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Vor 90 Jahren uraufgeführt
Vicki Baums Drama "Menschen im Hotel" traf den Nerv der Zeit

Vicki Baums "Menschen im Hotel" war nicht nur als Roman erfolgreich, sondern auch in Gestalt von Theaterfassungen und nicht weniger als drei Verfilmungen. Sie fing darin die Kehrseite der Goldenen Zwanziger ein und lieferte einen Beitrag zum modernen Nihilismus der Zwischenkriegszeit.

Von Cornelie Ueding | 16.01.2020
    Vicky Baum 1931 in Hollywood, schreibt an einem Tisch mit einer Feder und guckt in Richtung Kamera.
    Vicky Baum 1931 in Hollywood (picture alliance / AP Images)
    "Zum Theater kommen, am Theater aufgeführt werden – das ist so ein Gefühl, als käme man unter eine Dampfwalze. Eben war man noch gesund und hatte seine plastischen drei Dimensionen. Da wird man vom Theater erfaßt, zu Boden gedrückt, ausgewalzt. Man kommt vollkommen platt wieder heraus; alles, was man gedacht oder geschrieben hat, wird vollkommen platt."
    Vicki Baum, 1888 in Wien geboren, war schon eine erfahrene Roman-Autorin, als 1929 ihr Roman "Menschen im Hotel" erschien. Die Geschichte, in der sich eine Handvoll Menschen zufällig in einem Grand-Hotel begegnen, ein paar Erlebnisse teilen und wieder aus den Augen verlieren, wurde so schnell ein Welterfolg, dass ihr Verlag darauf drängte, der Prosa schnellstens eine Theaterfassung folgen zu lassen.
    "Es ist ... gar kein Theaterstück, sondern ein Roman, den ich nach vielem Zureden recht und schlecht aus der epischen in die dramatische Form zurechtgequetscht habe. Es ging dabei zu, wie bei Aschenputtels Schwestern, denen der Schuh nicht paßte: ‚Da reichte ihr die Mutter ein Messer und sprach: Hau’ ein Stück von der Ferse ab.‘"
    Die Kritiker waren gespalten
    Schon am 16. Januar 1930 wurde das so entstandene Stück im Berliner Theater am Nollendorfplatz in der Regie des jungen Gustaf Gründgens uraufgeführt – und bejubelt. Obwohl manche Kritiker mäkelten: unvollkommene Abziehbilder, Klischees vom wirklichen Leben, kolportageartig, ohne höhere Sinngebung, ohne tiefsinnige Symbole: Drehtür statt Rad des Schicksals. Einer freilich, der Rezensent der Vossischen Zeitung, erkannte sofort die Möglichkeiten der technisch aufwendigen Bühne von Erwin Piscator:
    "Die Drehbühne hat ungeheuer zu tun: Empfangsraum und Portierloge. Appell der Hotelpagen. Dem Portier entgeht nichts ... Im Konferenzzimmer Sitzung behufs Fusion zweier Firmen der Textilbranche. Generaldirektor Preysing, moderner Sturmwind aus vollen Backen ... blufft seine Gegner."
    Keine runden, komplexen Charaktere, kein well made Play mit logisch aufgebauter Intrige, keine geschlossene Handlung – genau das, was manche Kritiker beanstandeten, ist Vicki Baums Beitrag zum modernen Nihilismus der Zwischenkriegszeit. Wie sagt einer ihrer Protagonisten, der vom Ersten Weltkrieg verstümmelte Dr. Otternschlag, ernüchtert:
    "Das ganze Hotel ist ein dummes Kaff. Genau so geht’s mit dem Leben ... Herr Kringelein. Man kommt an, man bleibt ein bißchen, man reist ab. Passanten, verstehnse. Zu kurzem Aufenthalt, wissense. Was tun sie im großen Hotel? Essen, schlafen, herumlungern, Geschäfte machen, ein bißchen flirten, wie? Na, und was tun Sie im Leben? Hundert Türen auf einem Gang, und keiner weiß was von dem Menschen, der nebenan wohnt. Wennse abreisen, kommt ein andrer und legt sich in ihr Bett. Schluß."
    Zahlreiche Besetzungsvarianten
    Diese schnörkellose Botschaft kam durch die kurzen szenischen Schnitte sogar noch deutlicher zum Tragen als in der breiten Epik des 300-Seiten-Romans. Und noch eine weitere Besonderheit der Gattung Theater mag dem Stoff gutgetan haben. Am Beispiel von dem aus der Provinz angereisten, kläglichen alten Kringelein und seiner wundersamen Verwandlungen erklärt Vicki Baum das Mirakel der vielfachen theatralischen Besetzungs-Varianten:
    "Ich wundere mich, wenn dieser Mann in jeder Stadt anders aussieht: In Berlin bei dem jungen Kemp war er alt, zerzaust, kindlich; in Wien lieh ihm Edthofer seine müde Eleganz; in London ... wird dieser arme Clerk ... sicher auch ein Bonvivant sein ... In New York ist er ein junger Mensch aus dem Ghetto ..."
    Vicki Baums theatralischer Menschenpark ist gerade wegen seines Serien- und Zufallscharakters so interessant. Neben Kringelein begegnen sich ein Gentleman-Verbrecher, eine alternde Tänzerin, die ihrem einstigen Triumph hinterherreist, die Gelegenheitssekretärin Flämmchen, der brutal lebensvolle Direktor Preysing – ein satirisches Gruselkabinett von orientierungslosen Zwischenkriegstypen, die nur eines verbindet: das Geld. Jeder versucht von jedem zu profitieren, sich auf Kosten anderer durchzuschlagen, ganz so, wie Walter Benjamin es 1928 beschrieb:
    "Indem einerseits das Geld auf verheerende Weise im Mittelpunkt aller Lebensinteressen steht, anderseits gerade dieses die Schranke ist, vor der fast alle menschliche Beziehung versagt, so verschwindet ... mehr und mehr das unreflektierte Vertrauen, Ruhe und Gesundheit." Sätze, die sich wie ein Resümee von Menschen im Hotel lesen. Kein Zweifel, Vicki Baum hat in Roman-Form, auf der Bühne und zwei Jahre später im Film, den Nerv ihrer Zeit getroffen. Wenig später sollte die Drehtür stillstehen.