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Vor dem Bundesparteitag
Wer die FDP vermisst

Wenn wir die FDP untersuchen, dann ist die langfristige Diagnose unklar. Einige sprechen von Wachkoma, andere von Scheintod, wieder andere sehen das schlimmste hinter der Partei liegen und meinen, die FDP sei in der Reha und das wird schon wieder. Also wer trifft sich da Ende kommender Woche zum 66. Bundesparteitag in Berlin unter einem neuen Logo, auf dem jetzt auch Magenta leuchtet?

Von Johannes Kulms | 07.05.2015
    Ein Wahlplakat von Katja Suding (Freie Demokraten, FDP) für die Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 15. Februar 2015 wird an einer Straße geklebt.
    Wahlplakat von Katja Suding (Freie Demokraten, FDP) für die Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 15. Februar 2015. (imago / PHOTOMAX)
    Deutscher Bundestag am Mittwoch, Mittagszeit. Noch scheint das parlamentarische Leben eher ruhig zuzugehen. Anders bei der SPD-Fraktion: Hier laufen eifrige Vorbereitungen für den Frühjahrsempfang am Abend. Frage an einen Herrn im schwarzen T-Shirt, der sich gerade an der Technik zu schaffen macht: Vermisst er die FDP im Bundestag?
    "Ich vermisse gute Leute, die für ihre Sache richtig einstehen und nicht so 'n Scheiß machen. Die FDP war nun auch bloß Handlanger von der Industrie. Genauso wie das die SPD ist, genauso wie das die Grünen sind. Das sind alles bloß Marionetten hier."
    FDP muss Kurswechsel einleiten, sagen die Grünen
    Als Marionetten sehen sich die Bundestagsabgeordneten sicherlich nicht. Aber fehlt ihnen die FDP? Nachfrage bei jener Partei, die als ärgste Konkurrenz der Liberalen gilt: Die Grünen.
    "Persönlich bin ich mit einigen FDP-Kollegen sehr gut klar gekommen. Aber politisch vermisst die FDP im Bundestag, glaube ich, kaum jemand. Solange die FDP nicht einen Kurswechsel einleitet hat sie aus meiner Sicht auch keine Daseinsberechtigung im Bundestag."
    Ein hartes Urteil, das Sven Christian Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, von sich gibt.
    Die Freien Demokraten seien zu Recht für eine einseitig neoliberale Politik abgestraft worden, schimpft er. Doch hat die FDP nicht auch eine Lücke im Bundestag hinterlassen? Nein, meint Kindler:
    "Den Nationalliberalismus hat die AfD übernommen. Sozialliberalismus ist auch bei den Grünen beheimatet, zum Teil bei der SPD. Und Wirtschaftsliberalismus, Neoliberalismus wird eben gerade vom Wirtschaftsflügel von CDU und CSU da auch bedient. Deswegen ist die Frage, welche Marktlücke es eigentlich für die FDP noch gibt sehr schwierig zu beantworten, weil eigentlich die FDP keiner mehr so richtig braucht."
    Die FDP - überflüssig? Kann gar nicht sein! Jeden Dienstag tritt sie zu.
    "Ich selber spiele in der Bundestagsfußballmannschaft, wo allen Fraktionen zusammen sind. Und was mich besonders freut, obwohl die FDP jetzt ausgeschieden ist aus dem Parlament, sind immer noch drei, vier ehemalige Kollegen, die bei uns jeden Dienstag mit Fußball spielen, sodass der Kontakt nicht abreißt."
    Christian von Stetten ist Mittelstürmer beim FC Bundestag. Und Abgeordneter der CDU. Auch wirtschaftspolitisch steht der Freiherr für einen stürmischen Kurs in Zeiten der Großen Koalition.
    "In der Tat ist es so, dass ich mich auch ein bisschen mehr freuen würde, wenn wir etwas mehr bürgerliche Politik machen würden als jetzt mit der SPD zusammen. Nun, wir merken momentan die Auswirkungen des Koalitionsvertrages, also Rente mit 63, Frauenquote, Mietpreisbremse, Mindestlohn - sind alles so Themen, die nicht unbedingt auf der Agenda gestanden sind bei der letzten Koalition mit der FDP."
    Die bürgerliche Stimme der Wirtschaftspolitik sieht von Stetten im "Parlamentskreis Mittelstand", dem er selber auch vorsteht. Fast zwei Drittel der 311 Unions-Abgeordneten haben sich darin organisiert.
    Hätte von Stetten die Wahl, würde er sich die FDP als Koalitionspartner wünschen. Glaubt er 2017 an einen Wiedereinzug der Freien Demokraten in den Bundestag?
    "Es kommt drauf an, ob die CDU/ CSU sich zurückbesinnt auf die Themen der sozialen Marktwirtschaft. Dann ist sicherlich die FDP überflüssig."
    Und falls nicht?
    "Wenn man das Gefühl hat, dass wir nur ein sozialdemokratischer Fortsatz sind, dass sozusagen der Schwanz mit dem Hund wedelt, dann hat die FDP sicherlich auch wieder eine Chance in den Bundestag zu kommen. So sehr ich die FDP-Kollegen mag: Ich hoffe eher, dass die CDU sich auf diesen marktwirtschaftlichen Kurs zurückbesinnt und damit die FDP auch überflüssig macht."
    Christian Lindner will das genau nicht hören. Qua Amt. Er ist Bundesvorsitzender der FDP. Und für ihn gehört seine Partei ganz einfach ins Parlament – allein um mal etwas Schwung reinzubringen.
    "Im Deutschen Bundestag sind die Debatten doch inzwischen total langweilig, weil dasselbe von allen gesagt wird. Also, im Parlament haben wir so eine Art Vollversammlung der Sozialdemokratie, die sich darauf konzentrieren, Wohlstand umzuverteilen und Angst vor Veränderungen, vor der Zukunft, vor der Freiheit zu schüren."
    Für Lindner ist klar: Seit die FDP raus ist, gibt es Lücken im Bundestag - und die würden sogar größer.
    Lindner: "Wir wollen den einzelnen groß machen"
    "Es wird ja fortwährend neue Bürokratie geschaffen. Gehen Sie mal ins Handwerk und in den Mittelstand, wie die Ächzen und Klagen. Der Staat schwimmt im Geld, er hat niedrigste Zinsen. Vorratsdatenspeicherung kommt, obwohl die SPD mal gesagt hat, sie wolle die neue liberale Bürgerrechtspartei werden. War nichts, Sigmar Gabriel! Ich sehe nicht, dass uns die Arbeit ausginge oder dass andere unseren Platz übernehmen. Die Bürger müssen sich fragen, wollen Sie so 'ne Partei, die für Marktwirtschaft, Individualität und Bürgerrechte steht."
    Wir wollen den einzelnen groß machen und die Menschen nicht zu kleinen Leuten degradieren, sagt Lindner. Und klingt damit irgendwie nach alter FDP. Wobei er versichert, dass der Veränderungsprozess seiner Partei noch nicht abgeschlossen sei.
    Doch nicht nur um die neue Ausrichtung seiner Partei muss Lindner kämpfen - auch um die Aufmerksamkeit der Medien.
    Ein Problem, dass Konstantin von Notz in diesen Tagen nicht hat: Er ist Obmann der Grünen im NSA-Untersuchungsausschuss.
    Die jüngsten Enthüllungen zum BND bieten reichlich Futter für die Opposition. Schließlich geht es dabei um zentrale Bürgerrechte. Ein Feld, mit dem sich die Grünen gerne brüsten. Aber eben auch die FDP. Vermisst Konstantin von Notz die Freien Demokraten im NSA-Untersuchungsausschuss?
    "Nein, also, wir fühlen uns nicht allein gelassen. Es hat immer Überschneidungen gegeben auch mit der FDP in ganz vielen Sachen. Gerade bei der Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung haben wir im Innenausschuss und auch im Plenum da gemeinsam für die richtige Sache gestritten."
    Das klingt beinahe versöhnlich. Aber dann wird der Grüne wieder angriffslustig: Die FDP müsse anders werden, das Thema Bürgerrechte viel stärker vertreten als bisher.
    "Mit pauschal undifferenzierten und auch politischen latent blinden Äußerungen wie ‚Es sitzen nur noch Sozialdemokraten im Parlament', wird man dem Alltag hier nicht gerecht."
    Und dann schickt von Notz noch eine Einladung hinterher.
    "Herr Lindner kann gerne mal vorbei kommen und angucken, wie die Debatten hier verlaufen, dann wird er das wahrscheinlich auch etwas differenzierter sehen."