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Vor Deutschlandreise
Netanjahu gibt palästinensischem Großmufti Mitschuld am Holocaust

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besucht zurzeit Berlin - kurz vor seinem Abflug löste er Widerspruch und Kritik mit seiner Behauptung aus, der frühere palästinensische Großmufti von Jerusalem habe Adolf Hitler zur Judenvernichtung angestiftet.

21.10.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu geben am 21.10.2015 im Kanzleramt in Berlin eine gemeinsame Pressekonferenz.
    Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Netanjahu hatte am Dienstag vor dem Zionistischen Weltkongress gesagt, Hitler habe die Juden "damals nicht auslöschen wollen". "Er wollte sie ausweisen", sagte Netanjahu. Der damalige Großmufti von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, habe bei einem Treffen mit Hitler aber gesagt, dann kämen die Juden aus Europa "alle hierhin" - in das damalige britische Mandatsgebiet Palästina. Auf die Frage Hitlers, was er mit den Juden machen solle, habe der Großmufti geantwortet: "Verbrennen." Palästina wurde damals noch von der britischen Mandatsmacht verwaltet, die eine Einwanderung von Juden streng einschränkte.
    Netanjahu: "Der Mann ist ein Kriegsverbrecher"
    Später bekräftigte Netanjahu seine Äußerungen. Mit seinen Erklärungen habe er zeigen wollen, "dass der Vater der palästinensischen Nation schon damals, ohne Staat und ohne sogenannte Besatzung, ohne Palästinensergebiete und ohne Siedlungen, mit systematischer Hetze zur Vernichtung der Juden aufrief", sagte Netanjahu vor seiner Abreise nach Berlin. "Der Mufti wurde ein krimineller Komplize für (SS-Chef Heinrich) Himmler und (Holocaust-Organisator Adolf) Eichmann bei der Ausführung des Holocaust", sagte er am Mittwoch nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin laut Übersetzung.
    Haj Amin al-Husseini, der damalige Großmufti von Jerusalem,spricht mit Adolf Hitler.
    Haj Amin al-Husseini, der damalige Großmufti von Jerusalem, besuchte 1941 Adolf Hitler in Berlin. (HO / AFP)
    "Der Mann ist ein Kriegsverbrecher. Er ist ein Mann, der mit den Nazis kollaboriert hat." Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas müsse sich fragen lassen, "warum er den Mufti als Krone der Palästinenser hochhält". Der Großmufti habe den Holocaust unterstützt. "Es gibt viele Beweise für die Korrektheit dieser Aussage." Auch der Mufti habe den Juden damals fälschlich vorgeworfen, sie wollten die Al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg zerstören, sagte Netanjahu in Bezug auf den jüngsten Streit mit der Palästinenserführung. Netanjahu sagte aber auch, dass Nazi-Dikator Adolf Hitler hauptverantwortlich für den Holocaust war. "Hitler ist verantwortlich für den Holocaust. Niemand sollte das abstreiten", sagte er.
    Israels Oppositionsführer und ein Historiker widersprechen
    Israels Präsident Reuven Rivlin sagte während eines Besuchs in Tschechien, Al-Husseini und Hitler hätten sich getroffen. Ob es einen kausalen Zusammenhang gebe, könne er aber nicht beurteilen. "Hitler ist derjenige, der unendliches Leid über unsere Nation gebracht hat", sagte der Präsident. Israels Oppositionsführer Izchak Herzog rief Netanjahu dazu auf, seine Äußerungen zurückzuziehen. Es handele sich um eine "gefährliche Verzerrung der Geschichte, die den Holocaust trivialisiert".
    Auch der israelische Holocaust-Forscher Professor Jehuda Bauer sagte, Netanjahu habe mit seinen Worten "die Figur Hitlers verkleinert". Hitler habe sicherlich "keinen Araber aus dem Nahen Osten gebraucht, der ihm sagte, was er zu tun hat". Al-Husseini habe mit Hitler kollaboriert. "Aber die Idee, dass Hitler von ihm die Inspiration erhielt, ist vollkommen lächerlich", sagte der Historiker dem israelischen Armeesender.
    Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte nach einem Treffen mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in Ramallah: "Netanjahu hat Hitler von seinen Verbrechen freigesprochen und die Schuld auf Amin al-Husseini abgeschoben. Auf diese Weise will er unser Volk auf eine sehr erbärmliche Weise angreifen." Netanjahu entgegnete vor seiner Abreise nach Berlin: "Das ist absurd. Ich hatte keinesfalls die Absicht, Hitler von seiner satanischen Verantwortung für die Vernichtung der europäischen Juden freizusprechen." Er habe zeigen wollen, dass schon damals von palästinensischer Seite "eine systematische Kampagne der Aufstachelung zur Vernichtung der Juden" betrieben worden sei. Dies setze sich heute fort.
    Merkel ruft zur Deeskalation auf
    Nach einem Treffen Natanjahus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die CDU-Politikerin zu einem Ende der neu aufgeflammten Gewalt im Nahost-Konflikt auf. "Wir wünschen uns, dass alle Seiten zur Deeskalation der Lage beitragen", sagte Merkel am Mittwochabend. Israel habe die Verpflichtung, seine eigenen Bürger zu schützen. Dabei müsse aber die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Sicherheit und Existenz Israels seien Teil der deutschen Staatsräson und dies werde auch so bleiben. Netanjahu sagte, Israel wolle Frieden. Er warf den Palästinensern vor, sich Verhandlungen zu verweigern. Sie weigerten sich zudem, Terrorismus zu verurteilen.
    Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) empfängt am Donnerstag Netanjahu und zuvor den US-Außenminister John Kerry zu Beratungen in Berlin. Bei den Treffen geht es nach Angaben des Auswärtigen Amts um die diversen Konflikte im Nahen Osten. Kerry kommt in Berlin auch mit Netanjahu zusammen.
    Gewalt in Nahost zuletzt wieder aufgeflammt
    Israel und die Palästinensergebiete werden seit Anfang Oktober von neuer Gewalt erschüttert, Auslöser war unter anderem der Streit um den Tempelberg. In der Nähe von Ramallah kam es am Mittwoch erneut zu einer Messerattacke. Eine israelische Soldatin wurde dabei schwer verletzt, der Angreifer laut Polizei getötet. Ein Komplize wurde demnach festgenommen. Zuvor war eine 15-jährige Palästinenserin bei Nablus durch Schüsse verletzt worden; sie soll sich am Morgen mit einem Messer einer israelischen Siedlung genähert haben. Seit Monatsbeginn wurden bereits mehr als 45 Palästinenser und acht jüdische Israelis getötet.
    (nch/wes)