Freitag, 29. März 2024

Archiv


Vor Nachahmung sei gewarnt

David Bösch inszeniert am Schauspiel Bochum Goldonis "Diener zweier Herren". Der Senkrechtstarter von vor fast zehn Jahren steckt offensichtlich in einer Kreativitätsfalle. Nichts hat er mit diesem Goldoni zu tun. Die Inszenierung sei quälend langweilig, meint Kritiker Michael Laages.

Von Michael Laages | 02.12.2012
    Wer will, kann im erfolgreichsten Theaterstück der "Commedia dell' Arte" ein fein justiertes Witzmaschinchen rattern hören und sehen - dramaturgisch filigran gefügt, lässt es den immer (und bis zum Ende) hungrigen Diener Truffaldino, einen klassischen Harlekin, auf der verzweifelten Suche nach Ein- und Auskommen gleich zwei Herren zu Willen sein, die quasi zeitgleich aus Turin in Venedig anlanden. Immer muss er auf der Hut sein, dass der eine dem anderen nie begegnen darf.

    Was das Publikum, aber nicht er weiß – einer der Reisenden hat daheim in Turin gerade einen Mann getötet, der in Venedig einer Tochter aus bestem Hause als Ehemann versprochen und obendrein der Bruder der Geliebten des Mörders war. Die wiederum verkleidete sich darauf hin als Mann, gibt sich nun als der eigene tote Bruder aus und reiste so dem geliebten Mörder hinterher, um mit ihm gemeinsam weiter zu fliehen.

    Das ist dramatisch! Und natürlich komisch – weil die beiden einander natürlich doch begegnen; aber ohne jede Erleuchtung und weil natürlich in Venedig längst die Nebenbuhlerei um das feine Fräulein begonnen hat. Verwechselt wird nun unentwegt, erlebte Enttäuschung und gedachtes Glück liegen verflixt nah beieinander. Und der Diener kriegt ums Verrecken nichts zu essen ...

    Unlängst hatte Herbert Fritsch in Schwerin Tempo und Dramaturgie der kleinen Witzwerkstatt von anno 1745 beim Wort genommen – und legte in bestenfalls 100 Minuten eine herzzerreißend, die Lachmuskeln arg strapazierende Alberei vor. David Bösch benötigt in Bochum nun für das gleiche Vorhaben geschlagene drei und gefühlte fünf Stunden – weil er statt der Maschinchendramaturgie eine andere (und in diesem Fall extrem kontraproduktive) Spezialität der Goldoni-Zeit beim Wort genommen hat.

    Die "Commedia dell' Arte" nämlich war ja Marktplatz-Theater, kaum je lag ein fertiger Text vor, und die Ensembles improvisierten auf Deubel komm raus. Etwa so sieht Goldonis Stück jetzt bei Bösch aus: als hätten sämtliche Ensemblemitglieder unablässig neue Ideen er-improvisiert; und als habe der Regisseur nie entschieden, was drin bleiben darf und was rausfliegen muss aus dem Regiebuch. So häuft nun jeder und jede "Witzischkeit" auf "Witzischkeit" auf "Witzischkeit", gern auch mit Bezug auf lokale Bochumer Spezialitäten wie den REWE-Laden schräg gegenüber vom Theater, der bis Mitternacht aufhat, und das "Bermudadreieck", Bochum Entertainmentzentrum; auch werden unentwegt Revolver gezogen und Messer gezückt. – Achtung: Italien! Mafiosi! Genau so plan und platt wie diese Pointe ist der ganze elend lange Abend. Immerhin bekommen die Schießeisen gegen Ende Sinn. Denn dank der Trickserei des hungrigen Dieners halten die beiden Flüchtlinge aus Turin einander ja gegenseitig für tot; da wollen sie auch lieber selber nicht mehr leben und geben sich die Kugel. Doppelselbstmord, etwa so wie bei Romeo und Julia – naja. Derweil kommt für's überlebende Bürgerpaar in Venedig gleich ein Schwan ins Bild gefahren, und beide singen noch mal ziemlich blöde Popschlager (was den Abend auch zuvor schon mächtig in die Länge zog). Da deliriert sich Bösch längst möglichst weit von Goldoni weg.

    Immerhin bekommt Truffaldino schließlich die kecke Serviermamsell Smeraldina sowie ein große Sahnetorte. Das Bochumer Publikum, gern sehr begeistert, jauchzt mehrheitlich; doch muss Bösch ausnahmsweise auch sehr verdiente Widerworte einstecken.

    Der Senkrechtstarter von vor fast zehn Jahren steckt offensichtlich in einer Kreativitätsfalle – derart selbstverständlich inszeniert David Bösch mittlerweile an ersten Häusern, dass es ihm rechtschaffen wurscht zu sein scheint, was er gerade macht; und sich wohl eher selten fragt, warum ... Nichts hat er mit diesem Goldoni zu tun; und darum ist die Inszenierung derart abgeschmackt, peinlich dumm und (was das Ärgste ist!) quälend langweilig. Nichts hatte er zuvor aber auch schon mit Wolfgang Borchert und "Draußen vor der Tür" zu tun – in der Routine des unhinterfragten Arbeitsalltags an so vielen schönen Bühnen mit so vielen (an sich) prächtigen Darstellern, ist das Talent fast schon verbrannt, dass David Bösch einst war.

    Vor Nachahmung sei gewarnt.