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Vor dem EU-Fortschrittsbericht: Mafia und Morde

27 Staaten gehören mittlerweile zur Europäischen Union. Die jüngsten Mitglieder, Bulgarien und Rumänien, sind Anfang 2007 beigetreten - trotz Korruption und anderer Demokratiedefizite. Alle sechs Monate legt die EU den sogenannten Fortschrittsbericht vor. Darin stehen alle positive Entwicklungen der Beitrittskandidaten, aber eben auch ihre Versäumnisse. Zum Beispiel in Kroatien. Der Balkanstaat möchte bis 2010 EU-Mitglied werden, aber die Serie von Mafiamorden im Land weckt neue Zweifel. Aus Zagreb dazu Andrea Mühlberger:

04.11.2008
    Enthüllungsjournalisten leben in Kroatien schon seit einiger Zeit gefährlich. Dusan Miljus hatte im Sommer in einer großen Tageszeitung mutmaßliche Waffenschmuggler beim Namen genannt - und wurde dafür Krankenhausreif geschlagen:

    "Wenn nicht sofort die Nachbarn gekommen wären und ganz laut geschrien hätten - das Ganze hätte möglicherweise schlimm für mich ausgehen können",

    meint der 47-Jährige. Er ist noch einmal mit vielen blauen Flecken davon gekommen. Sein gleichaltriger Kollege, der Star-Journalist und Verleger Ivo Pukanic nicht. Ein Sprengsatz, gezündet neben Pukanic' Auto, mitten in der Zagreber Innenstadt, beendete jäh eine steile Karriere, die am Ende aber auch von fragwürdigen Kontakten ins Milieu überschattet war.

    "Puki" - wie Freunde den schonungslosen Reporter über Zigaretten-Schmuggler auf dem Balkan nannten - ist das prominenteste Opfer der "Oktober-Morde" im Mafia-Stil. Möglicherweise der Beginn einer neuen Ära der Gewalt: Gleich viermal in einem Monat schlug das organisierte Verbrechen mit brutaler Gewalt zu. Kroatiens Regierungschef Ivo Sanader war ehrlich betroffen, als er ankündigte:

    "Wir werden noch entschlossener und schärfer gegen das organisierte Verbrechen und den Terror auf Kroatiens Straßen vorgehen. Auch wenn das jetzt ein bisschen stark klingt, aber ich werde nicht zulassen, dass Kroatien zu einem zweiten Beirut wird."

    Die "kriegsähnlichen" Zustände in der Unterwelt könnten zur Belastung für Kroatiens Beitrittsverhandlungen mit der EU werden. Wenige Tage vor dem neuen Fortschrittsbericht aus Brüssel hat die Regierung mit einem Maßnahmenpaket auf die Mafia-Morde reagiert. Schon nach dem ersten grausamen Fall Anfang Oktober - die Tochter eines prominenten Anwalts wurde im elterlichen Treppenhaus mit Kopfschüssen regelrecht hingerichtet - hatte Sanader reagiert, Justiz- und Innenressort neu besetzt sowie den Polizei- und Geheimdienstchef ausgewechselt. Die neuen Köpfe arbeiten bereits auf Hochtouren.

    Laut Premier Sanader geht es nicht nur um die laufenden Ermittlungen im Mafia-Milieu:

    "Es sind Vorbereitungen für Sondergerichte in den größten Städten im Gange, speziell für Fälle des Organisierten Verbrechens und der Korruption. Außerdem ist ein neues Gesetz über mehr Befugnisse für die Polizei in Arbeit. Schließlich sind ja über 1000 Fälle aus den Bereichen Organisiertes Verbrechen und Korruption am Laufen - die sollen jetzt schneller und effizienter abgewickelt werden."

    Kroatiens Polizei- und Justizapparat sind die größten Kritikpunkte Brüssels. Polizisten agieren bisher mehr wie Werkzeuge der Regierung statt unabhängig. Die Justiz-Reform geht der EU viel zu langsam. Verfahren werden verschleppt. Nicht ohne Grund fiel noch kein einziges Urteil gemäß dem Paragrafen für organisierte Kriminalität. Ähnlich wie in Rumänien und Bulgarien bestehen auch in Kroatien noch viele alte Seilschaften zwischen Politikern, Justizbeamten und der Unterwelt.

    Die Mafia-Morde zeigen, welchen Einfluss die Clans selbst Jahre nach den Balkankriegen noch haben. Verbindungsmänner versuchen weiterhin, ihre illegal angehäuften Reichtümer aus dem Handel mit Drogen, Waffen und Zigaretten in "sauberes" Vermögen umzuwandeln. Auch dagegen will Kroatien jetzt vorgehen und solche Besitztümer fallweise auch beschlagnahmen - so Staatspräsident Stipe Mesic:

    "Bei Eigentum, das möglicherweise durch Korruption oder andere kriminelle Handlungen erworben wurde, wird der Betreffende künftig beweisen müssen, woher sein Besitz stammt. Wir haben ja viele so genannte "Sozialfälle", die gleichzeitig Millionen Quadratmeter Land kaufen oder riesige Villen. Deshalb diese Maßnahme."

    Korruption ist nach wie vor ein Riesenproblem in Kroatien - und zwar auf allen Ebenen: Mitte September sorgte ein Skandal an der Zagreber Universität für riesigen Wirbel. Die Polizei nahm mehrere Professoren und Dozenten fest. Sie hatten bei ihren Studenten ordentlich abkassiert - für bestandene Prüfungen und gute Examensnoten. Selbst die Vorsitzende des zuständigen Parlamentsausschusses, die oberste Korruptionsbekämpferin des Landes, war in den Skandal involviert.

    Premier Sanader verkaufte die spektakuläre Durchsuchungsaktion an der Zagreber Universität als großen Erfolg im Anti-Korruptionskampf. Doch bis das Phänomen gesellschaftlich ausgemerzt ist, dürfte es noch lange dauern. Auch wenn die Sofort-Maßnahmen gegen die Mafia Wirkung zeigen. Auch wenn erwartungsgemäß die Morde die Beitrittsverhandlungen nicht in Frage stellen dürften. Und trotz guter Wirtschaftsdaten, vor allem durch den florierenden Tourismus. Kroatien hat bis zum angepeilten EU-Beitritt 2010 noch viele Punkte abzuarbeiten.