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Vor dem SPD-Parteitag
"Man wird zweckmäßigerweise festhalten an Schulz"

Nach der ersten Schulz-Euphorie stagniert die SPD aktuell in den Umfragen bei 25 Prozent. Dennoch glaubt der frühere Erste Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi (SPD), nicht, dass es einen erneuten Führungswechsel innerhalb der Partei geben wird. Das Problem sei nicht Martin Schulz, sondern ein ganz anderes.

Klaus von Dohnanyi im Gespräch mit Stephanie Rohde | 24.06.2017
    Klaus von Dohnanyi, SPD, ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg.
    "Stetigkeit, Gelassenheit, Weltklugheit." Das könne die SPD von der Kanzlerin lernen, sagte SPD-Mitglied Klaus von Dohnanyi im Dlf. (imago / Jürgen Heinrich)
    Stephanie Rohde: 20, 32, 24 – das sind die Maße der SPD, die einen Hinweis darauf geben, wie es um die Partei gerade bestellt ist: Lagen deren Umfragewerte zu Jahresbeginn ja noch um die 20 Prozent, dann schnellten sie mit dem Kanzlerkandidaten Martin Schulz auf 32 Prozent hoch, nach den verlorenen Landtagswahlen stagniert die Partei nun um die 24 Prozent herum, und diese Maße veranschaulichen auch: für die SPD geht es in den kommenden drei Monaten ums Ganze. Damit der einst gefeierte und jetzt ins Stocken geratene Schulz-Zug wieder Fahrt aufnehmen kann, will Martin Schulz das Ruder beim eintägigen Parteitag morgen in Dortmund rumreißen und für den Wahlkampf mobilisieren. Dazu dreht die SPD-Führung an allen Stellschrauben gleichzeitig: An Rentenkonzept, am Steuerkonzept, und sie hat auch einen neuen Generalsekretär, der es richten soll. Frank Capellan berichtet .
    Morgen will die SPD ihr Wahlprogramm festzurren auf dem Parteitag in Dortmund. Frank Capellan berichtete, und mitgehört hat Klaus von Dohnanyi. Er war unter anderem Bundesbildungsminister und Erster Bürgermeister Hamburgs und ist inzwischen seit 60 Jahren Mitglied der SPD. Guten Morgen!
    Klaus von Dohnanyi: Guten Morgen, Frau Rohde!
    Rohde: Die SPD hat ja zu Beginn der Woche das Steuerkonzept vorgelegt, trotzdem stagniert die Partei jetzt am Ende der Woche unverändert in der Umfrage des "ZDF Politbarometers" bei 25 Prozent. Kann der SPD jetzt nur noch der eine Mann helfen, der die höchsten Beliebtheitswerte aller SPD-Politiker hat, nämlich Sigmar Gabriel?
    Dohnanyi: Na, ich glaube das nicht. Ich glaube, man wird jetzt zweckmäßigerweise festhalten an Schulz und wird versuchen, auf diese Weise sozusagen auch durchzuhalten. Also noch mal Wechsel, das würde ich wirklich für fatal halten.
    Rohde: Aber zweckmäßigerweise, das heißt, Sie halten Martin Schulz eigentlich auch nicht mehr für den geeigneten Kandidaten.
    Dohnanyi: Na ja, er ist jetzt natürlich der Kandidat, und er muss jetzt erst eigentlich zeigen. Es war ja eine kurze Euphorie, und das wussten wir alle, dass das so auf die Dauer nicht halten kann und dass man das dann wieder erarbeiten muss, und das ist jetzt seine Aufgabe, und nun muss man sehen, wie er diese auf dem Parteitag und dann danach bewältigt.
    "Das Problem der SPD ist, dass es keine klare Position gegenüber einer modernen Wirtschaftswelt gibt"
    Rohde: Aber das hat Martin Schulz ja versucht, also sich das zu erarbeiten unter anderem mit diesem sehr konkreten Steuerkonzept, was in dieser Woche vorgelegt wurde. Damit hat man aber keinen Aufschwung in den Umfragen bekommen können. Wie erklären Sie sich das?
    Dohnanyi: Na wir sollten erst mal die Umfragen stehen lassen und sehen, wie es dann am Ende weitergeht. Das ist ja immer so gewesen, und da gibt es ja auch inzwischen Beispiele dafür, dass Umfragen nicht notwendigerweise zeigen, wie es wirklich ist.
    Das wirkliche Problem der SPD – Sie haben darauf hingewiesen, dass ich da seit 60 Jahren Mitglied bin – war für mich immer und bleibt, dass es keine klare Position gegenüber einer modernen Wirtschaftswelt gibt. Da wird zwar alles versucht, aber wir müssen natürlich realisieren – und ich habe ja begonnen meine Arbeit in der Bundesregierung als Staatssekretär von Karl Schiller, diesem berühmten Wirtschaftsminister der SPD, der schon längst vor dem Godesberger Programm, also in den frühen 50er-Jahren, gesagt hat, wir müssen mehr auf den Markt schauen und müssen Planung betreiben, nur soweit es unbedingt möglich ist, und das hat sich immer stärker verändert in Richtung auf mehr Markt, durch die Digitalisierung inzwischen noch stärker, und es wird nicht erkennbar.
    Das, glaube ich, ist ein Hauptproblem, dass die SPD sich dieser Notwendigkeit und dieser neuen Welt wirklich offen gestellt hat, sondern immer noch versucht, sozusagen so zu tun, als könnten wir demgegenüber eine unabhängige und eigene Position beziehen, und das können wir natürlich nicht.
    Rohde: Sie haben mal geschrieben, dass eine wettbewerbsorientierte Wirtschaftspolitik immer schon schwierig war für die SPD, haben das ja eben auch ein bisschen skizziert mit Karl Schiller, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder. Warum sollte das Martin Schulz jetzt gelingen?
    Dohnanyi: Ja, das muss man sehen. Es ist die Aufgabe, zunächst es in der Partei selbst zu klären, und wenn in der Partei - jetzt höre ich, dass da ein linker Flügel noch mal dies und jenes und noch was ändern will, dann gibt es die für meine Meinung unhaltbare Position, eine rot-rot-grüne Regierung zu schaffen. Also mit dieser Linken und deren wirtschaftspolitischer Position kann niemand in kritischen Zeiten vernünftig regieren, und ich habe mehrfach schon gesagt, ich finde, wenn Martin Schulz sich nicht eindeutig von dieser Option löst und auf andere Optionen schaut, dann, finde ich, ist es auch schwer, ihn zu wählen.
    "Eine solche offene Welt ist eine Welt der Unternehmen"
    Rohde: Andere Optionen – Sie haben da schon mal dafür plädiert, dass die SPD im Wahlkampf ganz deutliche Signale an die FDP unter anderem auch sendet, weil das eben die realistische Koalitionsoption gerade ist, aber Christian Lindner von der FDP, der sagt, dass die SPD kleine Unternehmen gerade schwächt mit solchen Konzepten wie diesem Steuerkonzept. Also heißt das, dass die SPD da eigentlich schon aufgegeben hat?
    Dohnanyi: Nein, das ist ja das Problem. Also eine offene Welt, wie sie durch viele Mittel der Kommunikation, also auch des Verkehrs, entstanden ist über Jahrzehnte und heute durch die Digitalisierung noch mal schneller vorangetrieben wird, eine solche offene Welt ist eine Welt der Unternehmen. Es sind die Unternehmen, die sich durchsetzen müssen auf Weltmärkten mit ihren unterschiedlichen Strukturen und ihren erheblichen – inzwischen wie wir aus Amerika sehen, aus Großbritannien sehen – Risiken, und sich darauf einzustellen und dann von daher die soziale Politik zu definieren, das scheint mir die wirkliche Aufgabe zu sein, und es ist der SPD in den letzten Jahrzehnten nicht wirklich gelungen, obwohl viele es versucht haben. Sie haben ja auch Gerhard Schröder in diesem Zusammenhang genannt.
    Rohde: Würden Sie dann Martin Schulz raten, Gerhard Schröder ein bisschen auch zu kopieren und im Wahlkampf dieses große Thema Gerechtigkeit vielleicht eher in den Hintergrund zu stellen oder zu flankieren mit dem Thema Innovation, auch auf die Gefahr hin, dass man vielleicht einen Teil der Klientel verliert?
    Dohnanyi: Also so würde ich das nicht sehen, weil ich glaube, dass Gerechtigkeit und Ungleichheit, wie sie heute besteht, ein wachsendes Problem, auch ein Problem der Demokratie ist. Also das ist schon ein zentrales Thema, aber man muss es eben auf dem Hintergrund der Möglichkeiten und auf dem Hintergrund einer offenen Weltgesellschaft, in der die Unternehmen das Fundament schaffen, auf dem man Gerechtigkeit herstellen kann. So muss man es eben versuchen anzupacken, und das wird aus der SPD nicht deutlich.
    Es gibt zu viele, die gewissermaßen den Unternehmer und das Unternehmen immer noch für eine etwas habgierige Gesellschaft halten, anstatt zu erkennen, dass, wie immer man diese Leute persönlich beurteilt, es das Fundament unserer zukünftigen Gesellschaft sein wird, gerade in einer, wie ich schon gesagt habe, offenen globalisierten Weltgesellschaft. Das ist das Fundament, und wenn man das nicht erkennt und erkennbar macht, dann wird man auch mehr soziale Gerechtigkeit nicht schaffen können, denn gegenwärtig müssen wir ja erkennen, dass in der Welt zwar große Ungerechtigkeit besteht, dass es aber schon wachsende Einkommen in bestimmten Ländern gibt, die durch eine stärkere Rücksichtnahme auf Unternehmensinteressen geschaffen worden sind.
    Rohde: Herr von Dohnanyi, Sie sind ja gut mit der Bundeskanzlerin befreundet. Was, würden Sie sagen, soll sich Ihr Parteikollege Martin Schulz von Angela Merkel im Wahlkampf abgucken, damit es so geschmeidig läuft wie bei ihr?
    Dohnanyi: Stetigkeit, Gelassenheit, Weltklugheit.
    "Man muss die eigenen Ziele klar definieren"
    Rohde: Und womit kann man die CDU nervös machen? Sie kennen Angela Merkel ja sehr gut. Bislang hat das anscheinend nicht funktioniert mit Martin Schulz.
    Dohnanyi: Man kann sie nicht nervös machen. Sie ruht in sich selbst, und das kann auch nicht ein Sinn der Politik sein, einen anderen zu beunruhigen, sondern man muss die eigenen Ziele klar definieren, und da, wie gesagt, ist die SPD in mancher Beziehung ja auf richtigem Wege, und man sieht ja auch, was sie in dieser Koalition Wichtiges durchgesetzt hat, aber der Gesamtzusammenhang, der scheint immer noch, ich sage mal: als ... Der Markt sozusagen wird in erster Linie kritisch betrachtet, und dabei ist er das Fundament, auf dem alles steht, und das muss man eben deutlich machen, und wenn einem das nicht gelingt, weil auch in der eigenen Partei dann sofort Widerstand entsteht, dann wird man große Schwierigkeiten haben, Mehrheiten zu gewinnen. Da bin ich ganz sicher.
    Rohde: Sagt Klaus von Dohnanyi, er war Erster Bürgermeister Hamburgs. Danke für Ihre Zeit heute Morgen!
    Dohnanyi: Vielen Dank, Frau Rohde!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Anmerkung der Redaktion: Im Vorspann wurde der ehemalige Amtssitz von Klaus von Dohnanyi korrigiert.