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Vor 75 Jahren
Als die USA die erste Atombombe zündeten

Am 16. Juli 1945 führte ein Team von Physikern im Auftrag der US-Armee in der Wüste New Mexicos den ersten Kernwaffentest durch. Die Warnungen der Physiker vor den verheerenden Folgen verhallten, es war der Beginn des atomaren Wettrüstens. Drei Wochen später warfen die USA die Atombombe über Hiroshima ab.

Von Bert Oliver Manig | 16.07.2020
    Die erste Atombombe explodierte in Los Alamos, 16.07.1945
    Die erste Atombombe explodierte in Los Alamos (imago/United Archives International)
    Die Entwickler der ersten Atombombe waren am Ziel. Koryphäen der Physik warteten vor Tagesanbruch in der Wüste von New Mexiko gespannt darauf, das Ergebnis ihrer jahrelangen Forschungsarbeit zu beobachten. Alles war berechnet, alles schien durchdacht, doch ein Rest von Ungewissheit blieb bis zu diesem 16. Juli 1945 bestehen: Wenige Stunden vor dem Countdown befiel den Nobelpreisträger Enrico Fermi die Angst, die geplante nukleare Kettenreaktion könne aus dem Ruder laufen, womöglich sogar die Erdatmosphäre in Brand setzen. Vorsichtshalber wurde Gouverneur Dempsey in Bereitschaft versetzt, um gegebenenfalls den Notstand im Bundesstaat New Mexiko ausrufen zu können.
    Um 5.30 Uhr erfolgte die Fernzündung der Bombe. In 16 Kilometer Entfernung beobachtete der Physiker Isidor Isaak Rabi das Geschehen durch eine Schutzbrille: "Das Licht schoss auf einen zu; es bohrte sich durch einen durch. Es war ein Bild, das man nicht nur mit den Augen sah, es brannte sich für immer ein. Man wünschte, es würde aufhören." Messgeräte zeigten an, dass die Bombe die Sprengwirkung von 18.600 Tonnen TNT hatte – 3.100- mal mehr als die damals stärkste konventionelle Bombe. Sprengkraft und Strahlung waren deutlich stärker als vorhergesagt.
    Kein Tag des Triumphs
    Robert Oppenheimer, der wissenschaftliche Leiter des geheimen Atomprogramms, war erleichtert. Am US-Kongress vorbeigeschleuste zwei Milliarden Dollar Fördergelder und jahrelange Arbeit in der Abgeschiedenheit von Los Alamos waren glänzend gerechtfertigt. Aber keineswegs alle beteiligten Wissenschaftler sahen diesen Tag als Triumph an. 70 von ihnen hatten noch einen Monat zuvor mit einer Eingabe an den Präsidenten vergebens versucht, die Regierung von Bau und Einsatz der Bombe abzubringen.
    Doch die Militärs sahen in der neuen Bombe ein probates Mittel der Kriegsführung, um den zähen Widerstand Japans zu brechen und eigene Verluste zu begrenzen. So wurde noch am selben Tag, dem 16. Juli, im Hafen von San Francisco eine Uranbombe verladen. Drei Wochen später sollte sie in Hiroshima auf einen Schlag etwa 80.000 Menschen töten.
    Beginn des atomaren Wettrüstens
    Die Regierung zog einen Verzicht auf die neue Waffentechnologie nicht ernsthaft in Erwägung. US-Präsident Harry S. Truman sah in der Atombombe ein politisches Pfund im sich bereits abzeichnenden Kalten Krieg mit der Sowjetunion. Truman erfuhr vom erfolgreichen Verlauf des Tests in Potsdam, wo die Konferenz der drei alliierten Regierungschefs stattfand. Der britische Premier Winston Churchill beobachtete:
    "Er war wie ausgewechselt, er sagte den Russen, was sie zu tun, beziehungsweise nicht zu tun hätten, und kommandierte die ganze Sitzung herum." Doch als Truman Stalin von dem erfolgreichen Test einer völlig neuartigen Bombe mit unvergleichlicher Vernichtungskraft berichtete, reagierte der sowjetische Staatschef völlig unbeeindruckt. Truman und Churchill waren enttäuscht. Sie vermuteten, Stalin habe die Tragweite der Mitteilung nicht begriffen. Das Gegenteil war der Fall. Tatsächlich waren die Sowjets durch Spionage recht gut über die Fortschritte des amerikanischen Atomprogramms im Bilde. Stalin gab noch am selben Tag Weisung, das sowjetische Atomprogramm zu beschleunigen, um mit den Amerikanern gleichzuziehen.
    Trumans Entschluss, das atomtechnologische Wissen vor dem sowjetischen Verbündeten weiterhin geheim zu halten, war daher ebenso illusorisch wie politisch fragwürdig. Harry S. Truman: "Die Atombombe ist zu gefährlich, um damit in einer gesetzlosen Welt leichtfertig umzugehen. Daher haben Großbritannien, Kanada und die USA, die das Geheimnis ihrer Produktion kennen, nicht die Absicht, dieses Wissen zu teilen, bevor nicht Mittel zur Kontrolle gefunden sind, um uns selbst und den Rest der Welt vor der Gefahr der totalen Vernichtung zu schützen."
    Das Misstrauen zwischen Ost und West setzte ein kostspieliges und gefährliches atomares Wettrüsten in Gang. In der seit 1955 entstehenden Abrüstungsbewegung spielten Veteranen des US-Atomprogramms eine führende Rolle. Sie machten eine bittere Erfahrung: Verglichen mit ihrer Abschaffung war die Entwicklung der Atombombe ein Kinderspiel.