Donnerstag, 28. März 2024

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Vor der 53. UNO-Vollversammlung

Adler: Heute wird in New York die 53. Generalversammlung der Vereinten Nationen eröffnet. Ob Bürgerkriege, politische Krisen oder finanzielle, wie jetzt die Russland- und Asien-Krise, die Generalversammlung ist das Gremium, in dem Staatsoberhäupter und Regierungsvertreter in großer Runde die Weltlage diskutieren und ihre Vorgehensweise abstimmen. Handlungsbedarf besteht beim Kosovo-Konflikt und dem damit verbundenen Flüchtlingselend. Für Deutschland ist Außenminister Klaus Kinkel, FDP, in New York. Mit ihm habe ich vor dieser Sendung telefoniert und ihn zunächst gefragt, ob die Lösung des Kosovo-Konfliktes notfalls auch militärisch erfolgen kann?

21.09.1998
    Kinkel: Ja, das ist richtig, aber wir steuern nach wie vor in erster Linie eine politische Lösung an. Das muß so gehen, daß wir über Waffenruhe in einen wirklichen Dialog hineinkommen, der zur Autonomie führen kann, nicht zur Unabhängigkeit, und das ganze muß dann militärisch abgesichert werden. Dazu hat sich ja die NATO bereiterklärt. Das ist der klassische Weg, den wir gehen wollen und auch gehen müssen, und da hoffe ich, daß auch Russland letztlich zustimmen würde.

    Adler: Herr Kinkel, die Maßnahme der Europäischen Union, nämlich das Landeverbot für die jugoslawische Fluggesellschaft JAT, hat gezeigt, daß sich erstens noch nicht einmal alle Mitgliedsländer in der Europäischen Union an dieses Landeverbot halten, zweitens daß dieses Landeverbot wirklich wenig Wirkung zeigt. Was kann die nächste Maßnahme, die nächste nichtmilitärische Maßnahme sein, um Belgrad zu einem Einlenken zu bewegen?

    Kinkel: Ich widerspreche, daß das Landeverbot keine Wirkung gehabt hat. Es hat natürlich sogar große Wirkung gehabt. Sie haben ja die Reaktionen auf der Belgrader Seite gesehen. Wir haben allerdings als Europäer dadurch keinen besonders guten Eindruck gemacht, daß nicht alle sofort mitgemacht haben, aber das ist ja jetzt erledigt und deshalb glaube ich, daß das schon eine wirksame Maßnahme ist. Das zentrale Problem ist die Flüchtlingsfrage. Wir brauchen ein Konzept für die Binnenflüchtlinge im Kosovo. 150 000 haben ihre Dörfer verlassen. Die müssen zurückgeführt werden. Dazu brauchen wir Milosevic, dazu brauchen wir die Nichtregierungsorganisationen mit humanitärer Hilfe, und wir brauchen vor allem auch in Nordalbanien, wo 14 000 Flüchtlinge die Grenze überschritten haben, ein Konzept, daß die Flüchtlinge dort bleiben und nicht alle nach Deutschland kommen. Das ist im Augenblick das zentrale Bemühen vor dem Winter, damit keine Katastrophe eintritt.

    Adler: Was ist für Sie der Beleg für die Wirksamkeit des Flugverbotes?

    Kinkel: Der Beleg ist, daß ganz bestimmte Flüge von und nach Belgrad nicht mehr stattfinden können und daß Milosevic wütend reagiert hat, was ja zeigt, daß er getroffen ist.

    Adler: Milosevic das wird ihm zumindest nachgesagt hat auch immer stärkere, mächtigere Verbände in den Kosovo geschickt. Das ist natürlich eine Reaktion, die, wenn es denn so stattfindet, wie es die Nachrichtenagenturen aus dieser Gegend melden, auf Kosten der Menschen geht?

    Kinkel: Es ist ganz zweifellos so, daß das auf Kosten der Menschen geht, denn die Flüchtlinge haben ja ihre Dörfer nicht sozusagen aus dem blauen Himmel heraus verlassen, sondern sie sind dazu gezwungen worden. Deshalb ist es so, daß wir Milosevic zwingen müssen, daß er seine militärischen und paramilitärischen Aktionen unterläßt. Deshalb müssen wir ihm ja auch letztlich militärisch drohen und deutlich sagen, wenn es politisch nicht geht, dann werden wir auch militärisch handeln. Im übrigen habe ich in der letzten Woche in Moskau Gespräche mit Primakow und dem neuen Außenminister Iwanow geführt und habe den Eindruck, daß in einer Artikel 7-Maßnahme, die wir dringend brauchen und über die im Augenblick im Sicherheitsrat in New York verhandelt wird, jedenfalls leichte Bewegung in Moskau im Gange ist. Das zeigt, daß man auch dort sieht, daß die Flüchtlingsfrage so nicht weitergehen kann. Ich hoffe, daß wir in dieser Woche zu einem Durchbruch bei einem Artikel 7-Mandat kommen.

    Adler: Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hält es für notwendig, innerhalb der nächsten drei bis fünf Wochen zu handeln. Ist ein solches Handeln, ein solches Eingreifen auch ohne ein UNO-Mandat möglich?

    Kinkel: Ich habe ja gerade deutlich und klar gesagt, daß wir auf ein UNO-Mandat hinarbeiten und daß dort Bewegung auf russischer Seite vorhanden ist. Das entscheidende ist, daß die militärische Drohung aufrecht erhalten bleibt, daß Milosevic weiß, daß wir es notfalls auch militärisch machen würden. Ich gehe davon aus, daß es uns letztlich gelingt, ein Mandat zu erreichen.

    Adler: Herr Kinkel, in dieser Woche sind Bundestagswahlen. Die schließen immerhin auch die Möglichkeit mit ein, daß es danach keinen Außenminister Kinkel mehr gibt. Was hat Deutschland in Ihrer Amtszeit in der UNO erreicht? Wie sieht Ihre Bilanz aus?

    Kinkel: Zunächst würde ich einmal sagen, langsam voran. Die letzten Umfragen sagen ja ganz deutlich, daß die Sache sehr, sehr eng wird. Ich gehe davon aus, daß wir die Wahlen gewinnen. Deshalb ist das, was Sie gerade andeuten, eher unwahrscheinlich. Ich habe mich in meiner Amtszeit sehr um die Stärkung der Vereinten Nationen bemüht, soweit das Deutschland tun konnte. Wir sind der drittstärkste Beitragszahler. Wir sind dreimal nicht ständiges Mitglied im Sicherheitsrat gewesen. Wir streben einen Sitz im Sicherheitsrat an, und zwar einen ständigen. Daß der noch nicht zustandegekommen ist, liegt nicht an uns, an Deutschland, sondern daran, daß die drei großen Komponenten Afrika, Asien und Lateinamerika sich nicht einigen können und die Amerikaner im Augenblick auf einer Erweiterung nur bis 21 bestehen. Die ganze Welt aber ist der Meinung, daß das nicht ausreicht. Auch wir sind dieser Meinung. Wir glauben, daß 24 Sitze notwendig sind. Wir haben uns engagiert im Drogenbereich, im Terrorismusbereich. Wir haben uns engagiert bei den großen globalen Fragen, bei den institutionellen Reformen. Wir sind der drittstärkste Beitragszahler. Ich glaube auch, daß wir uns mit unserem Engagement beispielsweise im Umweltschutz sehen lassen können. Deutschland ist ein verläßliches und berechenbares Mitglied der Vereinten Nationen, die, gäbe es sie nicht, man erfinden müßte.

    Adler: Herr Kinkel, hatten Sie in all der Zeit auch die vorbehaltlose Unterstützung von Helmut Kohl in Sachen UNO?

    Kinkel: Antwort: Ja! Da ist manchmal etwas an unterschiedlichen Auffassungen hineingeheimnist worden, was überhaupt nicht zutrifft. Wir haben eine gemeinsame UNO-Politik, die im übrigen auch praktisch von allen Fraktionen des Deutschen Bundestages getragen wird. Da wird manchmal der Vorwurf gemacht, die UNO habe dies oder jenes Problem nicht lösen können. Da muß man sagen, sie kann nur so effektiv sein wie die Mitgliedsstaaten es erlauben. Wir wollen eine starke und durchsetzungsfähige UNO. Das kostet politische Kraft und auch Geld. Wir sind bereit, unser politisches und wirtschaftliches Gewicht weiter in die Waagschale zu werfen.

    Adler: Nachfrage zu Helmut Kohl: Hat er sein ganzes politisches Gewicht in Sachen UNO in die Waagschale geworfen?

    Kinkel: Das hat er sicher getan. Ich meine, es ist mehr die Aufgabe des Außenministers, hier bei der UNO aufzutreten. Dies ist mein siebenter Auftritt in dieser Woche. Ich glaube schon, daß wir uns in der Regierung, in der Koalition mit unserem Engagement in der UNO sehen lassen können, und es wäre falsch, jetzt den Versuch zu machen, irgendwelche Keile zu treiben. Das ust unangebracht.

    Adler: Herr Kinkel, Deutschland ist genau 25 Jahre lang UNO-Mitglied. Ist die Zeit inzwischen dafür reif, daß von Deutschland Blauhelmeinsätze beispielsweise initiiert werden, also mehr eigene Schritte, mehr Eigeninitiative ausgeht?

    Kinkel: Zunächst sind wir noch nicht Mitglied des Sicherheitsrates, aber daß wir in der UNO sehr viele Eigeninitiativen eingebracht haben, ist ja kein Geheimnis. Ich werde in meiner Rede das will ich jetzt nicht vorwegnehmen wieder Vorschläge machen, und wenn ich mir beispielsweise die Landmienen-Problematik ansehe, haben wir uns durchgesetzt. Wir haben uns mit der Gründung eines internationalen Strafgerichtshofes durchgesetzt. Das war eine wirklich historische Entscheidung. Daran hat Deutschland entscheidend mitgewirkt. Das ist das Stück der Umsetzung der Vision einer gerechteren Welt, für die wir hart gekämpft haben und die wir schließlich mit vielen gleichgesinnten Staaten verwirklichen konnten. Also wir können uns schon sehen lassen. Wir sind vor allem eben auch ein absolut zuverlässiger Partner in der UNO, auch was das Zahlen der Finanzen anbelangt, und das sollte man nicht vergessen. Ich werde in dieser Woche wieder zwei Abende haben, wo ich an einem Abend die 54 Außenminister Afrikas eingeladen habe. Es haben bereits jetzt wieder über 30 zugesagt. Ich werde einen zweiten Abend haben, wo wir die AOSIS-Staaten das sind sämtliche Inselstaaten der Welt eingeladen haben. Ich bin, wenn Sie so wollen, an einem Abend etwa mit der Hälfte der Vereinten Nationen zusammen, vertreten durch jeweils einen Vertreter dieses Landes. Wir engagieren uns sehr; wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.

    Adler: Muß sich Deutschland den Vorwurf gefallen lassen, eventuell zu stark auf den Sitz als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat hinzuarbeiten und weniger an Inhalten zu arbeiten?

    Kinkel: Absoluter Unsinn! Wir werden absolut automatisch Mitglied des Sicherheitsrates. Wir werden die notwendige Mehrheit haben. Ich sagte ja vorher, daß das nicht an uns liegt. Von uns wird mehr Mitverantwortung erwartet; dann muß man uns auch mehr Mitspracherecht einräumen als dem drittgrößten Beitragszahler. Im übrigen sage ich noch einmal: Die weit überwiegende Zahl der Länder in den Vereinten Nationen möchte gerne, daß Deutschland demnächst als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat auftaucht, und das wird auch so kommen, denn der Sicherheitsrat spiegelt ja in seiner augenblicklichen Zusammensetzung nicht die Weltsituation, sondern eben das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges wieder. Aber wie gesagt, wir brauchen nicht zu drängeln; das kommt automatisch auf uns zu.

    Adler: Der amerikanische Präsident wird heute zu Beginn der Vollversammlung sprechen. Hat er, Herr Kinkel, an Ansehen unter Ihren Amtskollegen verloren aufgrund seiner innenpolitischen Schwierigkeiten?

    Kinkel: Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß ich auf diesen Fragenkreis nicht eingehen will.

    Adler: Herr Kinkel, ich danke Ihnen für das Interview.