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Vor 90 Jahren
Der Berliner „Blutmai“

Über dreißig Tote, fast 200 teils schwer Verletzte: Am 1. Mai 1929 hatte die KPD in Berlin trotz Demonstrationsverbots zu Massenkundgebungen aufgerufen. Dagegen ging die Polizei auch mit Schusswaffen vor. Der Tag ging als sogenannter Blutmai in die Geschichte ein.

Von Bernd Ulrich | 01.05.2019
    Polizisten verfolgen Demonstranten am Hermannplatz in Berlin Neukölln am 1. Mai 1929.
    Nach dem Demonstrationsverbot durch die SPD-Regierung in Preußen kommt es am 1. Mai zu Zusammenstößen in Berlin (picture alliance / akg-images)
    "Links, links, links, links / Wir gedenken des Ersten Mai / Der herrschenden Klasse blut´ges Gesicht / der rote Wedding vergißt es nicht / und die Schande der SPD!"
    Das Lied "Roter Wedding", Titelsong der gleichnamigen Agitpropgruppe. Text: Erich Weinert, Musik: Hanns Eisler. Es verdankt seine Entstehung dem 1. Mai 1929 in Berlin. Trotz des geltenden Demonstrationsverbots hatte die Kommunistische Partei zu Kundgebungen und Aufmärschen aufgerufen. Die Berliner Polizei suchte das Verbot durchzusetzen und sprengte brutal jede Art von Versammlung – und sei es die wartender Menschen an Straßenbahnhaltestellen.
    Über dreißig Tote, in ihrer Mehrheit völlig Unbeteiligte, fast 200 teils schwer Verletzte und über 1.200 Verhaftungen – so die Bilanz. Als sogenannter Blutmai fand der Tag Aufnahme in die Legendenwelt der KPD. Denn den Kommunisten galt der "Blutmai" als fast erfolgreicher Umsturzversuch und als Beleg für den "Sozialfaschismus" der verhassten Sozialdemokraten. In einer Broschüre der KPD hieß es: "Sozialfaschismus, das ist Sozialismus in Worten, Faschismus in der Tat. Das ist die These, die wir auf Grund von Tausenden Tatsachen jedes Tages beweisen können."
    "Arbeiterblut wird vergossen!"
    Eine dieser "Tatsachen" war der 1. Mai 1929. Bereits im Dezember des Vorjahres hatte der Berliner Polizeipräsident Zörgiebel (SPD) ein Versammlungs- und Demonstrationsverbot erlassen, das nun bis zum 1. Mai verlängert worden war. Ausgerechnet an jenem Tag, den man sich noch im Kaiserreich als Feiertag erkämpft hatte, sollte man zu Hause bleiben – und das noch auf Geheiß eines Sozialdemokraten?
    Freilich - der stalinistischen Fraktion kamen die drohenden Kämpfe mit Zörgiebels Polizei durchaus gelegen. So konnte offenbar werden, wovon das ZK der KPD schon am 3. Mai überzeugt war: "Arbeiterblut wird vergossen! Zörgiebels Blutmai – das ist ein Stück Vorbereitung des imperialistischen Krieges! Zörgiebels Blutmai – das ist der Auftakt für die faschistischen Diktaturpläne der Bourgeoisie und Sozialdemokratie."
    Kein Wort davon, dass es sich bei den Toten mehrheitlich um völlig Unbeteiligte handelte und es weder zu Massenaufmärschen noch gar zu Barrikadenkämpfen gekommen war. Für die SPD hingegen schien ihrerseits der Fall völlig klar. Noch am 3. Mai veröffentlichten Vorstand und Reichstagsfraktion der Sozialdemokraten eine Erklärung:
    "Die Kommunisten, organisatorisch bankrott, in leidenschaftlichen Kämpfen untereinander verwickelt, brauchten Tote. Sie brauchten sie in Berlin, wo ein Sozialdemokrat Polizeipräsident ist. Die Toten und Verletzten Berlins sind Agitationsmaterial und nichts anderes. Die Opfer sind auf Befehl der kommunistischen Zentrale gefallen! Das ist die Wahrheit!"
    Die Polizei spielte eine verhängnisvolle Rolle
    Zur Wahrheit gehörte indessen auch: Die Polizei agierte ähnlich wie die rechtsradikalen Freikorpstruppen, die schon in den nachrevolutionären Aufständen des Jahres 1919 eine verhängnisvolle Rolle gespielt hatten. Die immer wieder behaupteten kommunistischen Sturmtrupps gab es nicht. In der liberalen "Frankfurter Zeitung" war zu lesen:
    "Im Verlaufe der ganzen Aktion konnte von Kampfhandlungen keine Rede sein. Irgendwelches Feuer von Dachschützen hatte die Polizei nicht zu erwidern. Die Polizei war vielmehr von der militärischen Einstellung beherrscht gewesen, es mit einem schlechthin als Feind zu behandelnden Gegner zu tun zu haben."
    Und nicht mit normalen Bürgern der Hauptstadt. Fest steht denn auch, wie der Schriftsteller und Soziologe Leopold Schwarzschild im Mai 1929 in der linksliberalen Wochenschrift "Das Tage-Buch" beklagte, dass etwas "Unentschuldbares" geschehen war:
    "Soll dies künftig rechtens in Preußen sein, dass die Polizei plötzlich ganze Stadtteile abriegeln, in die Fenster knallen, total unbeteiligte Menschen aus den Wohnungen zerren, mit Gummiknüppeln lahm und krumm schlagen und wie Treibwild niederschießen darf? Der Staat aber, der seine Machtmittel so gebraucht, würde den Anspruch verlieren, als Rechtsstaat zu gelten."