Erzbischof gerichtet wurde, aber nicht gegen den Kurfürst. Der Kurfürst stand in dieser Sache an Luthers Seite. In dieser Hinsicht hatte Hus sozusagen ein historisches Pech."
    Hus komme allerdings das Verdienst zu, den Boden geebnet zu haben: Im Aufbegehren des Jan Hus gegen eine verkommene Kirche sei das Papsttum bereits geschwächt worden, habe Martin Luther gemeint.
    "In diesem Sinne hatte er es dann leichter. Das ist seine eigene Auslegung. Historisch ist das noch weit komplizierter; ein Historiker kann solche Urteile nur sehr bedingt fällen. Aber weil es im eigenen Bewusstsein des Reformators so war, dann ist es natürlich ein geschichtliches Faktum."
    Luther stellte sich in die Nachfolge von Jan Hus, dessen Familienname aus dem Tschechischen mit "Gans" übertragen werden kann. Daher, sagt Christopher Spehr, soll er auch seinen Richtern zugerufen haben: Heute bratet ihr eine Gans. Aus der Asche aber wird ein Schwan entstehen.
    "Und so hat die Ikonographie Hus ganz stark mit der Gans gemeint, und nach 100 Jahren – so stilisierte es Luther dann auch selber – wird ein Schwan entstehen. Den werdet ihr singen hören, und den kann niemand braten. Das war so dieser Zug, den Martin Luther in den 1530er Jahren entwickelte, und der dann ikonographisch auch das Luthertum bestimmte, so dass wir im 16., dann im 17. und 18. Jh. immer Luther mit dem Schwan als Symbol abgebildet haben, und Hus mit der Gans."
    Entscheidende Figur für eine Rechtschreibreform
    Im Zuge der Reformation gelangten Schriften von Hus und der hussitischen Bewegung an den Hof des protestantischen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Ein wertvoller Bestandteil der Fürstenbibliothek wurde der sogenannte Jenaer Hussitencodex, eine reich illustrierte Handschriftensammlung, die vor und nach 1500 entstanden war. Sie umfasst Texte zu Hus und der hussitischen Bewegung. In Folge des Schmalkaldischen Krieges gelangte sie um 1549 nach Jena. Derzeit ist der Codex in einer Sonderausstellung der hiesigen Universitätsbibliothek zu sehen - als Faksimile. Das Original befindet sich im Prager Nationalmuseum. 1951 gab es DDR-Präsident Wilhelm Pieck dem "tschechischen Brudervolk" als Wiedergutmachung und als Zeichen revolutionärer Verbundenheit zurück.
    Heute gibt es die verschiedensten Zugriffe auf Jan Hus, je nach politischem Lager. Für die tschechischen evangelischen Christen ist er der große Einiger – trotz verschiedener theologischer Auffassungen. "Wir bauen alle auf der Erde von Hus", ist ein Leitmotiv der 1918 entstandenen Kirche der Böhmischen Brüder. Davon wissen jedoch nur noch sehr wenige: Die tschechische Gesellschaft ist eine der am stärksten säkularisierten Europas. Ein übergreifendes, gemeinsames Erbe gebe es dann aber doch, sagt Dr. Jindřich Halama, Theologe an der Prager Karls-Universität.
    "Hus hat eine Reform in der Rechtschreibung gemacht. Das sind die für Ausländer schwierigen Vokabeln wie mein erster Name: Jindřich, was normalerweise mit einem Haufen verschiedener Buchstaben geschrieben sein müsste. Hus hat diese vereinfacht, und so wurde es ab dem 16. Jh. schon regelmäßig benutzt."