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Vor 80 Jahren
Uraufführung des "Concierto de Aranjuez" von Joaquín Rodrigo

Das "Concierto de Aranjuez" des spanischen Komponisten Joaquín Rodrigo ist bis heute eines der bekanntesten klassischen Musikstücke des 20. Jahrhunderts. Heute vor 80 Jahren wurde das Solokonzert für Gitarre und Orchester in Barcelona uraufgeführt.

Von Julia Macher | 09.11.2020
    Der spanische Komponist Joaquin Rodrigo am Flügel. (Undatierte Aufnahme). Er wurde am 22.11.1902 in Sagunt geboren und starb am 6.7.1999 in Madrid. Der seit seinem dritten Lebensjahr blinde Komponist wurde durch seine Komposition "Concierto de Aranjuez" weltweit bekannt. Das Werk ist das meistgehörte spanische Musikstück dieses Jahrhunderts.
    Der spanische Komponist Joaquin Rodrigo (dpa / Europa_Press)
    Als am 9. November 1940 im Palau de la Música in Barcelona diese Akkorde ertönten, lauschte Komponist Joaquín Rodrigo nervös in den Saal. Würde die Gitarre noch zu hören sein, wenn das Orchester einsetzte?
    Sie war zu hören – das Experiment also geglückt. Als nach der Premiere im kleinen Rahmen das "Concierto de Aranjuez" auch in Madrid aufgeführt wurde, bei einer Gala-Vorstellung mit dem frisch gegründeten Nationalorchester, trug man den damals 39-jährigen Komponisten im Triumphzug durch die Straßen, erzählt Musikwissenschaftler Javier Suárez-Pajares:
    "Die Kombination von Gitarre und Orchester galt als unvorstellbar. Bis auf den Gitarristen Andrés Segovia hatte das noch niemand gewagt. Die moderne Gitarre hat ja eher einen intimen Klang, nicht vergleichbar mit dem raumfüllenden Klang einer Violine, Klarinette oder eines Klaviers! Zu gewährleisten, dass die Gitarre nicht vom Orchester erdrückt wird, ist für einen Komponisten eine riesige Herausforderung."
    Hommage an die Gitarre
    Das Konzert ist nicht nur eine Hommage an das "spanischste aller Instrumente", sondern auch an die prachtvollen, barocken Gärten des Königlichen Palasts von Aranjuez. Dort verbrachte Joaquin Rodrigo viele Stunden mit seiner Frau Victoria, einer türkischen Pianistin. Kennengelernt hatten sich die beiden in Paris, wo Rodrigo bei Paul Dukas Komposition und Harmonielehre studierte. Auf den gemeinsamen Spaziergängen schilderte Victoria ihm die mit Zypressen bestandenen Alleen und die zierlichen Pavillons, Joaquín genoss den Duft der Magnolien: Als Kleinkind war er, das jüngste von zehn Kindern eines Großgrundbesitzers, an Diphterie erkrankt und erblindet. In Kunst und Natur fand er Trost – und Inspiration.
    Der spanische Komponist und Klaviervirtuose Joaquin Rodrigo (Aufnahme von 1964). Er wurde vor allem durch seine Komposition "Concierto de Aranjuez" weltweit bekannt.
    Der spanische Komponist und Klaviervirtuose Joaquin Rodrigo (Aufnahme von 1964) (dpa / Leemage)
    Radio Barcelona erzählte er 1963: "Literatur kann mich inspirieren, ein Spaziergang, manchmal auch die Musik selbst – und unbestimmte Gefühle, Eindrücke, die aus dem Inneren kommen: So genau weiß ich das nie."
    Mit Anleihen aus Tänzen wie dem Fandango oder Bittgesängen wie der Saeta ist das "Concierto de Aranjuez" eine Synthese unterschiedlichster Elemente der spanischen Musik. Schnell galt das halbstündige Konzert dadurch im Ausland als Aushängeschild der spanischen Kultur – und Joaquín Rodrigo als ihr Botschafter.
    Spanische Volksweisen und persönliche Dramen
    Als "neo-casticismo", als "Neo-Purismus" bezeichnete der Komponist seine Suche nach dem wahren Wesen der spanischen Musik, nach ihren Wurzeln jenseits folkloristischer Klischees. "Das Ausland interessiert sich seit Langem sehr für unsere Musik. Es sucht in Spanien eine Musik, die besonders, die anders ist – sehr farbig, sehr rhythmisch. Wenn ein Ausländer diese Art von Musik nicht findet, dann ist er enttäuscht. Das müsste sich ändern, weil letztlich alles spanisch ist."
    Dabei klingen im weltberühmten Adagio nicht nur spanische Volksweisen an, sondern auch persönliche Dramen. Als Joaquín Rodrigo das Stück in Paris komponierte, ermordeten sich seine Landsleute in einem blutigen Bürgerkrieg, seine Frau Victoria gebar einen toten Sohn. Das musikalische Vorbild bot ein Werk, das ebenfalls Leid und Sterben thematisiert.
    "Das Eröffnungsmotiv des berühmten zweiten Satzes hat Joaquin Rodrigo aus dem ‚Erbarme Dich‘ von Bachs Matthäus-Passion entwickelt. Er hatte im November 1938 in Paris eine Aufführung des Thomaner-Chors und des Pariser Philharmonie-Orchesters besucht. Die hat ihn so tief beeindruckt, dass er unmittelbar danach das Adagio komponierte – als eine moderne Reinterpretation von Bachs ‚Erbarme Dich‘. Sogar die Tonart ist dieselbe: H-Moll – sehr ungewöhnlich für eine Gitarre."
    Das Concierto de Aranjuez ist noch heute eines der meistgespielten Musikstücke. Mit unzähligen Variationen - von Paco de Lucías Flamenco-Improvisationen bis zu einer Jazzversion mit Chet Baker - hat es wie kaum ein anderes klassisches Werk die Genre-Grenzen überschritten und ist Teil der Universalkultur.