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Vor 75 Jahren starb der Schauspieler Heinrich George
"Wenn sie mir verbieten, zu spielen, werde ich sterben"

Bis heute bleibt der Schauspieler Heinrich George umstritten. War der Theater-Titan der Weimarer Republik ein Mitläufer, Opportunist oder ein politisch blinder Spielball des NS-Regimes? Am 25. September 1946 starb der Vater des Schauspielers Götz George im Straflager Sachsenhausen.

Von Cornelie Ueding | 25.09.2021
    Der Schauspieler Heinrich George als Franz Biberkopf in der Verfilmung von Piel Jutzi nach dem Buch von Alfred Döblin
    Heinrich George als Franz Biberkopf in Piel Jutzis "Berlin Alexanderplatz"-Verfilmung von 1931 (dpa / picture-alliance / akg-images)
    "Ich bin selbst Granate und brauch sie daher nicht zu drehen. Und zwar bin ich kein Blindgänger, sondern wenn ich mal abgeschossen werde, lande ich meistens als Volltreffer. Und das weiß auch das deutsche Volk und deshalb will es mich nicht als Granatendreher sehen."
    An Resonanz und Selbstbewusstsein hat es dem 1893 in Stettin geborenen Heinrich George wahrlich nicht gefehlt. Mit guten Gründen. Als einer der renommiertesten Schauspieler der Weimarer Republik verzauberte er ganz Berlin, gleichzeitig begann seine erfolgreiche Filmkarriere. Und ob auf der Bühne oder im Filmstudio: Er zog alle in den Bann seiner Persönlichkeit und seiner Ausdruckskraft, erinnerte sich Fritz von Unruh:
    "Bei dem scheint jede Bewegung und jedes Wort aus dem Moment zu kommen. Man kann ihm auch gar nichts raten oder vorspielen. Er erfasst die Rolle nicht mit seinem kolossalen Kopf, sondern mit seinem, ja wie soll ich nun sagen, mit seinem dauernd im Chaos herumgewirbelten Blut."
    Nicht nur sein mächtiger Körper, auch seine unglaubliche Stimme betörte die Menschen, selbst professionelle Theatermenschen wie den Regisseur Jürgen Fehling:
    "Seine Stimme konnte ausbrechen, wie Raben um den Kirchturm krächzen. Er konnte zaubern aus dem Gehege seiner Zähne, immer war er ein Mensch, gehetzt und gequält von zu viel Gesichtern. Wie kein andrer ausgerüstet zur Inkarnation all jener Gestalten, die gesandt sind, auf der Bühne das Gruseln zu lehren."

    Geprägt von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs

    Es wäre dennoch ein Fehler, ihn als reinen Instinktschauspieler zu verstehen, der nur die Bühne kannte. An den politischen und sozialen Bewegungen seiner Zeit nahm er mit großem Engagement teil, sprach auf sozialistischen und kommunistischen Versammlungen, setzte sich für jüdische Kollegen ein und galt allgemein als links. Die bitteren Erlebnisse des Ersten Weltkriegs, seine schweren Verwundungen prägten von da an sein Menschenbild. Erst die Grausamkeit des Schlachtfelds habe ihn gelehrt, was die Wirklichkeit wirklich ist. Fritz von Unruh gab seinen wütenden Aufschrei wieder:
    "Wer das vergessen kann, diese zerfetzten Soldaten. Wer das vergessen kann, der ist ein Schwein, ein verdammtes Schwein. Es gibt keine Menschen mehr. Alles nur Theater, Schieberei – und die Generale wieder frech in den Straßen".

    Von links wie rechts als Verräter geziehen

    Auf der Bühne gehörten unbeugsame Charaktere wie der Götz von Berlichingen zu seinen Paraderollen. Aber im sogenannten Dritten Reich ließ er sich in gewisser Weise mit denselben Schiebern und Gangstern ein, die er so bitter anklagte. Es gehört zur Tragik seines Lebens, dass sein "Spieltrieb" ihn in den Augen straffer Ideologen zum Verräter werden ließ: Die Nazis trauten ihm nie so ganz über den Weg. Und die Linken verziehen ihm die Kontakte zu den Nazis nie. Und er selbst spielte auf Gedeih und Verderb weiter und weiter. Selbst im ausgebombten Schillertheater, getreu seinem Motto "Zaubern ist das A und O des Theaters." Im Schwedischen Rundfunk während des Krieges sprach er so – gemessen:
    "Ich habe nach der Zerstörung meines Theaters wiederaufgebaut auf den Ruinen, und zwar in dem früheren Erfrischungsraum des Schillertheaters. Dieser besonders intime Kammerspielraum hat mit Goethes 'Urfaust' in meiner Inszenierung große Begeisterung bei der Berliner Bevölkerung, die ja auch sehr stark unter dem Bombenterror zu leiden hatte, hervorgerufen."

    Zwischen Propagandafilm-Star und Förderer von NS-Gegnern

    Weil er weiterspielen wollte, machte er einen Spagat, der ihn letztlich zu Fall brachte. Mit seinen Rollen in einschlägigen Filmen wie "Jud Süß" und "Hitlerjunge Quex" diente er propagandistisch Joseph Goebbels. Andererseits nahm er als Intendant erklärte Gegner des Regimes unter Vertrag.
    Der Schauspieler Heinrich George und die Schauspielerin Kristina Soederbaum in dem NS-Propagandafilm "Kolberg" von 1945. Ein älterer Mann drückt eine jungere Frau.
    Heinrich George und Kristina Soederbaum im NS-Propagandafilm "Kolberg“ von 1945. (picture-alliance/dpa/akg-images)
    Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Nach Kriegsende tauchten Denunzianten auf - vorwiegend deutsche Exilkommunisten -, die ihn schwer beschuldigten. Ein Mensch, der alle Rollen spielen konnte und die Identitäten nahezu beliebig wechselte, konnte nur ein Verräter sein.

    "Wenn sie mir verbieten, zu spielen, werde ich sterben"

    George landete in russischen Straflagern - und machte, was er ein Leben lang getan hatte: Er spielte. So vor 12.000 Häftlingen im umfunktionierten KZ Sachsenhausen - wohin man ihn nach dem Krieg brachte. Fast bis zum Ende seines Lebens. Am 25. September 1946 starb er im Lager an den Folgen einer Blinddarmoperation.
    Das Buchcover von Thomas Medicus: "Heinrich und Götz George - Zwei Leben", Rowohlt Berlin, 2020.
    Doppelbiografie über Heinrich und Götz George - Zwei deutsche Männer
    Beide waren berühmte Schauspieler und Männlichkeitsidole: Heinrich George und sein Sohn Götz. Thomas Medicus hat ihnen eine Doppelbiografie gewidmet, die auch von Götz Georges Auseinandersetzung mit seinem Vater handelt.
    Der Satz, den Heinrich Georges Frau, Berta Drews, in ihren Lebenserinnerungen überliefert, sollte sich auf bittere Art bewahrheiten:
    "Sie sollen mir alles nehmen, was ich besitze, mich hungern lassen und demütigen. Wenn sie mir aber verbieten, zu spielen, werde ich sterben."