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Vor 925 Jahren begann die Synode von Clermont
"Bewaffnet Euch mit dem Eifer Gottes"

Wohl keine andere päpstliche Synode hatte so weitreichende Konsequenzen wie jene, die am 18. November 1095 im französischen Clermont begann. Sie endete mit dem Aufruf Papst Urban II zum Kreuzzug nach Jerusalem. 200 Jahre lang wird der Kampf um das Heilige Land dauern.

Von Alfried Schmitz | 18.11.2020
    Papst Urban II. ruft am 27. November 1095 auf der Synode von Clermont zum Kreuzzug auf. (Stahlstich um 1800)
    "Gott will es!": Papst Urban II. ruft am 27. November 1095 auf der Synode von Clermont zum Kreuzzug auf (picture alliance akg)
    Urban II., im Jahr 1088 vom Konklave in Terracina gewählt, ist ein Papst, der die Kirche reformieren will. Wie seine Vorgänger ist er erbitterter Gegner des deutschen Königs Heinrich IV., der die päpstliche Gewalt missachtet und Bischöfe nach seinem Gutdünken ernennt. Der Streit zwischen Krone und Papst eskaliert. Dazu Gerhard Lubich, Professor für Geschichte des Früh- und Hochmittelalters an der Ruhr‑Universität Bochum:
    "Das Resultat ist, dass Heinrich IV. den Papst für abgesetzt erklärt und einen eigenen Papst einsetzt, das ist Wibert von Ravenna, auf der anderen Seite aber die Reformkirche nach wie vor daran festhält, einen eigenen Papst zu haben."
    Eigentlich steht die Kirchenreform auf der Agenda
    Um den königlichen Gegenpapst infrage zu stellen, die Bischöfe auf seine Seite zu ziehen, aber auch um die Reformpolitik der römischen Kirche weiterzuführen, ruft Urban II. verschiedene Synoden ein.
    So auch am 18. November 1095 im französischen Clermont. Über 300 Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte reisen mit ihrem Gefolge an. Die Stadt in der Auvergne platzt aus allen Nähten. Den Anlass erklärt Gerhard Lubich:
    "Gegenstand dieser Synode ist nach wie vor die Kirchenreform. Es geht um Ämterkauf, es geht um Priesterehen, es geht um Fragen der Liturgie, es geht auch ganz aktuell um kirchenpolitische Sachen. Man exkommuniziert den französischen König. Der hat eine zu nahe Verwandte geheiratet, also wird er aus der Gemeinschaft der Glaubenden ausgeschlossen."
    Byzanz ruft um Hilfe
    Nach etwas mehr als einer Woche hat man die wichtigsten Programmpunkte abgearbeitet. Doch der eigentliche Höhepunkt kommt erst noch. Hintergrund ist ein Hilferuf aus dem byzantinischen Konstantinopel, das seit der Kirchenspaltung von 1054 Metropole der Ostkirche ist. Gerhard Lubich:
    "Byzanz fühlt sich bedroht. In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts tauchen neue Kräfte aus dem ferneren Osten auf, das sind die Seldschuken. In Kleinasien geht schon Gebiet verloren. Und deswegen bittet man auch die westliche Christenheit immer wieder um Hilfe."
    Urbans folgenreiche Brandpredigt
    Der abgespaltenen Ostkirche Beistand zu leisten, würde die Machtposition des Papstes enorm stärken. Hinzu kommt, dass die muslimischen Seldschuken seit längerer Zeit das Heilige Land kontrollieren und Christen daran hindern, nach Jerusalem zu pilgern. Auf der Synode von Clermont nutzt Urban II. die Gunst der Stunde. Er tritt vor die vielen Bischöfe und Zaungäste und hält eine emotionale Predigt. Zwar ist deren genauer Wortlaut nicht überliefert, doch aus Fragmenten lässt sich folgender Inhalt rekonstruieren:
    "Ein gottloses Volk hat das Vaterland des Herrn in seiner Gewalt. Bewaffnet Euch mit dem Eifer Gottes, gürtet eure Schwerter an die Seiten. Ziehet aus und der Herr wird mit euch sein. Wendet die Waffen gegen die Feinde des christlichen Namens und Glaubens. Für jedermann, der sich um des Glaubens willen nach Jerusalem aufmacht, um die Kirche Gottes zu befreien, soll dieser Weg als vollständige Bußleistung angesehen werden."
    "Deus lo vult!" – "Gott will es!
    Der päpstliche Appell verbreitet sich wie ein Lauffeuer. "Deus lo vult!" – "Gott will es!", wird zum Schlachtruf für den Kreuzzug nach Jerusalem. Schon im Frühjahr 1096 bricht eine marodierende, mit jedem Kilometer anwachsende Horde in den Südosten Europas auf. Zu ersten Opfern der blutrünstigen Meute werden die jüdischen Bürger von Mainz, Worms und Speyer. Gerhard Lubich ist sich indes sicher:
    "Dass die ersten Bewegungen, die es gab, den Papst mitunter entsetzt haben. Er dachte, glaube ich, vergleichsweise idealistisch darüber und sah das als ein Elitenunternehmen, das in geordneten Bahnen abläuft, die Heiligen Stätten befreit, das politische Problem im Vorderen Orient irgendwo löst und zugleich seine Position festigt."

    Rubens, Peter Paul 1577–1640. “Der Raub der Europa”, 1628/29. (Jupiter, in Gestalt eines Stieres, entführt die Königstochter durch das Meer; – Ovid, Met. II, 835–877). Kopie nach einem Gemälde von Tizian. Öl auf Leinwand, 181 × 200 cm. Cat. 1693 Madrid, Museo del Prado. |
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    Religion und Gewalt, das ist ein sehr altes, sehr heikles Thema – vor allem, wenn es um das Verhältnis zwischen Christentum und Islam geht. Der Londoner Historiker Jonathan Philipps analysiert in seinem Buch "Heiliger Krieg – Eine neue Geschichte der Kreuzzüge" die Anfänge.
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