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"Vor uns die Sintflut"

Bekanntlich kämpft der US-amerikanische Präsident lieber gegen den Terror als gegen drohende Klimakatastrophen, die nicht zuletzt durch die schon traditionelle Vergeudung von Energie und Ressourcen in den Vereinigten Staaten immer wahrscheinlicher werden. So wurde, während der Präsident in Asien weilte, in der vergangenen Woche weltweit publik, dass Bush im letzten Sommer vor dem Ausmaß des drohenden Hurrikan Katrina rechtzeitig und angemessen gewarnt worden war – und trotzdem nicht reagierte.

Von Bettina Lendzian | 06.03.2006
    Dabei sind die Auswirkungen des Klimawandels längst weltweit sichtbar: Ob Bergschäden in Alaska, schwimmende Eigenheime in den Niederlanden oder Schmetterlinge in Nordengland - sie alle sind Zeichen der globalen Erwärmung. Die amerikanische Journalistin Elizabeth Kolbert ist an Orte gereist, an denen der Klimawandel bereits sichtbare Auswirkungen hat, und stellte ihre Beobachtungen in den Kontext der wissenschaftlichen Fakten und politischen Entwicklungen zum Thema. Zunächst als Artikelreihe im renommierten Magazin "The New Yorker" veröffentlicht, ist "Vor uns die Sintflut" nun auch als Buch auf Deutsch erschienen. Bettina Lendzian stellt es Ihnen vor.

    BEITRAG BETTINA LENDZIAN

    "Am 23. August 2005 bildete sich im Südosten der Bahamas ein tropisches Tiefdruckgebiet – das zwölfte der Saison. Am nächsten Tag wurde das Tief zu einem Tropensturm heraufgestuft und erhielt einen Namen – Katrina. (...) Am 29. August traf Katrina mit Windgeschwindigkeiten von über 160 Stundenkilometern und einer Sturmflut, die tiefe Breschen in die Schutzdeiche schlug, auf New Orleans. Eine Katastrophe nahm ihren Lauf ..."

    Nur ein paar Wochen vor der Katrina-Katastrophe im Süden der USA hatte das Massachusetts Institute of Technology eine Studie über den Zusammenhang zwischen Wirbelstürmen und der globalen Erwärmung veröffentlicht. Ein Hurrikan bezieht seine Energie aus dem warmen Oberflächenwasser der Meere. Die meisten Klimamodelle sagen deshalb vorher, dass es mehr starke Stürme geben wird, je wärmer die Ozeane werden.

    Katrina ist deshalb für die amerikanische Journalistin Elizabeth Kolbert eine weitere Warnung, die die Menschheit ernst nehmen sollte. In "Vor uns die Sintflut" listet sie Erkenntnisse und Versäumnisse zum Klimaschutz auf. Vor allem die Weigerung der USA, mit gutem Beispiel voranzugehen und den Ausstoß von Kohlendioxid zu reduzieren, analysiert sie detailliert. Die USA produzieren fast ein Viertel aller Treibhausgase weltweit. Doch die im Kyoto-Protokoll definierten Ziele könnten sie gar nicht mehr erreichen, sagte schon 2004 Nigel Purvess vom amerikanischen Think Tank "Brooklyn Institution".

    "Es gibt keine Chance, dass die Amerikaner das Kyoto-Protokoll unterschreiben. Sogar John Kerry hat das während seiner Kampagne gesagt. Die Reduktionsziele im Kyoto-Protokoll beziehen sich auf die Jahre 2008 bis 2012, und aus wirtschaftlicher Sicht ist das schon sehr bald. Es ist für die USA mittlerweile einfach zu spät, ihre Reduktionsziele aus dem Kyoto-Vertrag zu erfüllen. "

    Die Autorin zitiert Regierungssprecher und Öllobbyisten und stellt die Gegner des Klimaschutzes bloß: die Uneinsichtigen, die, nur an schnellen Profit denkend, das Offensichtliche leugnen. Sie entlarvt die oft widersinnigen Argumente aus Wirtschaft und Politik. So macht sich der Leser leicht die nahezu weltweite Ablehnung zu eigen, die zum Beispiel Außenminister Colin Powell 2002 auf dem Klimagipfel in Johannesburg erfuhr.

    "Die USA handeln, um die umweltpolitischen Herausforderungen zu meistern. Das gilt auch für den globalen Klimawandel ... (Buh-Rufe, Tumult)"

    Dennoch ist Kolberts Buch mehr als eine bloße Amerika-Schelte. Sie stellt auch detailliert Pläne vor, mit denen sich Kohlenstoffemissionen verringern lassen: die so genannten "Stabilisierungspakete" des Princeton-Professors Robert Socolow, aber auch die Bemühungen einer kleineren Stadt in Vermont. Dort, in Burlington, haben es die Einwohner durch eine Vielzahl kombinierter Maßnahmen geschafft, den US-Trend umzukehren und Strom zu sparen. Global betrachtet aber sind solche Beispiele kaum von Bedeutung.

    "Allein die neuen Kohlekraftwerke in China werden (...) über ihre gesamte Nutzungsdauer etwa 25 Milliarden Tonnen Kohlenstoff ausstoßen. Anders gesagt: Chinas neue Kraftwerke würden die gesamten Emissionseinsparungen Burlingtons – in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft – in weniger als zweieinhalb Stunden zunichte machen."


    Elizabeth Kolbert geht es darum, die globalen Zusammenhänge verständlich zu machen und zu zeigen, dass die Erderwärmung längst messbare Auswirkungen hat. Zum Beispiel im kleinen Dorf Shishmaref in Alaska. Es sind nicht nur die großen Katastrophen wie Katrina, die den Klimawandel bezeugen, sondern auch dieses Haus, unter dessen Fundament ein Eiskeil geschmolzen ist.

    "Gleich um die Ecke zeigte mir Romanowski ein unbewohntes Haus, das praktisch in zwei Teile gespalten war. Der Hauptteil neigte sich nach rechts und die Garage nach links. Das Haus war in den sechziger oder frühen siebziger Jahren gebaut worden. Als der Dauerfrostboden vor zehn Jahren zu schmelzen begann, mussten die Bewohner ausziehen."

    Kolbert erzählt von einem Schmetterlingsforscher in England, der die Falter immer weiter im Norden suchen muss, wohin sie den steigenden Temperaturen folgen. Sie besucht eine Forschungsstation in Grönland, wo Wissenschaftler erkunden, wie sich das Klima seit der letzten Eiszeit entwickelt hat. Und sie fährt nach Island, wo die Menschen seit Jahren nachmessen, wie der Dorf-Gletscher schmilzt. In den Niederlanden, die zu einem Viertel unter dem Meeresspiegel liegen, bereiten sich die Einwohner längst auf ein Leben mit dem Wasser vor. Schließlich prognostizieren die Wissenschaftler für die nächsten hundert Jahre einen Anstieg des Meeresspiegels um 90 cm. Wer dann kein Wasser im Keller haben will, könnte auf diese schwimmenden Eigenheime ausweichen.

    "Die Amphibienhäuser sehen alle gleich aus. Sie sind hoch und schmal, mit glatten Seitenwänden und gewölbten Metalldächern, so dass sie nebeneinander aufgereihten Toastern gleichen. Jedes Haus ist an einem Metallpfosten vertäut und ruht auf mehreren hohlen Betonpontons. Falls alles so läuft, wie geplant, werden die Häuser, wenn die Maas über die Ufer tritt, auf den Fluten schaukeln und, sobald das Hochwasser zurückgeht, wieder sanft auf Land abgesetzt."

    Die Grundidee des Buches ist gut: Orte zu beschreiben, an denen sich Klimaveränderungen bereits auswirken. Doch beschäftigt sich Elizabeth Kolbert damit nicht intensiv genug. Man möchte mehr darüber erfahren, was es für die Inuit in Alaska bedeutet, ihr ganzes Dorf umsiedeln zu müssen; wie sie sich fühlen, wenn sie Atemschutzmasken tragen müssen, weil die Waldbrände sich ausdehnen. Stattdessen präsentiert Kolbert rasch wieder Zahlen, Fakten und Experten-Zitate – Informationen, die man auch in den Zeitungen liest. Was das Buch eigentlich davon abheben könnte, eine lebendige Beschreibung der betroffenen Orte und Menschen – das kommt zu kurz. Hin und her gerissen zwischen Reportageband und Sachbuch, entscheidet Kolbert sich dafür, möglichst viele Fakten zu präsentieren.

    Dabei schafft sie es allerdings, die wissenschaftlichen Zusammenhänge auch Laien verständlich zu machen. So beschreibt sie sehr anschaulich, wie sich die Menschen langsam des Phänomens der Erderwärmung bewusst wurden. Dementsprechend beginnt die Zeittafel am Ende des Buches 1769, dem Jahr, in dem James Watt sich seine Dampfmaschine patentieren ließ. Sie endet 2005, als das Schmelzen des Grönland-Eisschildes sein bisheriges Maximum erreichte und – das Kyoto-Protokoll in Kraft trat.

    Bis zu den ersten Klimakonferenzen aber war es ein langer Weg. Zuerst einmal musste der Mensch den Treibhauseffekt erkennen und verstehen lernen. In einem kurzen Exkurs in die Wissenschaftsgeschichte erzählt Kolbert unter anderem von dem schwedischen Chemiker Svante Arrhenius, der schon im 19. Jahrhundert die Auswirkungen von Kohlendioxid auf die Temperatur der Erde untersuchte.

    "Vielleicht aufgrund des Zeitalters, in dem er lebte, oder vielleicht auch, weil er Skandinavier war, nahm er an, dass die Folgen dieser Erwärmung insgesamt der Menschheit eher zuträglich wären. In einem Vortrag vor der Schwedischen Akademie im Jahr 1895 erklärte Arrhenius, die Zunahme der atmosphärischen Konzentration von Kohlendioxid, das damals Kohlensäure genannt wurde, erlaube künftigen Generationen, "unter einem wärmeren Himmel zu leben."

    Dass dieser wärmere Himmel nun Folgen zeitigt, die der Mensch noch gar nicht absehen kann, davon ist man nach der Lektüre überzeugt. Kolbert appelliert eindringlich an das Verantwortungsbewusstsein der Menschen.

    "Der Mensch ist nicht das erste Geschöpf, das die Erdatmosphäre verändert; diese Auszeichnung gebührt Urbakterien, die vor etwas zwei Milliarden Jahren die Photosysthese erfanden. Aber wir sind die erste Spezies, die dies in voller Kenntnis der Konsequenzen tut."

    Bei George W. Bush ist das nicht auf Anhieb zu erkennen. Nachdem Hurrikan Katrina große Teile von New Orleans zerstört hat, sagte er:

    "This is our vision for the future. In this city and beyond. We’ll not just rebuild, we’ll build higher and better."

    Wo eigentlich eine Analyse der Ursachen erfolgen sollte, danach gefragt werden sollte, wie solche Katastrophen in Zukunft verhindert werden könnten, scheint der mächtigste Mann einfach nur an seinem Weg festzuhalten. Was muss noch passieren?, fragt Elizabeth Kolbert. Die globale Erwärmung zeigt doch schon genug Auswirkungen. Wenn es erst einmal soweit ist, dass sie jeder in seinem täglichen Leben spürt, dann ist es zu spät. Wie viele Wirbelstürme brauchen die Menschen noch, um umzudenken? Dass sie kommen werden, daran zweifelt Kolbert nicht.

    "Man kann gewiss nicht sagen, dass ein bestimmter Sturm oder auch zwei Stürme hintereinander allein durch die globale Erwärmung verursacht worden seien; denn bei der Entstehung von Wetterereignissen wirken immer Faktoren zusammen. (...) Aber die Tatsache, dass die globale Erwärmung die Häufigkeit schwerer Stürme erhöht, bedeutet, dass katastrophale Wirbelstürme wie Katrina und Rita in den kommenden Jahren häufiger auftreten werden."

    Bettina Lendzian rezensierte Elizabeth Kolbert: "Vor uns die Sintflut. Depeschen von der Klimafront". Der 208 Seiten starke Band ist zum Preis von 19 Euro 90 im Berlin Verlag erschienen.