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Vor der Fußball-WM in Russland
"Jetzt ist das große Schmuddelkind des Weltsports Russland"

Heute werden in Moskau die Gruppen für die Fußball-WM 2018 ausgelost. Das Turnier verschaffe dem Land und besonders Wladimir Putin einen enormen Prestige-Gewinn, sagte der Sportphilosoph Gunter Gebauer im Dlf - trotz der Annahme, dass Russland staatlich gesteuertes Doping betreibe.

Gunter Gebauer im Gespräch mit Dirk Müller | 01.12.2017
    Der Philosoph Gunter Gebauer, 2015 in Köln auf der dritten phil.COLOGNE.
    Der Philosoph Gunter Gebauer (dpa / Horst Galuschka)
    Dirk Müller: Ganz gleich ob Leichtathletik, Biathlon, Langlauf, Bobfahren, Radfahren oder auch Gewichtheben – Russland gleich Dopingland, n einem flächendeckenden Ausmaß staatlich gelenkt und gefördert. Davon sind jedenfalls die meisten Beobachter und Experten im Westen fest überzeugt. Aber das gilt offenbar nun auch für den Fußball. Dennoch: Die Gastgeber von 2018, der Fußball-WM, ficht das Ganze nicht an. Sie stehen vor einem Berg organisatorischer und logistischer Probleme.
    Die gesamte russische Fußball-Nationalmannschaft steht unter Verdacht, bei der WM in Brasilien vor drei Jahren gedopt gewesen zu sein, nahezu alle Spieler. Was wusste der umstrittene Fußball-Chef Witali Mutko davon, der auch Vize-Regierungschef ist? Und was ist mit Wladimir Putin? Russland gleich Dopingland? Was soll’s! Hunderte Millionen Fußball-Fans weltweit werden heute Nachmittag die Auslosung im Kreml vor dem Bildschirm verfolgen, die Auslosung für die WM 2018. Unser Thema nun mit dem Berliner Sportphilosophen Professor Gunter Gebauer. Guten Morgen!
    Gunter Gebauer: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Heiligt der Fußball alle Mittel?
    Gebauer: Nein, natürlich nicht. Die Doping-Verdachtsmomente sind ja sehr stark, auch im Fußball. Sie sind mehr oder weniger belegt durch den McLaren-Bericht über die Staatsdoping-Vorgänge in Sotschi. Da gibt es eine ganze Menge, was auf dem Tisch ist, und das kann keinem egal sein.
    Müller: Aber Fußball-Fan ist Fußball-Fan.
    Gebauer: Ja, das ist eben das Erstaunliche. Im Fußball passiert ja sehr viel, sehr viel Unangenehmes, auch im deutschen Fußball übrigens. Aber man vergisst das immer alles sehr schnell. Das wird dann weggewischt. Wenn die Spiele anfangen, ist das irgendwie alles egal. Man verzeiht unglaublich viel. Fußball-Weltmeisterschaften haben auch schon in Diktaturen stattgefunden, in Wackelstaaten. Die nächsten WM-Ereignisse werden in Katar 2022 stattfinden. Da passiert sehr viel sehr Unangenehmes, und trotzdem lebt der Fußball glänzend weiter.
    Müller: Ist das vielleicht ein gutes Stichwort, was Sie sagen? Wir reden über Russland, aber ist alles besser als Katar?
    Gebauer: Das kann man so ohne weiteres nicht sagen. Ich meine, in Russland haben wir diese massiven Doping-Fälle, nicht nur Verdacht. Wir haben gesehen, dass in Sotschi – das hat der McLaren-Report glasklar erwiesen – der Geheimdienst daran beteiligt war, massiv Doping-Proben auszutauschen. Wenn der Geheimdienst dabei war heißt das natürlich, dass die Staatsspitze involviert ist. Ein Geheimdienst fängt nicht an, ganz alleine irgendwelche Löcher in Doping-Labors zu bohren, um nachts dann die Proben auszutauschen. Das passiert natürlich alles mit Einverständnis oder wahrscheinlich sogar auf Hinweis durch die Staatsspitze. Also können wir eigentlich annehmen, dass wir in Russland ein System haben, das bis oben hin, bis sicher auch zu Putin hin (nur wird man das nie nachweisen können) der Staat involviert ist in Doping.
    "Es wird noch schlimmer, weil der Sport an Ansehen gewonnen hat"
    Müller: Und die FIFA wird mitspielen?
    Gebauer: Immer! Die FIFA hat ja auch sehr gerne die Spiele, die Fußball-WM nach Russland gegeben. Putin ist eigens mit einem Flieger eingeflogen und hat darauf hingewirkt, dass Russland auf jeden Fall die Spiele vor Katar bekommt, und dann wurde eine Doppelvergabe damals unter Blatter inauguriert, die es vorher noch nie gegeben hat. Moskau oder Russland bekam als erstes die Spiele und Katar dann als zweites.
    Müller: Also bleibt immer alles beim Alten?
    Gebauer: Ja, beziehungsweise es kommen auch neue Länder rein. Ich meine, Katar ist ja jetzt ein neuer Player im Weltsport, und zwar sehr geschickt, mit unendlich viel Geld und mit enorm viel Einfluss, und sie sind ja auch dabei, sehr viel aufzumischen.
    Müller: Da habe ich mich vielleicht nicht klar ausgedrückt. Ich meinte mit alles bleibt beim Alten die Verfahren, die bisher gelaufen sind, wo beispielsweise dann die politische Konstellation, auch die sportliche Konstellation keine Rolle spielt. Wir hatten ja damals in Argentinien 1978 auch Militärdiktatur. Da ist auch die FIFA hingegangen für die Fußball-Weltmeisterschaft. Und wir hatten große Diskussionen Olympia 1980 Sowjetunion (ich hätte schon fast Russland gesagt). Und dann China Olympia 2008. Alles egal?
    Gebauer: Insofern bleibt alles beim Alten. Man kann vielleicht sagen, es erneuert sich permanent und es frischt sich auch auf. Das wird immer wieder jugendlich neu getüncht. Wir haben jetzt eine neue FIFA-Spitze mit Infantino. Blatter ist abgelöst worden. Infantino macht genau da weiter, wo Blatter aufgehört hat. Man kann vielleicht sogar noch sagen, es wird noch schlimmer, weil der Sport viel mehr an Ansehen gewonnen hat und es auch ein viel höherer Faktor in der Ansehensgewinnung in der Welt ist. Wenn Russland jetzt die WM im Fußball ausrichtet bedeutet das, dass sie den Sport Nummer eins, der auf der ganzen Welt gesehen wird, mit der höchsten Sehbeteiligung, die überhaupt ein Ereignis neben der Eröffnung der Olympischen Spiele haben kann, veranstaltet. Das heißt, das Prestige, was Russland dadurch gewinnt, insbesondere Putin, ist enorm.
    Müller: Wenn Sie jetzt richtiger eingefleischter Fußball-Fan wären und jetzt kommen Europameisterschaften – wir reden jetzt über die Weltmeisterschaften 2018, der nächste große Termin -, ist das dann so, dass man das letztendlich verdrängt und das trotzdem, und zwar zurecht genießen möchte?
    Gebauer: Das sind eben zwei Dinge. Die Spieler können nichts dafür. Was auf dem Grünen des Rasens passiert, ist ein eigenes Ereignis. Natürlich ist es eingebettet. Man kann sagen, mich ekelt das alles an, ich will das alles nicht mehr sehen.
    "Angeblich würde Doping überhaupt nichts nützen"
    Müller: Aber die gedopten Spieler? Sie sagten, die Spieler können nichts dafür.
    Gebauer: Na ja, die Spieler, die nicht gedopt sind natürlich. Ich nehme mal an, dass die gedopten Spieler entweder rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen werden. Das ist auch anzunehmen bei der russischen Mannschaft, zumal ja deren Namen alle inzwischen bekannt sind.
    Müller: Dann ist ja keiner mehr da.
    Gebauer: Doch, doch! Sie haben immerhin noch einige Spieler, die sie auf den Rasen schicken können. Aber die sind nicht sehr gut. Man sieht ja auch an den Ergebnissen der russischen Nationalmannschaft, dass das ein ganz kleines Niveau ist inzwischen.
    Müller: Fußball-Chef Mutko ist ja schon mehrfach zitiert worden heute Morgen, auch bei uns hier von Thielko Grieß. Mutko hat dann gesagt, wenn die alle gedopt wären, dann stellen Sie sich vor, wie wir spielen würden, wenn sie nicht gedopt wären, weil sie ja schlecht gespielt haben.
    Gebauer: Eben, noch schlechter. Das ist ganz einfach. Ich glaube, Doping im Fußball ist sowieso ein eigenes Problem, Herr Müller. Das muss man auch noch mal herausstellen. Auch der Deutsche Fußballbund behauptet natürlich ständig, dass im Fußball nicht gedopt wird. Deswegen gibt es nur ganz wenig Doping-Proben in Deutschland. Angeblich würde Doping überhaupt nichts nützen, weil es ja eine Sportart ist, bei der es auf die Geschicklichkeit ankommt und so weiter. Das ist natürlich Sand in die Augen streuen. Natürlich spielt auch Doping beim Fußball eine Rolle und wir brauchen bloß daran zu denken, wie viele Tore in der Nachspielzeit fallen. Das heißt, es gibt Mannschaften, die sind dann noch taufrisch und schießen ihre Tore, und es gibt andere Mannschaften, die können kaum noch stehen.
    Müller: Also müssen wir nach 90 Minuten eigentlich aufhören?
    Gebauer: Ja. Aber die spannende Sache ist, dass in der Nachspielzeit viele Tore fallen. Ich denke mal, durch sehr gute Doping-Proben – und in Russland werden die Doping-Proben ja jetzt nicht von Russland selbst genommen und analysiert, sondern sie werden verschifft, verschickt; nun muss man aufpassen, dass bei der Verschickung auch nicht irgendetwas passiert. Und sie werden im Ausland analysiert.
    Müller: Herr Gebauer, für Sie auch klare Sache? Wir wissen das im Grunde ja seit den Bekenntnissen von Toni Schumacher, der damals das Buch "Anpfiff" geschrieben hat und gesagt hat, wir sind hier ein bisschen gedopt oder gedopt gewesen, weil einige Spieler dopen. Er wurde damals entlassen, er durfte dann nicht mehr spielen.
    Gebauer: Ja, er war das Schmuddelkind. Er war derjenige, der praktisch gepetzt hat, der gesagt hat, es wird gedopt. Und jetzt ist im Grunde genommen das große Schmuddelkind des Weltsports Russland, und wir werden sehen, ob die russischen Athleten von der nächsten Winter-Olympiade ausgeschlossen werden.
    "Von Doping verseucht"
    Müller: Und auf IOC-Chef Infantino, ich frage das noch mal, der ja immerhin neu im Amt ist, der Sepp Blatter ja beerbt hat?
    Gebauer: FIFA-Chef, ja!
    Müller: Entschuldigung! – Der FIFA-Chef wird an der ganzen Sache nichts ändern?
    Gebauer: Das glaube ich nicht. Infantino ist nur daran interessiert, wiedergewählt zu werden. Er hat die Stimmen von Russland und der Alliierten von Russland, der ganzen Freunde. Das sind ja sehr viele. Man muss sich vorstellen, dass Russland sehr viele Spitzenfunktionäre in allen möglichen wichtigen Sportverbänden der Welt platziert hat und einen großen Einfluss hat, im Übrigen ja nicht nur im Sport, sondern Russland ist im Augenblick ja doch eine ganz starke Weltmacht, vielleicht sogar mit der Abwesenheit Trumps in vielen Feldern der Weltpolitik Nummer eins. Insofern haben wir so ein merkwürdiges Verhältnis: Auf der einen Seite ein unglaublich starkes Russland im Augenblick, der Syrien-Konflikt wird unter russischer Ägide verhandelt, also ganz, ganz wichtige Positionen in der Weltpolitik. Und auf der anderen Seite muss man sagen, im Sport haben sie zwar Erfolge, aber eigentlich ist alles da wackelig und von Doping verseucht.
    Müller: Wir bräuchten noch mehr Zeit. Die Musik sagt aber, wir haben keine Zeit mehr. Vielen Dank nach Berlin – der Berliner Sportphilosoph Professor Gunter Gebauer bei uns im Deutschlandfunk. Ihnen noch einen schönen Tag.
    Gebauer: Danke gleichfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.