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Vor der Präsidentschaftswahl
Warum die etablierten Parteien in Frankreich schwächeln

Rechts oder links - jahrzehntelang haben sie sich an der Macht abgewechselt: Wenn nicht die Sozialisten die Regierung gestellt haben, waren es die Konservativen. Das könnte in diesem Jahr anders sein. Die Franzosen fühlen sich von der Sozialisten an der Regierung verraten - und trauen dem Kandidaten der Konservativen nicht.

Von Anne Raith und Andreas Noll | 21.04.2017
    Eine Gruppe von Rentnern im Gespräch mit der Autorin
    Die Rentner aus Fréjus wollen am kommenden Sonntag die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen wählen. (Andreas Noll / Deutschlandfunk)
    Unscheinbar haftet der weiß-blaue Anstecker auf der schwarzen Jacke von Jean Louis. "JLM 2017 - das unbeugsame Frankreich" steht darauf geschrieben. Ehrensache, dass der frühere Bürgermeister für den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon Wahlwerbung macht, hier in Châlette-sur-Loing, einer Kleinstadt gut 120 Kilometer südlich von Paris. "Ich war neulich demonstrieren auf der Place de la Bastille in Paris für Jean-Luc Mélenchon. Das hat Spaß gemacht. Ich bin gern in der Menge, mag die Slogans."
    Auch 2012 ist der heute 80-Jährige schon für Mélenchon in den Wahlkampf gezogen. Doch während der damals nur 11 Prozent der Stimmen erreichte, hat der radikale Linke Mélenchon dieses Jahr tatsächlich Chancen, in die Stichwahl einzuziehen. Der große Frust über die Regierung der gemäßigten Linken ist dafür wohl die wichtigste Erklärung:
    "Ich habe 2012 mit viel Enthusiasmus in der Stichwahl für François Hollande gestimmt. Auch weil ich Sarkozy nicht ausstehen kann. Nach Hollandes Wahlsieg haben wir eine große Party in meinem Garten gefeiert. Mit gut 90 Leuten haben wir seinen Sieg begossen. Wir haben sogar ein Feuerwerk gezündet. Auch wenn ich ein paar Zweifel hatte, habe ich immerhin geglaubt, dass Hollande einen Teil seiner Wahlversprechen einlösen würde. 80 Vorschläge standen auf der Liste. Am Ende hat er zwei umgesetzt. Das ist für mich Verrat."
    Portraitfoto von Jean Louis
    Jean Louis ist von den Sozialisten an der Regierung enttäuscht, er unterstützt den Linkpopulisten Jean-Luc Mélenchon. (Andreas Noll / Deutschlandfunk)
    Lieber einen unabhängigen Kandidaten wählen
    Die Amtszeit der Sozialisten hat viele Franzosen enttäuscht. Auch Françoise Mercier-Rayet, die wir in einem Café in Moulins treffen. Die 59 Jahre alte Anwältin mit dem strengen Lächeln ist schon lange politisch aktiv, jahrelang für die Sozialisten in der Stadt und in der Region Auvergne. Bis sie irgendwann genug hatte von den Flügelkämpfen in der Partei. Der Rechts-Links-Gegensatz in Frankreich, der so verbittert ausgetragen wird, widert sie mittlerweile an.
    "Ich war in der Stadt und der Region politisch aktiv. Aber ich hatte genug davon, dass es immer darum geht, ob jemand rechts oder links ist." Françoise Mercier-Rayet unterstützt nun den unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron. Macron war einst Wirtschaftsberater von Präsident Hollande und später sein Wirtschaftsminister.
    Jean Louis und Françoise Mercier-Rayet sind zwei Beispiele für eine Entwicklung, die zur Auflösung der traditionsreichen Sozialisten führen könnte. Noch nicht einmal 10 Prozent der Stimmen sagen die Demoskopen dem sozialistischen Kandidaten Benoît Hamon voraus.
    "Fillon repräsentiert mich nicht"
    Während die Linke unter dem politischen Erbe des scheidenden Präsidenten leidet, ist es bei den Konservativen der Kandidat, der ihnen einen schwierigen Stand beschert. Die Affäre um die mutmaßliche Scheinbeschäftigung von Familienmitgliedern auf Staatskosten belastet den Wahlkampf von François Fillon.
    Im Weinort Tain-l'Hermitage an der Rhône kommen die Gläubigen gerade aus dem Gottesdienst. Als Konservative verstehen sich die meisten der Kirchgänger, die vor der Kirche noch ein wenig über den Wahlkampf sprechen. André, ein Gläubiger im mittleren Alter, sagt es frei heraus: Der Kandidat der bürgerlichen Rechten sei für ihn nicht wählbar: "Fillon repräsentiert mich nicht."
    Totale einer Kirche in Tain während des Gottesdienstes
    Viele Kirchgänger in Tain-l’Hermitage wollten eigentlich den Konservativen Francois Fillon wählen – doch seine Affären machen ihn unglaubwürdig, finden sie. (Andreas Noll / Deutschlandfunk)
    Der verrückte Wahlkampf, sagt er, mache ihm die Entscheidung am kommenden Sonntag nicht leicht, aber er werde wohl für Emmanuel Macron stimmen. Geholfen hat ihm bei der Entscheidungsfindung, dass ein führender Vertreter der im Parlament nur schwach vertretenden Zentristen für Macron wirbt.
    François Bayrou hatte schon 2012 mit seiner indirekten Wahlempfehlung für Hollande großen Einfluss auf den Wahlausgang: "Die Tatsache, dass François Bayrou für Macron stimmt, wird dazu führen, dass auch ich für Macron stimmen werde."
    Emmanuel Macron wird aber allenfalls einen Teil der Enttäuschten binden können. Auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums tendieren immer mehr Franzosen zu den Extremen. Auf dem Boulesplatz der Hafenstadt Fréjus an der Strandpromenade ist Joël einer von ihnen. Eigentlich wollte er ja für Fillon stimmen, aber… "François Fillon mit seinen Affären ist für mich nicht wählbar. Ich stimme für Marine Le Pen."
    Der enttäuschte Konservative im Rentenalter macht keinen Hehl daraus, dass er nur noch dem Front National zutraut, das Land wieder aufzurichten. Im Rathaus von Fréjus sitzt bereits ein Vertreter der rechtsextremen Partei. Seit drei Jahren führt FN-Jungstar David Rachline die Stadt an der Mittelmeerküste.